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Deals im Strafprozess: Das Verfassungsgericht als Kesselflicker

von , 21.3.13

Die gesetzliche Regelung zum Deal im Strafprozess ist ein löchriges Fass. 2009 hat der Gesetzgeber das Gefäß geschaffen, um die einsickernde Praxis, Angeklagten für Kooperation mildere Strafen in Aussicht zu stellen, aufzufangen. Doch die 240 Wörter des § 257c StPO reichen nicht, den giftigen Inhalt zu halten. Überall rinnt und rieselt es hinaus.

Das deutsche Strafrecht funktioniert, anders als das aus Film, Funk und Fernsehen bekannte amerikanische, nach dem Schuldprinzip: Der Staat darf strafen, wenn und soweit er jemandem die Schuld für eine Straftat nachweist. Der Strafprozess ist kein Kampf zwischen Staatsanwalt und Angeklagtem, sondern eine Untersuchung des Gerichts. Es geht nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um die Wahrheit.

 

Der Staat weiß nicht genug

Das hat den Vorteil, dass man als Beschuldigter weniger als in den USA auf Gedeih und Verderb davon abhängt, dass man einen guten Anwalt bezahlen kann, der den Kampf für einen führt. Es hat aber den Nachteil, dass es sich in der modernen Welt und im modernen (Wirtschafts-, Umwelt-, Steuer-)Strafrecht alles andere als von selbst versteht, was das überhaupt sein soll: die Wahrheit.

Der Staat weiß nicht genug. Er muss, wie in der Wirtschaft auch, die Privatinteressen der Betroffenen für sich einspannen, um zum Ziel zu kommen. Er muss sich von seiner Hoheitsposition hinabbegeben auf den Marktplatz der Informationen und das Spiel mitspielen, das dort nun mal gespielt wird: Handel, oder auf englisch: Deal.

Interessen haben aber nicht nur der Angeklagte und sein Verteidiger, sondern auch die Richter und Staatsanwälte. Ein reibungslos und schnell zu Ende geführtes Verfahren schont ihre Nerven und ist gut für ihre Karriere. Der Verteidiger hat auch keine Lust, sich länger herumzuplagen als nötig. So kann es schnell dazu kommen, dass das, was im Urteil steht, mit der Wahrheit nicht mehr viel zu tun hat, ja, sogar die alte Schreckensvision des erzwungenen falschen Geständnisses wird plötzlich ganz real.

 

Ein löchriger Kessel

2009 hatte der Gesetzgeber den Versuch unternommen, den Kuchen gleichzeitig zu essen und zu behalten: Im neuen § 257c StPO legalisierte er die Verständigung im Strafprozess, allerdings unter allerhand Maß- und Vorgaben und Einschränkungen, die gewährleisten sollten, dass am Ende trotz alledem die wahre Schuld oder Unschuld des Angeklagten und sonst nichts über Strafe und Strafmaß entscheiden.

Das taten sie aber nicht. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht letzten November stellte sich heraus, dass ein ganz erheblicher Teil der Strafjustizpraxis auf diese ganzen Vorgaben und Einschränkungen pfeift. Im offiziellen Teil, in der Hauptverhandlung, im Protokoll keine Spur von einem Deal, aber informell, auf dem Gang draußen, steckt man unter Juristen dann doch schnell die Köpfe zusammen, denn was die Revisionsinstanz nicht weiß, macht sie nicht heiß. Wenn man sich schon auf dem Marktplatz trifft, dann wird eben auch gedealt. Es haben doch alle ein Interesse daran, oder nicht?

Was folgt nun verfassungsrechtlich daraus? Das Schuldprinzip steht nicht zur Disposition des Gesetzgebers, ja nicht einmal in der des Verfassungsgebers.

Das, so der Zweite Senat, heißt aber noch lange nicht, dass Deals im Strafprozess nicht erlaubt seien. Nur müsse halt das Schuldprinzip auch den Marktplatz beherrschen. Und wenn es dem Gesetzgeber nicht gelungen ist, das durchzusetzen, dann muss es halt der Senat selber tun.

Weder das Fass noch sein Inhalt wandern auf die Sondermülldeponie, stattdessen krempelt der Senat höchstselbst die Ärmel hoch, setzt sich die Schweißerbrille auf und macht sich daran, die Löcher eines nach dem anderen abzudichten: Informelle Deals darf es überhaupt nicht geben, Geständnisse im Rahmen eines Deals müssen stets in der Hauptverhandlung überprüft werden, die Revision muss, wenn irgend möglich, zulässig sein, und noch viele Punkte mehr.

Das Urteil hat 21.187 Wörter, also 20.947 mehr als § 257c StPO. Bemerkenswert wenige davon sind aber der Frage gewidmet, wie Schuldprinzip und Marktplatz überhaupt konzeptionell zusammengehen.

Ob’s hält?

 

Ein mühseliger Text

Zuletzt noch ein Stoßseufzer: Ich bin sonst ein großer Fan der Karlsruher Gelehrsamkeit. Viele Urteile sind ein wahrer Lesegenuss, und es macht Spaß und bringt intellektuell wie verfassungspolitisch Gewinn, die Deliberation des Senats in all ihren Windungen nachvollziehen zu können.

Dieses Urteil indessen weckt in mir eher Sehnsucht nach der lapidaren Kürze des französischen Conseil Constitutionel. Es ist echt ein mühseliger Text, und das ist nur teilweise durch das gewaltige Normkonkretisierungsprogramm, das sich der Senat da aufgehalst hat, erklärbar. Wozu muss er obendrein auch noch links und rechts ständig Obiter Dicta fallen lassen, hier zur Einstellung wegen Geringfügigkeit, da zum Strafbefehlsverfahren? War es wirklich nötig, in RNr. 66 ein Grundseminar Juristische Methodenlehre abzuhalten (hat mich schon an der Uni immer zu Tode gelangweilt)? Musste so viel Redundanz zwischen Maßstäbe- und Anwendungsteil wirklich sein?

Berichterstatter Herbert Landau ist kein professoraler Chrysostomos, sondern ein wackerer Arbeiter im Weinberg des Rechts, das ist vielleicht der Grund für dieses stilistisch so glanzlose Urteil. Es muss ja auch nicht jeder auf Lübbe-Wolff-Niveau schreiben. Nur wäre dann umso mehr zu empfehlen, nicht mehr Worte zu machen als unbedingt nötig.
 

Crosspost vom Verfassungsblog

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