#advokatorischer Journalismus

Journalismus oder Aktivismus? Es gibt keine richtige Frage im Falschen

von , 15.7.13

Die Zeitungskrise hat lange vor dem Jahr 2012 begonnen, in dessen zweiter Hälfte massenhaft Journalisten ihre Jobs verloren. In naheliegender Reaktion darauf suchen Verlage neue Einkommensquellen für journalistische Produkte, suchen Journalisten neue Arbeitgeber mit Bedarf an journalistischen Fähigkeiten. Vorgeschlagen wurden etwa Gesetze zur Abschöpfung von Gewinnen der Internetwerbung zugunsten der Presseverleger, der Betrieb von Redaktionen durch Großkonzerne, die zur Werbebeilage gleich die Zeitung mitproduzieren könnten, oder die staatlich gesteuerte Quersubventionierung aus den Rundfunkbeiträgen, etwa in Form einer Journalismus-Stiftung. Wer früher Journalist werden wollte, macht heute Public Relations. Und alle ehrbaren Journalisten rufen, dass das alles zutiefst verwerflich sei, also, alles außer: das je selbst favorisierte Modell.

Dass angesichts dieser Entwicklung alle Aufrufe zum Erhalt journalistischer Unabhängigkeit wirkungslos verhallen, zeigt der neue Korruptionsbericht von Transparency International, der den höchsten Vertrauensverlust den “Medien” attestiert. Mit dem Ruf der Medien als unabhängiger Kontrollinstanz der staatlichen Gewalten schwindet aber auch ihr Nutzen für weite Teile der Bevölkerung: Warum dafür zahlen, dass Parteien, Unternehmen, Staat, Lobbygruppen und Promis “Neuigkeiten” designen, die dann von getreulichen Mittlern unter dem Vorwand der Neutralität an die Empfänger übertragen werden?

Einen Nutzen davon versprechen sich primär die Absender der Botschaften. Doch wenn die Empfänger sich desinteressiert abwenden, verschwindet noch vor den Medien auch dieser Nutzen, für den zumindest die Unternehmen und Lobbygruppen lange zu zahlen bereit waren. Dabei muss man nicht einmal echte Korruption annehmen, wie es laut Korruptionsbericht die Mehrheit tut.

Derweil erregt in den USA eine Debatte die journalistischen Gemüter, in der die einen fordern: Guardian-Kolumnist Glenn Greenwald, dem Edward Snowden aufgrund geteilter Überzeugungen seine Dokumente anvertraute, sei ein Aktivist, könne daher nicht als Journalist gelten und müsse folglich wegen seiner Funktion bei der Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen verfolgt werden. Aus Greenwalds Engagement für Redefreiheit und Pressefreiheit (welcher Journalist ist dagegen?), sowie aus seinen “close connections” zu WikiLeaks konstruieren manche gar eine Verschwörung, hinter der Julian Assange stecke, der in den USA als Bösewicht gut etabliert ist.

Andere meinen wie der New-York-Times-Kolumnist David Carr, Greenwald sei trotz seines Bürgerrechtsaktivismus ein Journalist, nur gehe es ihm und seinesgleichen nicht primär um die Wahrheit, sondern hauptsächlich darum, in einem Konflikt ihre Position durchzusetzen.

Manche halten lautstark “traditionelle” journalistische “Tugenden” wie die Leidenschaftslosigkeit der Faktenberichterstattung hoch und warnen die Öffentlichkeit vor Journalisten, die zugleich Aktivisten sind. Wieder andere rufen dazu auf, besonders jene Journalisten skeptisch zu betrachten, die von sich behaupten, keinerlei Position zu vertreten: Denn das sei Unsinn, ob sie es nun wissen oder nicht. Auch Carr räumt ein:
 

“Die Vorstellung von Journalisten als politischen und ideologischen Eunuchen erscheint töricht – sogar manchen, die sich selbst Journalisten nennen.” (“The notion of journalist as political and ideological eunuch seems silly, even to some who call themselves journalists.”)

 
Es ist zweifellos richtig, dass man sich als Journalist fragen sollte, welchen Interessen man eigentlich dient. Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, von sich sagen zu können, man denke selbst. Dabei greift die falsche Gegenüberstellung eines vergangenen Idealzustandes und einer heraufziehenden Dystopie zu kurz, die Carr skizziert:
 

“Erst als ein ökonomischer Anreiz für Information ohne politische Agenda aufkam, entstand auch eine unabhängige Presse.” (“It was only when an economic incentive for information absent a political agenda took hold that an independent press also emerged.”)

 
Demnach ist es ziemlich klar, dass “eine unabhängige Presse” genau in dem Maß existiert, wie “Information ohne politische Agenda” existiert. Ich denke: Gar nicht. Niemals.

 
Im zweiten Teil geht es um den Wert des Journalismus, im dritten um die Auswirkungen der skizzierten Entwicklung auf die Politik.
 

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