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Zwölf Gedanken zur Reform der Rundfunkgremien

von , 13.7.13

 

1.

In den Rundfunk- und Verwaltungsräten der Sender sitzen Vertreterinnen und Vertreter einer Gesellschaft, wie sie sich im 20. Jahrhundert ausgeprägt hatte: Parteien, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Landesjugendverbände, Frauen, Senioren und Umwelt. Diese alte „bunte Mischung“[1] reicht nicht mehr aus, um eine neue, viel differenziertere Gesellschaft ernsthaft zu repräsentieren. Eine neue Repräsentanz muss künftig auch die Gremien prägen.

 

2.

Die Zumutungen und Anforderungen an Rundfunkräte sind gewaltig, die Möglichkeiten der Einflussnahme gering.

Die Rundfunkräte dürfen den Intendanten und die Programmverantwortlichen wählen, sowie einmal im Jahr den Wirtschaftsplan beschließen. Ansonsten dürfen die Rundfunkräte einzelne Vorhaben nur zur Kenntnis nehmen und diese „abnicken“. Sie sind nicht in Programm-Pläne und Entscheidungen eingebunden und werden zumeist lediglich im Nachhinein informiert.

Rundfunkräte dürfen kritisieren, Fragen stellen, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verleihen. Aber das alles bleibt ziemlich folgenlos, denn de facto sind die Machtverhältnisse in Satzungen und Regelwerken festgeschrieben. Wenn Rundfunkräte sich auch qualifiziert und detailliert zu Programmfragen äußern, werden sie meist deutlich von Intendanten ermahnt, dass dies „nicht ihre Aufgabe sei“.

Es gibt eine Ungleichheit zwischen der Geschäftsführung als Exekutive, und denen, die sie auf dem Papier beaufsichtigen sollen.

Dieses Demokratie-Defizit unterstreicht eine erfahrene Rundfunkrätin:
 

„Hier der selbst in kleinen Sendern gut geölte Apparat mit seinen finanzwirtschaftlichen und juristischen Experten, der seine Entscheidungen mit Engagement und differenziertem Wissen verteidigt, dort eine kleine Gruppe von Menschen, die jenseits ihrer partikularen Interessen und eines oft wachen, gesellschaftspolitischen Engagements nichts über das innere Funktionieren eines Medienapparates wissen.

Hier eine Mannschaft, die mit ihrem Sender auch ihren Arbeitsplatz verteidigt, dort eine Reihe von klugen und in ihren jeweiligen Bereichen kompetenten Menschen, die aber bei der Beurteilung grundlegender medienpolitischer Fragen, die auch von hochbezahlten Experten kontrovers diskutiert werden, hoffnungslos überfordert ist.“[2]

 

Um die Aufgaben in den Gremien effektiv wahrzunehmen, ist sowohl eine ausgedehnte Programmkenntnis wie auch medienpolitischer, medienwirtschaftlicher und medientechnischer Sachverstand nötig. In der Konsequenz heißt das: die Gremien benötigen ergänzenden,  unabhängigen Sachverstand (z.B. Beraterstäbe nebst wissenschaftlicher Beratung), um ihren Aufgaben annähernd gerecht werden zu können.

 

3.

Die Rundfunkräte sind
 

„ein Parlament von ehrenamtlichen Mahnern und Wächtern, das einmal alle zwei Monate für drei bis vier Stunden (wenn es hoch kommt) die Belange des Senders zur Kenntnis nimmt, aber keine Möglichkeit hat, sich grundlegende Entscheidungen langfristig zu erarbeiten, Fachleute zu befragen oder sich Expertisen vorlegen zu lassen.

Rundfunkräte bei den unterschiedlichen Sendern arbeiten unterschiedlich, doch für alle gilt, dass die wirklich wichtigen Fragen mangels Zeit und allgemeiner Kenntnislage gar nicht behandelt werden können. … Stillschweigende Einwilligung und freundliche Begleitung dessen, was die Geschäftsführung tut, ist unter diesen Umständen – neben Kritik an einzelnen sichtbaren Entscheidungen, die fast immer folgenlos bleibt – die einzige Möglichkeit. …

Erst, wenn der Skandal da ist, weiß man, was man hätte fragen müssen, denn nur auf konkrete Anfrage hin werden die Dinge behandelt. Und Programmkritik bezieht sich nur auf Gesendetes, nicht darauf, was alles gesendet werden müsste und nicht gesendet wurde.“[3]

 
So wird deutlich: Um dem gesellschaftlich formulierten Anspruch der Kontrolle gerecht werden zu können, müsste man die Arbeit eines Rundfunkrates mit einem beachtlichen Zeitbudget versehen.

