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Politikberatung: Ein Blick aus der (Politik-)Wissenschaft

von , 13.3.13

Die Branche boomt, und daher ist erklärlich, dass sich hier alles tummelt, was an dem Boom teilhaben möchte. In dieser Hinsicht ist Berlin ganz offensichtlich nicht Bonn; das Reservoir an immer neuen Vorschlägen – aber selten kreativen Ideen –, was denn ‘die Politik’ auch noch nötig hätte oder besser machen/scheinen/lassen könnte, scheint unerschöpflich. Aber selbst in dem Teil der Politikberatung, der sich über Leistung und Preis, tatsächlich erbrachte Leistung und tatsächlich gezahlten Preis von der vielen Möchtegern-Politikberatung abhebt, herrscht eine babylonische Vielfalt. Das muss nicht von vornherein des Übels sein, ruft aber nach Auseinandersetzung mit dem Phänomen und verlangt – bis zu einem gewissen Grad – nach Kriterien, die Ordnung und Einschätzung ermöglichen und Erwartungen zulassen, um im Vorhinein Klarheit und Sicherheit im beidseitigen Verhältnis zu haben.

Natürlich steht Beratung immer unter dem Verdacht der Parteilichkeit. Eine zentrale Aufgabe von Politik in den modernen Demokratien ist aber auch, zu werben, für die eigenen Ideen und Ziele, die dafür notwendigen Mehrheiten und/oder das notwendige Verständnis der Öffentlichkeit. Ein Großteil von Beratung wird hierfür angefragt und geleistet – wenn Wahlen vor der Tür stehen, entsprechend (viel) mehr. Hier ist Beratung ohne ein gewisses Maß an sympathischer Intuition oder auch partieller Sympathie außerordentlich schwer vorstellbar – aber auch nicht problematisch.

Aber ist in diesem Sinn Werbung für eine Idee oder eine Partei oder ein politisch durchzusetzendes Ziel ‘Politikberatung’? Ja, siehe oben, Werbung für Mehrheiten und die Entwicklung von Strategien zur Schaffung von Mehrheiten ist eine zentrale Aufgabe der Politik, und, nein, da diese ‘Beratung’ auf die Form und weniger auf den Gehalt abzielt, weniger inhaltlich, als vielmehr werblich, werblich-unterstützend, eingesetzt wird.

Auch wenn die Abgrenzung zu eben Gesagtem im Einzelfall nicht immer einfach ist: Anders muss das Urteil ausfallen, wenn Politikberatung auf inhaltliche politische Entscheidungen zielt, mit beteiligt ist am politischen Gestalten, Reformieren und Verändern. Hier geht es um Einfluss und Beeinflussung, und hier liegen die Schnittstellen zwischen Politikberatung und Lobbyismus. Hier wird es aus demokratischer und politikwissenschaftlicher Sicht besonders spannend. (Aber, so wichtig sie sind, an dieser Stelle sollen einmal die demokratietheoretischen Fragen übersprungen werden.) Denn besonders spannend sind die Schnittstellen zwischen Politikberatung und Lobbyismus vor allem auch, weil sich hier Konkurrenzverhältnisse auftun: Fachlich – möglicherweise hochkompetente –, aber durch soziale, ökonomische oder politische Interessen geleitete Politikberatung der Lobbyisten einerseits versus fachlich – möglicherweise hochkompetente –, aber eben sachlich-neutral orientierte Politikberatung durch die Wissenschaft andererseits.

Soweit das Lehrbuch. Aber stimmt das auch in der Praxis? Nein: Es gibt gute und schlechte Politik, richtige und falsche politische Entscheidungen, und zwischen beiden Polen alle möglichen Grade von besserer und schlechterer Politik bzw. zielführenden und weniger zielführenden politischen Entscheidungen – aber es gibt sicherlich keine interessenlose Politik: Ohne Interesse keine Politik. Politik ist das stetige Bemühen, meine/unsere Interessen gegen deine/eure Interessen durchzusetzen und zu verwirklichen. Bei diesem „mühsamen Bohren dicker Bretter“ (M. Weber) kann auf Politikberatung kaum noch verzichtet werden, weil es ja neben den ‘eigenen’ und den Interessen ‘anderer’ auch jede Menge Rand-, Rahmen- und inhaltliche Bedingungen zu beachten gibt, die für die politische Durchsetzungsfähigkeit und den politischen Erfolg maßgeblich sind.

Politik verbindet die inhaltlichen Interessen mit dem Kampf um die Macht, und politischer Erfolg hängt von der richtigen Kombination von Macht- und Interessenzielen ab. Nachhaltiger Erfolg wird dagegen zunehmend abhängig von guter, professioneller Politikberatung. Warum? Weil es zunehmend im Detail darum geht, die zentralen Kräfte – Macht und Interessen – mit den sonstigen Bedingungen so zu emulgieren, dass weniger Reibung, bessere Passgenauigkeit, höhere Akzeptanz und möglicherweise (erneute) politische Unterstützung erreicht wird.

