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Schadenfreude eines Urhebers

von , 23.1.13

Sonntag Abend endete die Niedersachsenwahl. Zum Zeitpunkt der Verkündung der ersten offiziellen Hochrechnung stand ich, meinen Anderthalbjährigen auf dem Arm, hüpfend und Freudenschreie ausstoßend, vor dem Fernseher, während meine Frau im Hintergrund halb genervt, halb belustigt die Augen verdrehte. Mein Jubel galt nämlich weniger der Tatsache, dass meine eigene Partei, die Grünen, dort ihr bestes Ergebnis überhaupt erzielte, sondern vielmehr dem schlechten Abschneiden der Piraten. Warum aber diese Schadenfreude im Angesicht der Niederlage einer Partei, der ich ideologisch eigentlich gar nicht so fern stehe, und die in meinem Bekannten- und Freundeskreis nicht wenige Fans hat?

Ich könnte diese Frage simpel damit beantworten, dass ich neben meiner Tätigkeit als Juraprofessor auch Romanschriftsteller bin. Viele Menschen da draußen werden die jüngere Debatte zwischen Gegnern und Befürwortern einer Reform des Urheberrechts und insbesondere deren recht hitzigen Charakter zumindest am Rande wahrgenommen haben, und vor diesem Hintergrund mit dieser Antwort bereits zufrieden sein. Ich bin dann halt lediglich einer von denjenigen, denen die Piraten mit ihrem Ruf nach einer Legalisierung des internetgestützten Tauschs urheberrechtlich geschützter Inhalte oder einer Verkürzung der rechtlichen Schutzfristen dieser Inhalte ans Leder wollen. Ist doch klar, dass ich da nicht besonders gut auf die Piraten zu sprechen bin, oder?

Aber, könnte man demgegenüber einwenden, haben denn die Piraten ihre ursprünglich radikal anmutenden Positionen zum Urheberrecht nicht längst geräumt und bei jeder sich bietenden Gelegenheit klargestellt, dass Ziel der von ihnen gewünschten Reformen auch eine „Stärkung“ der Urheber ist? Ist es nicht richtig, dass der von der Kreativindustrie behauptete Schaden durch das so genannte Filesharing eine rein theoretische Größe ist, da niemand wissen kann, ob derjenige, der sich z.B. eine Musikdatei illegal herunterlädt, diese gekauft hätte, wenn es das illegale Angebot nicht gegeben hätte? Kann von den Künstlern nicht erwartet werden, ihre eigenen materiellen Interessen an einer Verwertung ihres Werks, hinter dem von den Piraten und ihren Vordenkern beschworenen Recht der Allgemeinheit auf freien Zugang zu Wissen und Kultur zurückstehen zu lassen?

Ist meine Schadenfreude also nur dem Egoismus eines offensichtlich raubtierkapitalistisch gestimmten Möchtegern-Künstlers geschuldet?

Viele Piraten und ihre Anhänger mögen jetzt genau dies denken, aber ich bin der Meinung, dass eine derartige Analyse nicht mal an der Oberfläche der Problematik kratzt. Jenseits aller rationalen Argumente, die in den vergangenen Monaten zwischen den Piraten und ihren Anhängern auf der einen Seite, und den reformskeptischen Urhebern auf der anderen Seite ausgetauscht wurden, hat die Debatte eine starke emotionale Komponente. Der Fehler, den die Piratenpartei meiner Ansicht nach wieder und wieder gemacht hat, besteht darin, diese emotionale Komponente schlicht zu übersehen oder ins Lächerliche zu ziehen.

Ich selbst habe mich an der Debatte mehr als lebhaft, zum Teil schon fast von manischem Furor getrieben, beteiligt. Ich habe mich an einem von den Piraten organisierten runden Tisch mit deren Urheberrechtsbeauftragten Bruno Kramm, Ex-Vorstandsmitglied Julia Schramm und dem Autor des politischen Programms der Piraten zum Urheberrecht, Daniel Neumann, gestritten. Ich habe mir in der Kommentarspalte des Blogs der Piratenikone Marina Weisband mit ihr und anderen Piraten vitrioltriefende Wortgefechte geliefert, die dann in Ausschnitten den Weg in die Süddeutsche Zeitung gefunden haben. Ich war Dauergast in der Abteilung Urheberrechtspolitik des öffentlichen Diskussionsforums der Piraten und auf der bundesparteilichen Facebookseite. Ich habe mich dort wieder und wieder als geldgierig, Contentmafioso oder ewig gestriger Betonkopf beschimpfen lassen müssen und oft in gleicher Münze zurückgekeilt (worauf ich nicht immer stolz war). Ich kenne die einschlägigen Argumente der Piraten in- und auswendig, und ich sehe mich nach wie vor außerstande, auch nur für eines davon irgendeine Sympathie zu empfinden.