 

4.

Die Kontrollgremien des Rundfunks funktionieren intern nach dem Prinzip einer dreigeteilten Pyramide: 80 Prozent repräsentieren die sogenannten „gesellschaftlichen Gruppen“. Sie lassen sich von den Geschäftsleitungen informieren, diskutieren entlang der vorgegebenen Tagesordnung, kritisieren gelegentlich, machen mit.

In den Gremien gibt es weiterhin eine Spitzengruppe von etwa 15 Prozent der Mitglieder, die – meist deutlich entsprechend der jeweiligen Machtverhältnisse (in den Ländern) politisiert – auch die Arbeit der Verwaltungsräte bestimmen. Auch für diese Gruppe prägen die Geschäftsleitungen die wesentlichen Entscheidungen vor. Viele Entscheidungen werden jedoch im Vorfeld durch eine intensive wechselseitige Kommunikation über Vorhaben und Projekte vorbereitet. Relevante Personalentscheidungen werden nur selten qualitativ geprüft und  konfliktiv ausgetragen, sondern ausgehandelt.

Maximal 5 Prozent der Akteure – oft nur ein(e) Spitzenvertreter(in) von CDU und SPD aus dem jeweiligen Verwaltungsrat bestimmen – in der Regel vor wichtigen Personalentscheidungen und Intendantenwahlen – wichtige Grundsatzentscheidungen. In solchen höchst vertraulichen Runden mit den Intendanten wird am Ende Politik über die ausgewählten Spitzenpositionen. (Intendant, Direktoren, Hauptabteilungsleiter, Abteilungsleiter) gemacht.

 

5.

Die Führungen der Sender „halten“ sich zumeist die zentralen Gremienvertreter und achten im Vorfeld darauf, wer welche Spitzenfunktion in den Gremien wahrnimmt. Die meisten Top-Kontrolleure sind folglich Mitspieler in einem meist konsensualen und selten konfliktiven Prozess. Dabei gilt: Je selbstbewusster, erfahrener  und politisch gesicherter ein Intendant, umso geringer ist der Einfluss der Gremien.

In zugespitzten Konfliktsituationen – meist zu Fragen des Spitzen-Personals – betonen Intendantinnen und Intendanten in der Regel die verfassungsrechtlich gebotene Unabhängigkeit ihrer Position und ihre meist starke Rechtsstellung in den „Intendanten-Verfassungen“.

Sie verweisen auf die eingeschränkten Rechte der Gremien, die sie auf Empfehlungen zu Strukturfragen und zu allgemeinen Programmrichtlinien begrenzt sehen. Programmliche und redaktionelle Fragen seien nicht Aufgabe der Gremien. Diese werden allenfalls in geschlossener Runde mit den jeweiligen Spitzenpolitikern verhandelt.

 

6.

Viele Gremienmitglieder sitzen in den Kontrollgremien, weil sie sich dadurch eine individuelle sowie verbandspolitische Positionsverbesserung erhoffen (direkter Kontakt zu Programmentscheidern, potentielle Schonung in Konflikten, Anregungsmöglichkeiten für die jeweils repräsentierte Region oder das jeweilige Fachgebiet). Aus diesem „gefühlten“ oder „realen“ Machtzuwachs ergibt sich dann wieder eine Positionsfestigung in der entsendenden Organisation.

 

7.

Spitzenpolitiker oder Multifunktionäre von Organisationen können die anspruchsvolle Gremientätigkeit in den seltensten Fällen allein aus Zeitnot nicht angemessen ausfüllen. Viele kennen die Programme nicht einmal, verstehen die Strukturen nicht, sind fachlich nicht aussagefähig. Die Folge: sie konzentrieren sich auf die für sie einfachen und entscheidenden Dinge: Personalpolitik in der Spitze, Regional-Proporz, Standortpolitik.

 

8.

Qualifizierte Mitwirkung in den Gremien erfordert Qualifikation und ein freies Zeitkonto von nicht geringem Umfang (mindestens 5 Stunden/Woche) jenseits der Sitzungs-Anwesenheit.

Den entsendenden Organisationen kommt künftig eine besondere Verantwortung zu. Sie müssen qualifizierte Vertreterinnen und Vertreter entsenden, für die neben medienpolitischem Wissen und Interesse auch systematische Weiterbildung zu allen relevanten Themen eine Selbstverständlichkeit ist. Nur so kann das demokratiepolitisch wertvolle Prinzip der Repräsentanz garantiert werden.

