#"Was für Nachbarn"

Nachbarschaftshilfe mit Brandbeschleuniger

von , 4.9.13

Konkret empörte sich NRW-Korrespondent Bernd Dörries in der Wochenendausgabe über „die neuen Nachbarn“, die „auf die Straße kacken und den Müll zum Fenster rauswerfen“.*

Stein des Anstoßes ist ein Duisburger Wohnhaus, in dem vorwiegend Roma leben. Rund um das Gebäude hätten sich die hygienischen Zustände derart verschlimmert, dass inzwischen auch den „Gutmütigsten“ unter den Anwohnern der Geduldsfaden reiße. Und Dörries benennt auch ohne Umschweife die zentrale Frage: „Was ist, wenn da Menschen kommen, die so gar nichts mit uns gemein haben?“. Im Kern geht es also weniger um Hausordnungen, als vielmehr um die tief sitzende Angst vor „Überfremdung“.

Dass die Situation im Ruhrgebiet derzeit derart eskaliert, liegt vor allem an der Tatenlosigkeit der Politik. Nicht zum ersten Mal führt die Überbelegung der sogenannten „Ekelhäuser“ in Duisburg, Dortmund und anderswo zu Konflikten mit den Anwohnern. Die Kommunen reagieren jedoch meist hilflos. Ihnen mangelt es an Konzepten und an Geld, um die Lage nachhaltig zu entspannen.

Dass die Roma dennoch hier Zuflucht suchen, hängt mit der noch krasseren Diskriminierung und Armut zusammen, der sie vor allem in Bulgarien und Rumänien ausgesetzt sind. Rund 80 Prozent der Roma dort sind arbeitslos und völlig verarmt. Dem permanenten Notstand in ihren ghettoartigen Siedlungen entkommen sie nur, indem sie in den Westen fliehen. Um aber hier die Miete für ihre heruntergekommenen Unterbringungen aufzubringen, verdingen sich die Frauen dann nicht selten auf dem Strich, die Männer arbeiten als Tagelöhner.

Die Regierungen in Rumänien und Bulgarien unternehmen wenig, um die Lebenssituation der Roma zu verbessern. Auch die EU, die ihnen bis 2014 hierzulande eine legale Arbeit verwehrt, zuckt nur mit den Achseln. Selbst die Stadt Dortmund sieht keinen Ausweg, obwohl gerade einmal etwa 2000 Roma unter den rund 600.000 Dortmundern leben. Sie hat bislang nur – und auf richterliche Anforderung hin – einen heftig umstrittenen Straßenstrich in eine weniger belebte Gegend verlagert.

Für derlei Hintergründe hat Bernd Dörries in der SZ jedoch kaum einen Blick übrig. „Tja, was macht man nun mit ihnen, den neuen Nachbarn die ihre eigenen Regeln haben, die so gar nicht in unser Land passen?“, fragt er stattdessen besorgt. Der SZ-Journalist will zumindest echte Nachbarschaftshilfe leisten und jenen wortkräftig zur Seite springen, die „ohnehin zu schwach sind, um regelmäßig ihre Stimme zu erheben“. Nein, nicht den schmutzigen Roma, sondern den alteingesessenen Ruhrpöttern! Deren Geduld sei nämlich bereits so sehr strapaziert, dass – auch, wenn in Deutschland gelte, dass kein Haus mehr brennen dürfe – die Frage sei, „ob das so bleiben wird – ob die Anwohner in Duisburg nicht bald die Seiten wechseln“.

Das klingt fast so, als hätte der Journalist am Ende sogar noch Verständnis, sollten die ach so schwachen wie entnervten Anwohner auf die Idee kommen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sicher ist: Dörries Brandbeschleunigersätze werden gewiss nicht ungehört verhallen – insbesondere in Zeiten, in denen Nazis in Berlin-Hellersdorf Flüchtlingsunterkünfte belagern und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich tönt, der Anstieg der Flüchtlingszahlen gehe auf „asylfremde Motive“ zurück.

Wohin derlei Rhetorik führen kann, wissen wir bereits. Vor etwas mehr als 20 Jahren sind hierzulande schon einmal Wohnhäuser in Flammen aufgegangen. Und kurz zuvor schlugen zahlreiche Medien und Politiker ähnliche Töne an. Die Städte, in denen damals Menschen starben, mögen andere gewesen sein. Allerdings liegen Solingen und Duisburg kaum mehr als 50 Kilometer auseinander.

 
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