Die berühmt-berüchtigte Reaktion des Element of Crime-Frontmanns und Schriftstellers Sven Regener, der schon vergangenes Frühjahr in einem Radiointerview feststellte, er fühle sich von der Filesharerszene, für die sich die Piratenpartei so vehement in die Bresche wirft, „ins Gesicht gepinkelt“ mag etwas unappetitlich und wenig filigran gewesen sein, aber sie trifft den Kern. Es gibt kaum ein Argument der Piratenpartei für ihre Urheberrechtsreform, das ungeachtet seiner rein logischen Meriten nicht ein emotionaler Tritt in den Hintern der Kreativgemeinde ist, wie ich im Folgenden zeigen möchte.

Zuvor will ich allerdings noch einmal das Augenmerk auf den Kern dieser piratischen Urheberrechtsreform lenken, also darauf, was die Legalisierung des nichtkommerziellen Filesharings jenseits aller flankierenden Debatten für mich als Kreativen faktisch bedeutet. Kurz gesagt, würde damit die Bezahlung kreativer Arbeit, soweit ihr Ergebnis digitalisierbar ist, fortan auf rein freiwilliger Basis erfolgen. Der Kreative wäre damit der Gnade des Konsumenten, der sich nun jederzeit frei zwischen zahlungspflichtigem und kostenlosem Angebot entscheiden könnte, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Mit welcher ethisch tragfähigen Begründung die Piratenpartei diese aus Konsumentensicht sicherlich paradiesische Freiheit allein auf digitalisierbare Kreativgüter beschränken will, erschließt sich mir übrigens bis heute nicht. Man ist geneigt zu fragen, warum wir diesen sensationellen, sozialökonomischen Quantensprung nicht gleich auf noch ein paar andere existenziell wichtige Güterkategorien ausdehnen. Wäre es nicht schön, verehrter Leser, wenn Sie z.B. am Ende jedes Monats frei entscheiden könnten, ob sie ihrem Vermieter die Miete, ihrem Stromlieferanten oder ihrem Kabelbetreiber die Nutzungsgebühren zahlen müssten? Aber ich merke, ich schweife allzu weit von meinem Kernanliegen ab.

Zurück zu den Argumenten, mit denen die Piraten ihr Anliegen rechtfertigen, und vor allem zurück zu den Bauchschmerzen, die sie mir damit verursachen.

 

Nullwert

Eine Ware, die ohne Qualitätsverlust kopier- und verteilbar ist, habe betriebswirtschaftlich betrachtet keinen Wert. Alle Kreativgüter, die digitalisierbar sind, wären im Sinne dieses Arguments eigentlich wertlos. Und warum, so fragen die Piraten, muss etwas, das wertlos ist, überhaupt bezahlt werden? Ich habe dieses Argument in vielen Formen gehört und gelesen. Irgendein ökonomisch bewanderter Pirat hat das auf seiner Website sogar einmal mit mathematischen Kurven optisch eindrucksvoll unterlegt. Ich hoffe gleichwohl, dass Sie, lieber Leser, nachvollziehen können, dass ich es nicht eben amüsant finde, wenn das Buch, an dem ich Hunderte von Stunden, oft nach Feierabend oder am Wochenende (die meisten deutschen Künstler sind Nebenberufler), im Schweiße meines Angesichts gewerkelt habe, auf diese Weise zu einem ökonomischen Nichts abgewertet wird, ungeeignet, irgendeinen Anspruch auf eine adäquate Gegenleistung auszulösen.

Das Argument weist für mich Parallelen zur prinzipiellen Austauschbarkeit jedes Arbeitnehmers in der modernen Arbeitswelt auf. Auch kein besonders sympathisches Phänomen, wie ich finde. Egal, wie haltbar diese Begründung wirtschaftswissenschaftlich auch immer sein mag, sie erscheint mir extrem menschenfeindlich. Wie ausgerechnet dieses Argument von einer Partei kommen kann, die keine Gelegenheit auslässt, die Wirtschaftspolitik der derzeitigen Bundesregierung als neoliberal zu geißeln, ist mir schleierhaft.