Was ist dann das Problem wissenschaftlicher Politikberatung? Vielleicht hilft eine Aufzählung, die sich hier sicher pointierter und trennschärfer darstellen lässt, als in der Realität immer anzutreffen. Aber möglicherweise stimuliert das ja auch die weitere Diskussion:
 

1. Politik und Wissenschaft haben unterschiedliche Aufgaben

Politik hat zwei zentrale Aufgaben: Erstens, – wertbasiert – Ordnung, Stabilität und Berechenbarkeit zu schaffen und diese aufrecht zu erhalten. Zweitens, – innovative – Gestaltungs-, Anpassungs- und Veränderungsleistungen zu entwickeln und durchzusetzen. Beide Aufgaben stehen oft im Widerstreit. Politik muss in vielen Fällen Entscheidungen treffen, die erst – bisher nicht vorhandene – Klarheit schafft.
Aufgabe der Wissenschaft ist der Erkenntnisfortschritt und – zumindest in Bezug auf die eigene Disziplin – die Vermittlung, die Begründung und Klärung des Fortschritts. Zumeist sind es diskursive Verfahren, in denen Wissenschaft Daten, Fakten, Grundlagen für den weiteren Gebrauch der wissenschaftlichen Erkenntnisse generieren. Wissenschaft schafft so – zumindest innerdisziplinär – intersubjektive Verlässlichkeit: manche sagen ‘Wahrheit’.

Hart gegenübergestellt, würde man die Aufgabe der Politik als voluntaristischen Akt und die Aufgabe der Wissenschaft als generischen Prozess bezeichnen.
 

2. Politik und Wissenschaft unterliegen unterschiedlichen Arbeitsbedingungen

Macht und Machbarkeit in der Politik wird von wissenschaftlicher Seite oft überschätzt. Aus der Sicht der Politik ist der Machterhalt ebenso zentral – und oft wichtiger – als eine ‘eigentlich richtige’ Sachpolitik. Aus wissenschaftlicher Sicht werden die aktuellen, konkreten Zwänge, eingeschränkte Ressourcen, die Bedeutung der Öffentlichkeit und die zeitliche Gebundenheit von Politik oft unterschätzt. In der Politik muss oft zwischen vielen ‘Wahrheiten’, Wünschen und Zielen abgewogen werden. Eigene Ziele und Wertorientierungen sind oft nützlich – helfen aber nicht immer. Lernprozesse sind gelegentlich sehr teuer (kosten Stimmen, Ämter, Macht) – externe Beratung kann hilfreich sein.

Wissenschaft ist frei! Wissenschaft braucht außerhalb der disziplinären Standards keine Abhängigkeiten zu beachten, um die selbstgesetzten Ziele zu erreichen. Politik besteht gerade darin, trotz vielfältiger Abhängigkeiten und Unwägbarkeiten, die eigenen politischen Ziele umzusetzen.

Hart gegenübergestellt, bewegt sich Wissenschaft im Eigentlichen und kann da verbleiben – Politik muss immer das Konkrete beachten und im Konkreten handeln.
 

3. Politik und Wissenschaft sprechen unterschiedliche Sprachen

Wissenschaft bewegt sich – cum grano salis – in der Welt der Zahlen, Fakten und Beschreibungen. Sie entwickelt ihre Sicherheit vor allen Dingen in der Statik von Statistiken und Zeit- und Untersuchungsreihen. Ihre Stärke liegt in der Erklärung des Vergangenen, des Abgeschlossenen, des Geschehenen. Auf dieser Basis kann Wissenschaft zu einer deutlichen Sprache finden: Erklären und „wenn — dann“-Kausalitäten berechnen.

Allerdings: Wissenschaft ist hochsegmentiert, und Klarheit und Wahrheit sind disziplinär geprägt.

Politik bewegt sich in der Welt der Dynamik und der – ständigen – Veränderung. Ihr Handeln ist auf die – immer unbestimmte – Zukunft gerichtet. Es geht darum, politische Ziele zu erreichen. Die zentrale Frage lautet daher, ‘wie’ kann das Ziel erreicht werden. Die politische Logik ist eine „um — zu“-Logik. Erfahrung kann hier außerordentlich hilfreich sein, Sicherheit bietet sie nicht.

Dieses Navigieren drückt sich in der Sprache aus: Es geht um Ziele; was gesagt wird, muss aber für Veränderungen offen bleiben, muss im Ungefähren verbleiben, darf Korrekturen nicht grundsätzlich ausschließen oder muss bewusst das Verdikt „versprochen – gebrochen“ in Kauf nehmen.

