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Warum Prism der Koalition nicht schadet und der Opposition nichts nützt

von , 22.7.13

 

1.

An den sicherheitsorientierten Wählern von Union und FDP, aber auch an der stillen Reserve der Nichtwähler geht die Empörungswelle weitgehend vorbei. Der aufgeregte Diskurs über die Grundrechte bleibt ein Thema des neuen Mittelstands: der städtischen Angestelltenschaft, des digitalen Prekariats, der versprengten Reste des Bildungs-Bürgertums. Die Empörung verbleibt in der eigenen Filter-Bubble.

Kaum Interesse am Thema zeigen das ländliche Kleinbürgertum, die Bauern, die Beamtenschaft, die Freiberufler, das Wirtschaftsbürgertum, der alte Mittelstand (das Wählerreservoir von Union und FDP). Auch die Klasse der Reichen, deren Steueroasen vor kurzem enthüllt wurden, hält sich – da kompromittiert – eher fern.

 

2.

Es geht beim Abhör-Skandal nicht ums eigene Portemonnaie. Es geht um ideelle Werte: um Freiheit und Selbstbestimmung in der Demokratie. Eine Opposition, die das begreiflich machen möchte, muss den Freiheitsbegriff, ja den Freiheitsdrang selbst verkörpern. Doch schaut man sich das Bundestags-Personal an – was sieht man da? Auf den fiktiven Wahlkampf-T-Shirts der Oppositions-Abgeordneten steht schätzungsweise 270 Mal „It’s the economy, stupid!“ und nur 20 Mal „Free Bradley Manning!“

 

3.

Die politische Kraft, die der Regierung hätte gefährlich werden können, weil sie aus dem Reservoir von FDP und CDU schöpft, die „Alternative für Deutschland“ (AfD), ist durch den Abhörskandal aus dem Blickfeld des öffentlichen Interesses verschwunden. Der Abhörskandal ist nicht ihr Thema. Mit Bürgerrechten außerhalb von Euro-Rettungsschirmen können die AfD-Professoren wenig anfangen. Das Thema nationale Souveränität ist ihnen offenbar nur wichtig, wenn es um Steuergeld geht. Deshalb nützt der Abhörskandal indirekt der Stabilisierung der CDU.

 

4.

Über kurz oder lang wird das Thema nicht die Regierung, sondern die Opposition spalten. Denn das Motiv, sich ernsthaft zu engagieren, ist dort extrem unterschiedlich ausgeprägt. Die zornigen Bürgerrechtsaktivisten, die im Netz sozialisiert wurden, werden die rot-grüne Unentschlossenheit bald bemerken. Da allen Beteiligten klar ist, dass jenseits verbaler Protestnoten nur Großdemonstrationen, Boykotts und Blockaden etwas ändern, wird sich die Spreu bald vom Weizen trennen. Linke und Piraten werden zu Protesten aufrufen, Grüne und SPD werden versuchen, die Aufregung zu kanalisieren.

 

5.

Für die Spaltung der Opposition spricht auch ein historisches Vorbild: die Debatte um die Notstandsgesetze. Diese Debatte zerriss nicht etwa die Konservativen, sie zerriss das linke Milieu – am Ende sogar die regierende SPD. Bei der Abstimmung am 30. Mai 1968 votierten 53 von 202 SPD-Abgeordneten mit Nein, drei Viertel mit Ja.

 

6.

Erschwerend kommt hinzu, dass das angestrebte Projekt Rot-Grün keine weiße Weste mehr hat. Es wäre lachhaft, zu behaupten, dass die Regierenden von 1998 bis 2005 nichts über das Ausmaß der Geheimdienst-Zusammenarbeit gewusst haben. Bereits wenige Tage nach ihrem Regierungsantritt waren Schröder und Fischer in den Kosovokrieg involviert. Aber auch, als der US-Kampf gegen den Terror in Paranoia umschlug, haben SPD und Grüne weiter geschwiegen. Die SPD schwieg bis 2009. Das heißt: Wenn es hart auf hart kommt, wenn Beschlüsse gefasst werden sollen gegen die Kontrollwut der Bündnispartner, werden SPD und Grüne wieder brav mit CDU und FDP stimmen.

 

7.

Gegen die Notstandsgesetze hatten sich 1968 Studenten, Intellektuelle, Teile der Gewerkschaften, Teile der SPD und – ja! – die komplette FDP verbündet. Heute ist die FDP in Sachen Freiheit ein Totalausfall, die Intellektuellen haben sich zurückgezogen und der von Michael Sommer entpolitisierte DGB hält sich aus politischen Debatten heraus. Auch die Stimmung ist lange nicht so aufgewühlt wie damals. Vier Wochen vor der Verabschiedung der Notstandsgesetze war Rudi Dutschke bei einem Attentat schwer verletzt worden.

 

8.

Die Journalisten, die sich jetzt in Leitartikeln empören, werden wahrscheinlich die ersten sein, die kneifen. Denn auch bei ihnen hat das transatlantische Bündnis redaktionellen Vorrang vor nationaler Freiheit und Souveränität. Insofern heucheln uns Bild, Bams und Glotze etwas vor. Wenn es ernst wird, werden sie die Bürgerrechtsbewegung spalten – in einen guten und in einen bösen Teil.

 

9.

Eine Mobilisierung zur Verteidigung der Grundrechte wird auch dadurch erschwert, dass in Sachen Überwachung kein Supergau wie in Fukushima stattgefunden hat, sondern nur eine Enthüllung ‚ungefährlicher’, ja ‚folgenloser’ Praktiken. Niemand spürt bisher am eigenen Leib, was eine Missachtung von Grundrechten bedeutet. Alarmrufe und Phantasien à la 1984 reichen nicht aus. Es gibt bislang keinen Ort, an dem sich eine Protestbewegung kristallisieren könnte. Der Transitbereich des Flughafens Scheremetjewo ist dafür ungeeignet.

 

10.

Den deutschen Bürgerrechtsaktivisten fehlen die Köpfe. Edward Snowden, Bradley Manning oder Julian Assange sind nicht greifbar. Und die relativen „Größen“ der deutschen „Netzgemeinde“ trauen sich eine Führungsaufgabe nicht zu.
 

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