 

Technische Machbarkeit

Eng verwandt mit dem betriebswirtschaftlichen Argument ist das der technischen Machbarkeit. Filesharing sei nun mal technisch möglich, sagen die Piraten, häufig begleitet von der Ergänzung, nur eine staatliche Totalüberwachung des Internets (der Gottseibeiuns der Piraten) könne die freie Verbreitung geschützter Inhalte verhindern. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich fühle mich von der dreisten Moralfreiheit dieses Arguments, publikationsfreundlich ausgedrückt, vergackeiert. Seit wann ist in diesem Land alles erlaubt, was technisch möglich ist?

Darf ich die Wohnung meines Nachbarn verwanzen, weil die dafür erforderliche Technik allgemein zugänglich ist? Darf der Staat moralisch zweifelhaftes Verhalten ausschließlich dann verbieten, wenn er zugleich sicher ist, es ohne allzu unangemessenen Verfolgungsdruck verhindern zu können? Gibt es überhaupt irgendein staatliches Verbot, das lückenlos durchsetzbar ist? Ist der Maßstab für die Notwendigkeit eines Verbots nicht vielmehr die moralische Anstößigkeit des verbotenen Verhaltens?

Jedem Piraten, der dieses Argument bringt, möchte ich in Zukunft entgegenhalten, dass die von ihm so gefürchtete Vorratsdatenspeicherung ja auch technisch möglich, juristisch sogar teilweise abgesegnet und ihr Einsatz durch staatliche Stellen vom Bürger letztlich wohl nur durch terroristische Anschläge zu verhindern ist.

 

L’art pour l‘art

Dem wahren Künstler habe es bei Erstellung seines Werkes nicht um Erzielung von schnödem Mammon zu gehen, sondern um den Ausdruck seines künstlerischen Selbst. Die ewige Verknüpfung des Werks mit seinem Namen solle ihm doch Lohn genug sein. Je nachdem, wie hoch das Diskussionsniveau ist, sieht man sich mitunter auch noch mit der Feststellung konfrontiert, das Beispiel Dieter Bohlen beweise ja wohl, dass Künstler reich genug seien, obwohl sie in aller Regel nur massentauglichen Schrott produzierten, den eigentlich kein Mensch brauche. Kurz gesagt, sind also diejenigen von uns, die sich der kostenlosen Verbreitung ihrer Werke verweigern, ebenso talentfreie wie geldgeile Säcke, die den Hals nicht voll bekommen können.

Ich will gar nicht davon anfangen, wie weit dieses Bild jedenfalls finanziell von der Wirklichkeit entfernt ist. Jeder kann das Durchschnittseinkommensniveau der deutschen Künstler anhand der veröffentlichten Statistiken der Künstlersozialkasse nachvollziehen. Was mich wirklich sauer macht, ist die Tatsache, dass die Vertreter dieser kruden Thesen so tun, als ob alle Künstler einen Zauberstab besäßen, der es ihnen erlaubt, sich den Zwängen der Selbstverwertungslogik unserer marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaftsform zu entziehen. Und wenn mir die Piraten dann mit ihrem Bedingungslosen Grundeinkommen™ kommen, macht mich das gleich doppelt wütend. Ich bestehe aus Gründen der persönlichen Würde darauf, nicht allein fürs Atmen, sondern für meine Arbeit bezahlt zu werden (denn im Gegensatz zu anderen, weniger glücklichen Mitgliedern unserer Gesellschaft kann ich arbeiten), was auch beinhaltet, guten Lohn für gute Leistung zu bekommen, und umgekehrt. Wenn mich das zu einem altmodischen Menschen macht, sei’s drum.

