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Adam Opel: Lieber Sterbehilfe statt Palliativmedizin

von , 6.3.09


Die industriepolitische Diagnose für Opel ist eine ambivalente: der Patient scheint seit Jahren unheilbar erkrankt – man weiß nur nicht genau woran und warum. Seit mehr als einem Jahrzehnt wurden deshalb bereits zahlreiche Behandlungen mit staatlichen Medikamenten ausprobiert. Aus der Patientenakte heißt es unter „Nummer 192 Schriftliche Frage an die Bundesregierung im Monat Februar 2009“, dass Opel seit etwa zehn Jahren regelmäßig den Wirkstoff „Subventionen“ erhalten hat. Insgesamt mehr als 6,5 Millionen Euro hat diese Behandlung angabegemäß gekostet. Die Kostenbelege für den zusätzlichen Kuraufenthalt aus der ‚Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur’ sind vorsorglich nicht in der Akte enthalten. Zu viel Transparenz kann ja auch schädlich sein.

Erst Anfang des Jahres wurde Opel mit einem neuen, schnell wirkenden, aber leider ebenso schnell wieder nachlassenden Behandlungsansatz kurzfristig aufgepeppelt. Die so genannte „Abwrackprämie“ sollte dem einschlägigen Patienten neue Erkenntnisse aus der Palliativmedizin zugänglich machen. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin bedeutet dies eine „aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer voranschreitenden, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung zu der Zeit, in der die Erkrankung nicht mehr auf eine kurative Behandlung anspricht und die Beherrschung von Schmerzen [und] anderen Krankheitsbeschwerden [..] höchste Priorität besitzt.“ Allem Anschein nach konnte die staatliche Abwrackprämie in der Tat die Tröpfchenbehandlung mit dem Schmerz stillenden, staatlichen Kurzarbeitergeld zeitweise aussetzen.

Die ganzheitliche Betreuung des Patienten ergibt sich zudem aus den diversen Besuchen vermeintlich politischer Chef- und Oberärzte. Manch ein freundlicher Quacksalber aus Düsseldorf, Wiesbaden oder Berlin schlägt dann auch gerne teuere Placebomedizin wie staatliche Beteiligungen, Subventionen, Kredite und Bürgschaften vor. Für den psychologischen Beistand kamen Steinmeier und Lafontaine vorbei. Man kennt solche unterhaltenden Auftritte ja aus der Clown-Therapie bei der Behandlung von chronisch erkrankten Kindern.
Eine solche Behandlung mit Zuspruch und Seelsorge ist sicher dringend notwendig. Vielleicht lässt sich so auch wieder etwas davon heilen, dass Opel im Ausland jahrelang unter Decknamen wie Vauxhaull (Großbritannien) oder Holden (Australien) arbeiten musste. Man hätte den Patienten vielleicht schon vor Jahren umbenennen sollen. Vielleicht war ja der Name „Opel“ die Krankheitsursache?

Vielleicht aber auch die durch den Wettbewerb verursachte Überanstrengung. Wie alle Konkurrenten war Opel in den letzten Jahren immer bereit, etwas mehr zu machen, als eigentlich benötigt wurde. Seit Jahren scheinen sich die Spezialisten in den unterschiedlichen wirtschaftsmedizinischen Laboren darüber einig zu sein, dass in Europa einschlägige Überkapazitäten von mindestens 20 Prozent bestehen. Dies hat zuletzt der Gesundheitsbeauftragte für industriepolitische Fragen der Europäischen Kommission Günter Verheugen bestätigt. Es ist daher dringend an der Zeit, grundlegende Entscheidungen zu treffen. Das Krankenbett des Palliativpatienten Opel könnte schon bald ein anderer, vielleicht wirklich heilbarer Patient benötigen.

Im Grunde bestehen für die behandelnden Ärzte wenig Handlungsalternativen. Die Hinterbliebenen von Nokia (2.300 Beschäftigte, Bochum) und BenQ (1.800 Beschäftigte, Kamp-Lintfort) werden genau darauf achten, welche Maßnahmen der Patient Opel (5.000 Beschäftigte, Bochum) noch erhalten wird. Allein um Klagen über mögliche Behandlungsfehler bei Nokia und BenQ zu vermeiden, bietet sich nach all den Jahren die Einstellung der laufenden Palliativmedizin an. Vielleicht sollte man die unvermeidlichen Geschehnisse nicht länger verzögern. Die Gesundheitsbeauftragten aus den Wirtschaftsministerien in Bund und Länder könnten vielmehr staatliche Nullzins-Kredite an solche Interessenten geben, welche die bestehenden Werke in ihre Verantwortung übernehmen wollen. Es geht um die Sicherung von Arbeitsplätzen, nicht um die von Unternehmen. Aber Deutschland ist (noch) kein Land der Sterbehilfe.

Disclaimer: Die hier angegebenen Ausführungen stellen die private Meinung von Steffen Rutter dar und stehen in keinem Bezug zu seiner beruflichen Tätigkeit.

Zur Opel-Thematik siehe auch dieser Carta-Beitrag von Hans Bellstedt.

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