#Bail-in

Steuerzahler als Muppets: Storytelling über “verminderte” Haftung für marode Banken

von , 3.7.13

Manchmal würde ich ja gerne lauschen, wie nach EU-Gipfeln und Finanzminister-Treffen im Hintergrund das Storytelling funktioniert. Am vergangenen Donnerstag dürften die Finanzminister nach ihrem Sondertreffen zur Bankenunion zufrieden gewesen sein mit dem, was die Nachrichten präsentierten. Ich war jedenfalls ziemlich überrascht, als ich im Hotel das Morgenmagazin einschaltete und hörte, dass der Staat bei der Bankenrettung künftig “nur noch die letzte Lösung” sei.

“Haftungskaskade” und “Bail-in” heißen die Marionettenschnüre, die uns beruhigen sollen. Gerät eine Bank künftig in Schwierigkeiten, sollen die Fäden in folgender Reihenfolge gezogen werden:

  1. zunächst haften die Aktionäre
  2. dann die Hybridkapitalgeber
  3. dann Nachranggläubiger
  4. bevorrechtigte Gläubiger
  5. Inhaber von Einlagen über 100.000 Euro, wobei Privatpersonen und kleinere Unternehmen möglichst geschont werden sollen
  6. Versuch einer Kapitalerhöhung, etwa durch die Ausgabe neuer Aktien
  7. Steuerzahler des Heimatlandes
  8. Euro-Rettungsschirm ESM (begrenzt auf insgesamt 60 Mrd. Euro)

(Zusammenstellung der Wiwo)

Spareinlagen unter 100.000 Euro sollen komplett verschont bleiben, was ich richtig finde. Ebenfalls verschont bleiben die Besitzer von Pfandbriefen, was logisch ist, denn diese sind ja besichert. Geschont werden auch Bankbeschäftigte mit ihren Gehaltsansprüchen sowie die Gläubiger aus Interbankenkrediten. Dafür darf aber „in außergewöhnlichen Fällen“ die vereinbarte Haftungskaskade durchbrochen werden. Es gibt noch mehr verschwurbelte Formulierungen, die mich fassungslos auf die Kommentare blicken lassen. In Gesetze und Ausführungsbestimmungen ist die Einigung übrigens noch nicht gegossen. Das Europäische Parlament muss noch zustimmen, einige Abgeordnete haben aber schon Widerstand angekündigt.

ZDF-Altmeister Udo von Kampen lobte den Kompromiss, weil der Steuerzahler nun an “allerletzter Stelle” stehe, wenn es um die Rettung maroder Banken ginge. Die WELT bezeichnete die Einigung als Fortschritt, weil nun die Eigentümer und Gläubiger die Risiken übernehmen sollten. Christian Rickens von Spiegel Online findet “die neuen EU-Abwicklungsregeln für Banken gut und richtig.

Immerhin: Ralf Streck auf Telepolis sieht die Nebelkerze und schreibt zur “klaren Haftungskaskade”: “Schon diese Formulierung zeigt an, dass viele Details noch ungeklärt sind und letztlich wohl doch die Steuerzahler herangezogen werden.” Malte Fischer nimmt den Kompromiss in der Wiwo auseinander. Wenig überraschend dagegen, dass der Bankenverband den “Kompromiss” begrüßt.

Aussagen wie ‘der Steuerzahler hafte zuletzt’ sollen wohl das Wahlvolk besänftigen und zeigen, man sorge nun auch bei den Banken für Gerechtigkeit. Das ist natürlich vollkommener Blödsinn, denn die Steuerzahler werden hier einmal mehr zu Muppets gemacht: Vor 2007 war nämlich der rechtliche Normalzustand, dass der Staat für in Bedrängnis geratene Banken gar nicht haftet. Nun wird uns eine nachrangige Haftung als Fortschritt verkauft? Ich bin auf die Rechtfertigung sehr gespannt.

Ältere Semester werden sich vielleicht an die Diskussion Ende der 90er- und Anfang der 2000er-Jahre über die Gewährträgerhaftung für die Landesbanken erinnern. Auch wenn die Konstruktion im Detail eine andere war, haben damals insbesondere die privaten Banken und öffentliche Institutionen wie der IWF darauf hingewirkt, die Haftung des Staats für die Landesbanken abzuschaffen (siehe  z.B. den Gesetzesentwurf für Sachsen).