 

Abmahnwahn

Ihr habt euer mieses Image bei den Konsumenten doch selbst verschuldet, heißt es seitens der Piraten. Ich kann sicherlich nicht ausschließen, dass es irgendwo auf dem Planeten Filmstudios und Megamusikkonzerne mit Heeren geifernder Anwälte gab und vielleicht noch gibt, die seit der Erfindung der MP3 nichts Besseres zu tun haben, als ein paar pubertäre Nerds und deren Eltern wegen einer Handvoll geteilter Lady-Gaga-Songs mit drakonischen Drohschreiben und vierstelligen Forderungen zu kujonieren. Wahr ist aber auch, dass der allergrößte Teil der Kreativszene, Produzenten eingeschlossen, weder die Zeit, noch das Geld für derartige Verfolgungsorgien mit zweifelhaften Erfolgsaussichten hat. Der größte Teil dieser Szene besteht aus Kleinverlagen und Indielabels, die für so etwas gar nicht die Ressourcen haben. Selbst mein „Verwerter“ (auch so ein Piratenlieblingswort aus der Ausgrenzungshölle), immerhin ein großer deutscher Publikumsverlag, winkt diesbezüglich müde ab: „Bringt nichts“, heißt es dort. „Der Server mit den IPs steht doch sowieso in Tonga.“

Ich erkläre daher ein für alle Mal, dass ich es satt habe, von den Piraten für das Fehlverhalten eines Teils der Kreativwirtschaft, der aus meiner Sicht quasi nur den hässlichen Bodensatz des Eisbergs bildet, kollektiv in Haftung genommen zu werden.

 

Alte Geschäftsmodelle

Die Bezahlung reproduzierbarer Kreativschöpfungen per Einzelnutzung sei ein „überkommenes“ Geschäftsmodell. In der Piratensprache bedeutet überkommen in diesem Zusammenhang so viel wie ein Relikt des frühen Pleistozäns. Die sich verzweifelt daran festklammernden Künstler seien damit den Webern vergleichbar, deren Arbeitsplätze im Zuge der industriellen Revolution quasi schicksalhaft der maschinellen Textilproduktion gewichen seien, oder dem langsamen Fortsiechen der Kohleindustrie.

Bei diesem auf den ersten Blick so sinnig erscheinenden Vergleich wird aber regelmäßig über einen wesentlichen Unterschied der verglichenen Situationen hinweggetäuscht: Während die industrielle Revolution die manuelle Arbeit der Weber selbst überflüssig machte, hat die digitale Revolution die Nachfrage nach urhebender Tätigkeit keinesfalls abgeschafft, sondern bei näherer Betrachtung eher gesteigert. Die Änderung besteht lediglich darin, dass zu den bereits vorhandenen ein neuer, schlechter kontrollierbarer Verbreitungsweg hinzugekommen ist. Ich fühle mich durch die Anwendung solcher recht durchsichtiger argumentativer Taschenspielertricks nicht ernst genommen. Offensichtlich halten mich die Piraten für recht unbedarft.

Da hebt es meine Laune auch nicht, wenn mir als Alternative zur Bezahlung durch den Leser angedient wird, mich von der Gnade privater Mäzene, Schwarmfinanziers, Werbepartner, einer undurchsichtigen Kulturflatrate-Verteilungsbürokratie (und das von den GEMA- und GEZ-Hassern schlechthin), oder eines so genannten „Kulturwertmark“-Systems abhängig zu machen, das bei näherer Betrachtung die derzeitige Situation des alten Geschäftsmodells auf eine „von-hinten-durch-die-Brust-ins-Auge“-Art zu emulieren versucht, quasi eine Art Rube-Goldberg-Vergütungsmaschine des Internetzeitalters.

Kein Wunder, dass beide prominenten Piratinnen mit Autorenambitionen sich deutlich gegen solche Zumutungen entschieden haben, die eine – wie kolportiert wird – wegen des Lektorats, die andere – Gott sei’s getrommelt und gepfiffen – des Geldes wegen. Wenn die Piraten mich davon überzeugen wollen, dass solche Modelle funktionieren, dann jedenfalls nicht durch den x-ten Verweis auf irgendeinen „Schon-längst-Millionär“ der sein Best-Of-Album bei freiwilliger Bezahlung veröffentlicht, sondern durch Gründung eines eigenen piratischen Verwertungsinstituts, das Künstler bei solchen Sprüngen ins Ungewisse berät oder gar selbst piratenmäßig produziert, und so die Massenmarkttauglichkeit dieser Modelle demonstriert. Bis dahin fühle ich mich von derartigen Ansinnen weiter unangenehm verschaukelt.

 

Voilà, le Prosument

Die Piraten finden, dass moderne Produktionsmethoden es jedermann erlauben, künstlerisch tätig zu sein. Die Grenzen zwischen dem Produzenten kreativer Ware und seinen Konsumenten sei dadurch so verwischt worden, dass eine Bezahlung des einen durch die anderen sich erübrige, und die Selbstabgrenzung der Künstler nichts anderes sei als elitäre Arroganz.