 

9.

Fortschritte bei der Qualität der Kontrolle sind möglich und nachgewiesen. So wurde neben dem Erwerb überteuerter Sportrechte auch die „Überflutung“ des ERSTEN mit Talkshows sachkundig kritisiert. Doch weiterhin werden hunderte Millionen Euro für sinnfreie Show- und Unterhaltungs-Programme, schlichte „Süßstoff-Spielfilme“ und schwache fiktionale Programme verbrannt. Hier haben die Gremien noch viel zu tun, um einen sinnvollen Ressourcen-Einsatz zu garantieren.

Die Gremien sind auch in Fragen der weiter reduzierten und am Programmrand entsorgten  Informationsprogramme sensibler geworden, wie sich an der Diskussion um die Platzierung von Dokumentationen und Reportagen gezeigt hat. Künftig müssen die Gremien aus eigener Kraft und Überzeugung stärker definieren, wie viel Geld für welches Programm ausgegeben werden soll. Das heißt: die sinnvolle Nutzung von Ressourcen ist eine wesentliche Gestaltungsaufgabe.

Zudem werden umfassende Geschäftsberichte mit vollständiger Transparenz in Finanzfragen nicht mehr aufzuhalten oder auszubremsen sein.

ARD und ZDF müssen unverzüglich einen umfassenden Wirtschaftsbericht über alle Finanzströme veröffentlichen. Auf jeden Sendungstypus muss ein Preisschild kommen, damit alle Beitragszahlerinnen und Beitragszahler wissen, für welches Produkt welche Summe investiert wird. Nur so kann der Wert des Rundfunkbeitrags ein neues, gesellschaftlich getragenes Fundament bekommen.

 

10.

„Wenn man am bisherigen Modell gesellschaftlicher Repräsentanz festhalten will, müssen den Gremienvertretern unbedingt Fachleute an die Seite gestellt werden. Denn ohne Fachkenntnisse sind die Entwicklungen von heute und morgen nicht mehr zu begreifen und zu steuern. Zusätzlich müssen die Rundfunkräte Arbeitsmöglichkeiten bekommen, die über die sporadischen Treffen, wie es sie heute gibt, weit hinausgehen, und Mittel, sich kundig zu machen und Expertisen einzuholen.“[4]

 

11.

Gremien müssen künftig umgehend öffentlich über ihre Beschlüsse und Ergebnisse berichten. Konsens und Dissens in Sachfragen sowie die Formulierung von Zielmarken (Erhöhung des Informationsanteils, Reduzierung des Boulevards, Wirtschafts-Journalismus statt Verbraucher-Journalismus, Neuformierung intelligenter Unterhaltung uvm.) müssen damit für jeden interessierten Beitragszahler nachvollziehbar werden. Die entsendenden Organisationen müssen von ihren Gremienmitgliedern ebenfalls mehr Rechenschaft über deren Leistungen einfordern.

 

12.

Öffentlich-rechtliche Kontrollgremien – aber auch die Gremien der Landesmedienanstalten – sind ein konstitutives Element eines Rundfunks, der der Gesellschaft verpflichtet ist. Ihre Reform und die entschlossene Wahrnehmung des Mandats durch jedes einzelne Mitglied wie auch durch das Gremium als Ganzes, sind die Voraussetzungen für den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf hohem journalistischen Niveau.

Die Gremien müssen sich modernisieren, die Gremienmitglieder sich auf ihre Kontrollpflichten besinnen und sich wirksamer Instrumente bedienen, die sie für eine effektive Kontrolle brauchen, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Zukunft haben soll.

 


[1] Jutta Brückner, „Professionalisiert die Rundfunkräte“, epdmedien, 17/2013, S. 9)

[2] Ebenda

[3] Ebenda, S. 9 f.

[4] Ebenda, S. 11

 
Crosspost vom Blog des DIMBB · Dresdner Institut für Medien, Bildung und Beratung
 

  • Neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung (PDF) von Fritz Wolf: Im öffentlichen Auftrag : Selbstverständnis der Rundfunkgremien, politische Praxis und Reformvorschläge
     

    Heiko Hilker, Mitglied im Rundfunkrat des MDR, hat in der vergangenen Woche zwölf Thesen zur Reform der Rundfunkgremien vorgelegt, die publizistisch einige Beachtung gefunden haben. Es ist ein gutes Zeichen, dass über Kontrolle und Transparenz der öffentlich-­rechtlichen Medien und über die Rolle der Gremien diskutiert wird.

    Pressemitteilung der OBS vom 15. Juli 2013 (PDF)

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