Diese erzielten angeblich durch die staatliche Risikoübernahme bessere Ratings und am Kapitalmarkt über günstigere Refinanzierungskonditionen einen Wettbewerbsvorteil (siehe auch Ökonomenstimme: Wie wirkt sich der Wegfall staatlicher Garantien auf die Risikoübernahme von Banken aus?). Wie Brüssel damals in Person des EU-Wettbewerbskommissars Mario Monti argumentierte, kann man auf ZEIT Online in “Brüssel gegen die Staatsbanken” nachlesen.

Bis zur “existenzbedrohenden Krise” der IKB Deutsche Industriebank war die staatliche Haftung für Banken ein Tabu. Die Süddeutsche rechnete 2010 aus, die IKB-Rettung hätte jeden Steuerzahler 111,65 Euro gekostet. Es spielt dabei keine Rolle, ob diese Berechnung richtig ist oder nicht: Mit der IKB wurde eine Zeitenwende eingeläutet.

Danach ging es Schlag auf Schlag: Hypo Real Estate, Landesbanken, Commerzbank, Rettungsfonds für Staatsschulden, die unmittelbar die Bankbilanzen entlasteten, und viele andere Maßnahmen mehr. Staatliche Institutionen springen direkt oder indirekt ein, wenn Banken Probleme bekommen könnten. Die Rechtfertigung wurde auf die bis dahin nur in Fachkreisen bekannte Worthülse der “Systemrelevanz” beschränkt.

Die neuen Regeln sorgten für ein verantwortungsvolleres Verhalten der Banken, erklärte laut Handelsblatt der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem. Woher er diese Erkenntnis nimmt, lässt er lieber im Dunkeln.

Die Rhetorik des EU-Gipfels zur Bankenunion macht diese Zeitenwende in der Retrospektive nun zu einer neuen Norm. Die staatliche Rettung von Banken gehört in Deutschland und der EU ganz selbstverständlich zum wirtschaftspolitischen Besteck. Dabei sollten die “Rettungen” von Instituten, die sich mit geschäftsfremden Spekulationen übernommen hatten, die Ausnahme bleiben. Nun wird so getan, als sei dies unumgänglich: Nun könne sich der Steuerzahler sogar darüber freuen, dass ihn dieser – wie auch immer noch umzusetzende – Beschluss angeblich entlasten soll.

Ich finde die Chuzpe dieser Rhetorik bemerkenswert, denn die neuen Regeln zementieren einen Zustand, den es eigentlich bis 2007 nicht geben durfte. Es war bis dahin Konsens und Gesetz, dass es keine staatliche Haftung für Unternehmen und Banken geben darf. Es war ökonomisch und wirtschaftspolitisch gewollt, dass schlecht wirtschaftende Banken aus dem System ausscheiden. Nun wird der Schutz durch den Staat zementiert.

Die Politik hat sich vom Finanzsystem in die Rolle des Abwicklers und potenziellen Retters drängen lassen und diese Rolle angenommen. Außerhalb des Finanzsektors, also bei der Pleite eines Unternehmens, ist es selbstverständlich, dass Eigentümer und Gläubiger für die Verluste haften, das weiß jeder Mittelständler. Nun wird gerade das als Fortschritt gefeiert. Sorry, von mir gibt es dafür keinen Applaus.

“Systemrelevante Banken” können sich nun entspannt zurücklehnen. Die Märkte werden erwarten, dass der Staat weiterhin für sie haftet. Das neue Konstrukt legalisiert die implizite Staatsgarantie. Mit welchen symbolischen (?) Anteilen im Ernstfall Gläubiger und Eigentümer zur Kasse gebeten werden, ist übrigens noch vollkommen unklar.

Das Storytelling hat hier übrigens genau so funktioniert wie bei der Staatsschuldenkrise. Auch hier hatten sich staatliche Institutionen in eine Lage manövriert, in der nicht die Gläubiger sagten, wie sie ihre investierten Gelder zurück erhalten wollten – nein, die Politik musste begründen, warum es einen Schuldenschnitt geben sollte und sich die Gläubiger daran “freiwillig” beteiligten. (Siehe “Wenn Du ein Gläubiger bist, dann bist Du ein Gläubiger. Ausnahme, Du bist eine Bank”.)

Die Steuerzahler der EU (nicht nur der Eurozone) werden durch einen ganz billigen Puppenspielertrick einmal mehr zu Muppets degradiert. Das wiegt umso schwerer, als sich gestützte Banker auch noch über ihre Retter lustig machen. Es ist nahezu unerträglich, sich diese peinlichen Ausschnitte anzuhören. Und im Ernst – wer glaubt schon, dass sich nur die “Anglo Irish Bank” über ihre “Retter” amüsierte?

 

Weitere Berichte und Hintergründe

 

Im Blick Log zur Bankenunion und Bankenrettung

 
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