Ich weiß nicht, wie Sie das empfinden, aber die Menderes Bağcıs dieser Welt zirpen dies Argument meinem Gefühl nach ins selige Nirwana. Kunst ist, wie jede Arbeit, nur zu einem geringen Prozentsatz dem Talent des Künstlers geschuldet. Ihre Qualität gründet sich vielmehr zum größeren Teil auf irgendeine Art von Ausbildung, sei es in institutionalisierter Form, sei es in Eigenregie. Der Gitarrist hat in aller Regel unzählige Tage einsamen Klampfens hinter sich, bevor er sich das erste Mal in eine Bandprobe, geschweige denn, auf eine Bühne, wagt.

Mein erster Verlagsvertrag wäre ohne hunderte Stunden des Studiums schreibtheoretischer Texte kaum denkbar gewesen. Jeder Kunst wohnt ein Handwerk inne, das meist mühsam erlernt werden muss. Sicherlich gibt es das eine oder andere Ausnahmetalent, dem die Gesetzmäßigkeiten seines kreativen Schaffens einfach so zufliegen, aber das ist eben genau das: eine Ausnahme. Würden sie in einem Flugzeug fliegen wollen, das von jemandem gelenkt wird, der zwar keine formale Pilotenausbildung, aber aufgrund fleißiger Nutzung von Flugsimulationssoftware am heimischen PC schon mal eine reale Cessna notgelandet hat? Ich auch nicht.
Können Sie dann verstehen, dass ich verschnupft reagiere, wenn jemand zu meiner künstlerischen Arbeit sagt: „Eigentlüsch kann ditt ja jeda“?

 

Standing on the shoulders of Goethe

Noch so ein Mantra aus der Hölle der Internetgurus. Goethe hat von Shakespeare abgeschrieben, der wiederum von Marlowe und der von … und so weiter, bis wir irgendwann bei Urk, dem Australopithecus landen. Der konnte zwar noch nicht sprechen, aber tolle Bilder an Höhlenwände malen. Alles schon mal dagewesen. Nichts Neues im künstlerischen Westen oder Osten. Der kreativ Werktätige ist nur ein Wiederkäuer der im Äther jederzeit griffbereit herumschwirrenden Ideen, sein Hirn quasi ein Kulturpansen. Wenn der Künstler also für seine Arbeit Geld verlangt, müsste er eigentlich Lizenzgebühren an Goethe abführen, der wiederum an Shakespeare, der wiederum … und so weiter und so fort. Urk wäre ein reicher Mann, oder doch der Äther?

Das ist die Art von Schwachsinn, die mich fast sprachlos macht. Hier wird aus einer Binsenweisheit (Jede kreative Schöpfung fußt auf Bekanntem) durch augenfälliges Weglassen einer eigentlich komplementären zweiten (Jede kreative Schöpfung fügt dem Bekannten etwas Neues hinzu) eine platte Falschdarstellung. Die jüngeren prominenten Fälle akademischer Plagiate und ihre Aufnahme in der breiten Öffentlichkeit belegen, dass der Unterschied zwischen reiner Wiederholung auf der einen Seite und Innovation auf der anderen Seite für Sie, geneigter Leser, durchaus Relevanz besitzt, richtig?

 

Sklave der Contentmafia

Das niedrige Einkommensniveau unter uns Künstlern ist alleinige Folge der Ausbeutung durch unsere geldgierigen Verwerter, vulgo Verlage, Produzenten, etc. Unglücklicherweise leiden wir unter kollektivem Stockholmsyndrom und halten diese moralisch durch und durch verkommene Spezies daher mehrheitlich für wohlwollende, engagierte Förderer unserer Kunst, die zu Beginn unserer Karriere im Vertrauen auf unser Können oft sogar in finanzielle Vorlage gehen, um uns etwas mehr Freiraum zur Entfaltung zu geben. Die Piratenpartei ist aus dem politischen Olymp herabgestiegen, um uns Wolkenkuckucksheimern die Schuppen von den naiven Äuglein zu meißeln.