Hart gegenübergestellt: Wissenschaft verlässt sich auf belastbare Daten (abgeschlossener Ereignisse) und kann dadurch eine klare Sprache sprechen. Politik muss oft im Ungefähren bleiben, weil das, worum es geht, in der (offenen, unbestimmten) Zukunft liegt; es erst noch verwirklicht werden soll.
 

4. Politik und Wissenschaft haben unterschiedliche Ziele

In der Politik steht das Nutzenkalkül im Vordergrund; Verwertungsinteressen bestimmen den politischen Einsatz: Wie kann Widerstand minimiert, beseitigt werden? Was führt zu (mehr) Macht? Was garantiert das politische Überleben? Ja, und auch: Welches sind die relevanten und welches die weniger relevanten Probleme? Wie können sie gelöst werden? Wem bringen welche Lösungen was? Politik ist auf Zielerreichung ausgerichtet. Für den politischen Erfolg ist nicht nur ‘die Sache’ wichtig, sondern es sind auch die Vermittlungs- und Überzeugungsprozesse. Mindestens ein Auge blickt daher immer auf die Zielgruppe, die Mehrheit, die Sonntagsfrage.

Nicht alle Wissenschaft sucht nach ‘Wahrheit’, aber die Vorstellung einer ‘überindividuellen Gewissheit’, einer intersubjektiven Richtigkeit, bestimmt das wissenschaftliche Arbeiten. Wissenschaftlicher Erfolg ist davon abhängig, den Besonderheiten des jeweiligen Fachs zu entsprechen = die disziplinäre Innenwelt prägt den Wissenschaftler und seine Sicht auf die Welt.

Hart gegenübergestellt, sucht die Politik den öffentlichen, äußeren Erfolg – Wissenschaft sucht den innerdisziplinären Erfolg.
 

Wie kommen die beiden ‘Königskinder’ zusammen?

Im Beratungsgeschäft ist Vertrauen ein zentrales Kriterium. Daran ist nichts Schlechtes, so lange es nicht das dominierende oder gar einzige Kriterium ist, auf das sich Berater und Zu-Beratende beziehen können. Das Beratungsgeschäft braucht aber mehr, anerkannte, offen verfügbare und verbindlichere Kriterien darüber, was als professionelle, was als gute, kompetente Beratung bezeichnet werden kann – was man üblicherweise auf beiden Seiten an Leistung und Gegenleistung erwarten kann.

Wissenschaft und Politik sind dazu aufgerufen, hier Standards zu schaffen und Bewertungskriterien zu entwickeln. Es geht aber nicht nur darum, Transparenz zu erhöhen und Informationskosten zu senken. Es geht auch nicht nur darum positive Gründe zu entwickeln, um Zutrittshemmnisse für kompetente und leistungswillige Politikberater abzubauen. Wichtiger ist: Im Sinne einer weiteren Professionalisierung und im Sinne einer stetigen Verbesserung des Beratungsgewerbes ist es notwendig, Bewertungskriterien zu entwickeln und möglichst eine Reflektionsebene zu schaffen, um zusätzlich zu dem speziellen Vertrauen zwischen Berater und Zu-Beratenden auch ein breiteres, ein allgemeines Vertrauen in das Beratungsgewerbe zu schaffen.

 

Literatur:
Wewer, Göttrik (2009): „Politikberatung und Politikgestaltung“, in: Klaus Schubert/Nils C. Bandelow (Hrsg.): Lehrbuch der Üolitikfeldanalyse 2.0, München: Oldenbourg Verlag.
Heinze, Rolf G. (2013 im Erscheinen): „Federal Government – Temporary, Issue Related Policy Advice“, in: Sonja Blum/Klaus Schubert (eds.): Policy Analysis in Germany, Bristol/London: policy press.

 

Politikberatung hat Konjunktur. Die Diskussion über Beratung auch. Das hat auch etwas mit der Konturlosigkeit des Begriffs zu tun. So steht das Schlagwort „Beraterrepublik“ für den Einfluss von Lobbygruppen, Kommunikations-Agenturen und Unternehmensberatungen. Gleichzeitig hat nicht zuletzt die Finanzkrise Zweifel an der Qualität wirtschaftswissenschaftlicher Experten ausgelöst.
In einer kleinen Serie veröffentlicht Carta Positionen von Gastautoren, die Politikberatung als Auftraggeber, Berater oder Beobachter kennengelernt haben – zwischen Mythos, Macht und Machbarkeitsglaube. Zum Abschluss der Serie gab es am 7. März einen Carta Diskurs zum Thema.

 

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