#Bachelorarbeit

Das Rollenverständnis von Politikvermittlern

von , 24.7.13

Worin ähneln sich Blogger und Journalisten, und worin unterscheiden sie sich? Abseits von Stereotypen und Klischees werden die Merkmale politischer Publizisten selten diskutiert. Um Ähnlichkeiten und Unterschiede zu erkennen, sind nun in einer quantitativen Kommunikatorstudie Berufsverständnis, Arbeitsroutinen und Interessenlage von Politik-Bloggern und Politik-Journalisten untersucht worden.

An der Online-Befragung nahmen insgesamt 66 Kommunikatoren teil, die zu den meistgelesenen Publizisten ihrer Berufsgruppe gehören. Dabei wurde geprüft, ob die relevantesten Blogs auf Kommunikatorseite das Potenzial besitzen, die politische Berichterstattung von Tageszeitungen zu ersetzen, sollte das Zeitungssterben andauern.[1] Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse der Untersuchung beschrieben.

Das wichtigste Berufsverständnis ist sowohl für Politik-Journalisten als auch für Politik-Blogger der interpretative Journalismus, durch den Hintergründe recherchiert und Analysen geboten werden. Beide Gruppen geben seinen Einfluss auf einer 5-Punkte-Skala von „schwach“ (1) bis „stark“ (5) als „eher stark“ (4) an. Während für Journalisten jedoch die objektive Vermittlung eine ähnlich wichtige Rolle spielt (vgl. Abb. 1), ist sie für Blogger von geringerer Bedeutung (vgl. Abb. 2): Dieses Selbstverständnis trifft auf die Mehrzahl der Journalisten nach eigener Einschätzung „stark“ zu, die Mehrheit der Blogger ist „unentschieden“. Umgekehrt ergeben sich bei der eher subjektiven Berufsauffassung des anwaltschaftlichen Journalismus jedoch kaum Unterschiede: Beide Gruppen sind ihn betreffend „unentschieden“. Demnach sehen sich Blogger zwar weniger als objektive Vermittler, ergreifen aber keineswegs öfter als Journalisten Partei für einzelne Personen und ihre Interessen.
 

Felix Plum, Bachelorarbeit

Abb.1

 

Felix Plum, Bachelorarbeit

Abb. 2

 
Einen weiteren Einblick in ihre Rollendefinition gaben die Publizisten durch Angaben zu ihrer Interessenlage, beispielsweise sind Politik-Blogger politisch wesentlich aktiver als Politik-Journalisten: Dies gilt nicht nur für Internet-Aktivitäten wie das Unterschreiben und Initiieren von e-Petitionen oder die Beteiligung an politisch motivierten Shitstorms. Auch außerhalb des WWW partizipieren Blogger häufiger, etwa engagieren sie sich öfter in einer Partei oder beteiligen sich an Wahlkämpfen, Bürgerinitiativen und Demonstrationen.

Diese Ergebnisse zeigen, dass der Grund für die geringe Partizipation von Zeitungsjournalisten an e-Petitionen nicht mangelnde Internet-Affinität ist. Vielmehr ist sie auf ihr Rollenverständnis zurückzuführen: Für einen Großteil der Journalisten scheint private Distanz eine notwendige Voraussetzung für berufliche Objektivität zu sein. Ausgewogen über Politik berichten kann nach diesem Verständnis nur, wer sie nicht selbst gestaltet. Das gilt indes nicht nur für parteipolitische Handlungen wie die Unterstützung von Wahlkämpfen: Selbst um parteiunabhängige Demonstrationen oder Bürgerinitiativen machen Journalisten einen großen Bogen. Anders die Politik-Blogger, bei denen die publizistische Tätigkeit wesentlich häufiger mit politischer Aktivität einhergeht, wenn sie nicht sogar selbst ein Ausdruck politischer Aktivität ist.

Ein möglicher Grund für die rege politische Beteiligung der Blogger ist die Tatsache, dass sie sich auf einem politischen links-rechts-Spektrum im Vergleich zu den moderat-linken Journalisten wesentlich weiter links einordnen. Offenbar sind Blogger mit den bestehenden politischen Verhältnissen weniger einverstanden und bringen das durch ihre Artikel sowie ihr politisches Engagement zum Ausdruck.

Zudem sind Blogger analog zu ihrem stärkeren politischen Engagement auch wesentlich häufiger als Journalisten Mitglied in einer Partei. Unter jenen befragten Publizisten, die ausschließlich als Zeitungsjournalisten tätig sind, ist kein einziges Parteimitglied. Dagegen besitzt ein Drittel der Publizisten, die ihre Artikel ausnahmslos auf Blogs veröffentlichen, ein Parteibuch. Ein gesamtgesellschaftlich betrachtet überdurchschnittlich hoher Wert, zählen doch die sieben größten deutschen Parteien (CDU, SPD, CSU, Linke, FDP, Grüne und Piraten) zusammen „nur“ ca. 1.340.000 Mitglieder, womit etwa jeder sechzigste Deutsche Mitglied einer Partei ist.

Farbe zu bekennen mag Bloggern nicht zuletzt deshalb einfacher fallen, weil sie sich für ihre Veröffentlichungen stärker alleine verantwortlich fühlen als Journalisten. Das ermöglicht es ihnen, eigene Präferenzen einzugestehen und transparent für sie einzutreten. Zwar sehen auch Journalisten sich tendenziell eher alleine in der Verantwortung, die Politik-Blogger stimmten dem in der zentralen Tendenz jedoch uneingeschränkt zu.