I beg your pardon, Ms. and Mr. Pirate! Die Partei, die meine Grünen permanent als Polit-Nannys beschimpft, und ihnen die piratische Liberalität oder von mir aus auch den piratischen Libertarismus, Libertinismus (oder was auch immer weniger nach FDP 2.0 klingt) um die Ohren haut, meint uns in unsere Verwertungsverträge reinquasseln zu müssen. Ganz großes Kino. Ausbeutung gibt es sicherlich auch in meiner Branche, aber das ist ebenso sicher kein Grund, die große Regulierungssense rauszuholen, um anschließend alle Kreativen in das piratische Prokrustesbett zu säbeln. Ein bisschen mehr Marktüberblick, Kampfeswillen und Eigenverantwortung könnte man mir schon zutrauen.

 

Sharing is caring

… oder wer (Kulturgüter) teilt, kümmert sich. Kümmern! Klingt toll. Duftet so nett altruistisch. Aber kümmern um wen oder was? Um die Unversehrtheit der eigenen Barschaft? Um die eigenen kulturellen Bedürfnisse? Um das Standing bei den Tauschbörsen-Peers? Die Piraten sagen, derjenige, der Werke gegen den Willen des Urhebers teilt, werbe damit für deren legalen Erwerb. Ich frage mich, wie? Durch sein leuchtendes Beispiel? Können Sie sich einen Hehler vorstellen, der seine Kunden bittet, das Diebesgut doch lieber aus legalen Quellen zu erwerben? Die Piraten sagen auch, wer digitale Kunst illegal herunterlädt, neige in aller Regel dazu, dieselbe anschließend aus purer Sympathie für den Künstler legal zu erwerben. Mal ehrlich: Wenn sie ein Buch in der Bibliothek ausgeliehen und gelesen haben, wie häufig neigen Sie dazu, dieses Buch aus schlichter Dankbarkeit für die schöne Zeit käuflich nachzuerwerben?

Also nochmal: Is sharing really caring? Klipp und klar: Nein. Sharing is NOT caring for paying the poor bastard who gave you something to share in the first place.

Unabhängig von der Frage, ob die derzeitigen zivil- und strafrechtlichen Vorschriften die urheberischen Reaktionen auf Filesharing auf ein angemessenes Maß begrenzen (und ich denke, es spricht viel dafür, dass sie das nicht tun), ist Filesharing unmoralisch, oder noch spezifischer: eine dreiste Respektlosigkeit.

Wollen Sie wissen, wie sich das anfühlt? Stellen sie sich vor, sie haben abends nach der Arbeit vertrauensvoll ihr Fahrrad unverschlossen in ihrem Vorgarten abgestellt, und als sie am nächsten Morgen wieder starten wollen, kommen sie gerade noch rechtzeitig, um das Rad von ihrem Nachbarn entgegenzunehmen. Auf ihre etwas verständnislose Reaktion wendet er ein, er habe es nur für seinen Zweitjob als Zeitungsaussteller benötigt. Ja, ja, er habe nicht gefragt, aber er habe sie halt wegen so einer Petitesse nicht stören wollen. Gerne wolle er ihnen ein paar Cent für den Schmiermittelverbrauch zahlen, und im Übrigen müsse er ihnen ein Kompliment für ihren neuen Rasenmäher machen, den er während ihres Urlaubs mal ausprobiert habe. Gruß an die Gattin. Der Tee war lecker.

Falls sie bei dieser Geschichte ein etwas pikiertes Gefühl entwickelt haben – genauso fühlt es sich an, das eigene Werk eingerahmt von Pornowerbung auf einer Tauschbörse zu finden.

 

Kultur ist Allgemeingut

Das letzte Argument, an dem ich mich abarbeiten will, ist wahrscheinlich das einzige, das aus meiner Sicht zumindest einen wahren oder nachvollziehbaren Kern hat. Jedermann, sorry, will sagen, jedes Eichhörnchen, so die Piraten, hat einen Anspruch auf freien Zugang zu Wissen und Kultur. Ich kann selbst bezeugen, dass das so ähnlich sogar in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht. Hieraus ließe sich ableiten, dass der Anspruch des Urhebers auf Bezahlung jeder Einzelkopie dem Bedürfnis des Konsumenten am Genuss des Werks letztlich unterzuordnen sei.