In diesem Zusammenhang ist das organisatorische Arbeitsumfeld zu berücksichtigen: Journalisten haben nicht nur die jeweilige Blattlinie im Hinterkopf zu behalten, sondern sind bei ihrer Arbeit in Redaktionen eingebunden und von deren Prozessen abhängig. So ergab die Studie beispielsweise auch, dass Journalisten häufiger auf inhaltliche und formale Vorgaben (etwa eine festgelegte Zeilenzahl) sowie einen vorgegebenen Abgabezeitpunkt Rücksicht nehmen müssen.

Unter den Bloggern hingegen kommen 40 Prozent „nie“ mit formalen Vorgaben in Berührung. Einen Abgabezeitpunkt müssen sie nur „manchmal“ einhalten, Journalisten „häufig“. Dass der Unterschied nicht noch größer ist, liegt daran, dass nur die wichtigsten Blogs bei der Befragung überhaupt berücksichtigt wurden. Dadurch sind einige Weblogs mit einem größeren Autorenstamm in dem Datensatz repräsentiert, unter anderem auch carta.info, bei denen im Gegensatz zu digitalen Einzelkämpfern eine Absprache mit Kollegen möglich ist.

Die Urheber von Gedrucktem fühlen sich also weniger allein verantwortlich, als die von Gebloggtem. Doch obwohl die Printjournalisten ihre Alleinverantwortung etwas weniger betonen, stimmen sie stärker als Blogger zu, einen großen Einfluss auf die öffentliche Meinung zu haben – wohlgemerkt: sie selbst in ihrer Funktion als Publizist, nicht das Medium, für das sie tätig sind (vgl. Abb. 3 + 4).

 

Felix Plum, Bachelorarbeit

Abb. 3

 

Felix Plum, Bachelorarbeit

Abb. 4

 
Blogger dagegen sehen es im Vergleich zu Journalisten eher als elementaren Bestandteil ihrer Arbeit an, mit den Rezipienten in einen Dialog zu treten. Zwar zeigen die Ergebnisse, dass einige Zeitungsredakteure die Leser nicht nur als passive Konsumenten sehen. Insbesondere muss bei der Bewertung berücksichtigt werden, dass mit dem Ausdruck „elementarer Bestandteil“ in der Frage ein relativ starker Begriff verwendet wurde. Nichtsdestotrotz ist der Dialog mit den Nutzern für Blogger wesentlich selbstverständlicher.

Umgekehrt spielen bei Journalisten persönliche Kontakte in die Politik eine größere Rolle für die eigene Arbeit. Sie finden sie „eher wichtig“, während Blogger ihnen „neutral“ gegenüberstehen. Das legt die Schlussfolgerung nahe, dass Journalisten – auf einer Achse der Politikvermittlung vom politischen Apparat hin zu den Bürgern – eher in Richtung der Politik verschoben sind, Politik-Blogger in die Richtung der Bürger.

Dieser Befund deckt sich mit einer Beobachtung von Helmut Schmidt, der in einem Interview mit Giovanni di Lorenzo für das ZEITmagazin äußerte: „Wenn man ganz genau hinschaut, dann sieht man, dass die politischen Journalisten eigentlich mehr zur politischen Klasse gehören und weniger zum Journalismus.“

Bis auf einen nebenberuflich Tätigen sind die in der Studie befragten Journalisten alle hauptberufliche Redakteure. Auch Blogger schreiben immerhin zu zwei Dritteln entweder haupt- oder nebenberuflich, ein Drittel bloggt hobbymäßig. Die wichtigsten Politik-Blogger entsprechen also keineswegs den auch in der Fachliteratur gängigen Klischees. Für sie ungültig ist zum Beispiel die folgende Aussage des Medienwissenschaftlers Geert Lovink: „In den meisten Fällen haben Blogger nicht die Zeit, Fähigkeiten oder finanziellen Mittel für gründlichere Recherchen.“

Die befragten Blogger haben nämlich für ihre letzten fünf Artikel im Durchschnitt zwischen acht und neun Stunden recherchiert und absolvieren damit das gleiche Pensum wie die Journalisten. Und, vor dem Hintergrund der unsäglichen bis unterhaltsamen LeistungsschutzrechtDebatte nicht uninteressant: Google News ist als Recherchetool unter Print-Redakteuren leicht beliebter als unter Bloggern.

Andere Indikatoren weisen ebenso wenig auf eine geringere Professionalität der Blogger hin: Das Korrekturlesen von Artikeln durch Dritte verzögert die Veröffentlichung bei Bloggern häufiger als bei Journalisten.

Um auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Verändern könnte sich durch eine steigende Bedeutung von Blogs der Anspruch, dass Medienvertreter nicht selbst politisch aktiv sein sollten, der an herkömmliche Journalisten nach wie vor gestellt wird. Der Vergleich der Publizisten hat aber auch gezeigt, dass es in ausgesuchten Bereichen der Arbeitsroutinen zwischen beiden Berufsgruppen kaum größere Unterschiede gibt. Unter professionellen Gesichtspunkten gäbe es gegen eine Zeitenwende also wenig einzuwenden. Ob politische Blogs in den nächsten Jahren auch die Reichweite erlangen können, um Tageszeitungen sukzessive zu ersetzen, muss sich natürlich erst zeigen.

 


 
[1] Wenn im Folgenden von Journalisten die Rede ist, bezieht sich dieser Begriff ausschließlich auf Journalisten von Tageszeitungen, da nur diese befragt wurden. Ebenso referieren die Begriffe „Journalisten“ und „Blogger“ immer auf Politik-Journalisten und Politik-Blogger.
 
Dieser Text enthält ausgewählte Ergebnisse der von Felix Plum für seine Bachelorarbeit (PDF) durchgeführten Studie.
 

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