Anke Domscheit-Berg, Bundestagskandidatin der Piraten und Gattin des WikiLeaks-Mitbegründers Daniel Domscheit, versuchte mir diesen Gedanken anlässlich des eingangs erwähnten runden Tisches mit dem traurigen Beispiel ihrer kulturbeschränkten DDR-Jugend näher zu bringen. Hätte es, so Frau Domscheit-Berg, damals bereits Filesharing gegeben, die Neue Deutsche Welle und andere Manifestationen ersehnter westlicher Dekadenzkunst wären an allen Vopos vorbei in die DDR geschwappt, um die nach ihnen dürstende Ostjugend zu laben. Ich weiß bis heute nicht, ob ihr in diesem Moment völlig bewusst war, dass sie mich renitent auf Einzelvergütung bestehenden Künstler damit in eine Schublade mit dem ollen Gatekeeper Honecker warf. Ich fühlte mich jedenfalls – mal wieder – beleidigter als jede deutsche Leberwurst. Dass ihr Vergleich jedenfalls auch sonst auf diversen Beinen hinkte, bedarf wohl keiner Erklärung.

Wie dem auch sei, selbst das Grundargument hält näherer Überprüfung nicht stand. Das wiederum wird mir deutlich, wenn ich derzeit meinen kleinen Sohn beim Essen beobachte. Egal, welche immense Vielfalt wir auf Monsieurs Tellerchen ausbreiten, er möchte immer nur das, was auf unseren liegt. Um nicht irgendwann als Fall für die Super Nanny zu enden, versuchen ich und meine Frau ihm hier und da doch auch schon mal, eine kleine Grenze zu setzen.

Wo, fragt sich der geneigte Leser vielleicht, bleibt nun die Analogie? Ich antworte: So lange mein Sohn minderjährig ist, hat er uns gegenüber quasi ein gottgegebenes Recht auf angemessene Fourage. Das berechtigt ihn allerdings niemals dazu, genau das Würstchen zu beanspruchen, das auf Mamas Teller liegt, vor allem, wenn drei ähnliche Exemplare bereits auf seinem eigenen Essgeschirr auf ihn warten. Merken Sie, worauf ich hinaus will?

Juristischer ausgedrückt: Ein allgemeines Recht auf kulturelle Teilhabe bedeutet noch lange kein Recht auf kostenfreie Nutzung eines ganz bestimmten Kulturguts. Eines unserer wichtigsten Verfassungsprinzipien ist das der Konkordanz. Es gebietet, widerstreitende Grundrechte einem angemessenen Kompromiss zuzuführen. Das gleichfalls menschen- und verfassungsrechtlich geschützte Verlangen des Künstlers nach Bezahlung muss insofern dem Willen des Konsumenten auf Nutzung sicherlich niemals völlig weichen. In unserer marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung wird dieser Konflikt vielmehr seit jeher durch Verhandlung zwischen anbietendem Künstler und nachfragendem Konsumenten gelöst. Und es ist zu guter Letzt die ultimative Freiheit des Konsumenten, das Kunstwerk zum angebotenen Preis schlicht abzulehnen.

Damit endet meine eher beispielhafte und keinesfalls vollständige Liste. Keines dieser Argumente habe ich mir ausgedacht. Die meisten habe ich sogar wieder und wieder zu hören bekommen. Meist im stolzgeschwellten Brustton höherer Einsicht und überlegenen Wissens. Denn wenn meine Grünen die Nannys der Politik sind, dann sind die Piraten die vorlauten kleinen Brüder und Schwestern, die uns ungefragt das Leben, das Universum und den ganzen Rest erklären wollen, von dem wir augenscheinlich nichts, aber auch gar nichts begriffen haben.

Und all das ist der Grund warum ich gestern nach der Niedersachsenwahl gejubelt habe … und mich dann auch ein bisschen geschämt.

Geschämt habe ich mich, weil ich irgendwann mal heimliche Bewunderung für die Passion gehegt habe, mit der ein Haufen Netnerds es schaffte, einen Gutteil ihrer Generation der bleiernen Lethargie der Politikverdrossenheit zu entreißen. Weil mir die piratische Bereitschaft zur ständigen Selbstzerfleischung Respekt abnötigt. Weil auch ich bei aller Grundzufriedenheit der Meinung bin, dass im politischen Diskurs zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern einiges schief läuft, aber den Finger kaum besser auf die dem zugrunde liegende Wunde zu legen vermag, als die Kollegen Piraten.

Darum möchte ich den Piraten im Namen aller Urheber, die so ähnlich empfinden wie ich, ein Friedensangebot machen: Nehmt uns ernst, verschaukelt uns nicht mit hinkenden Vergleichen, windiger Netzpropaganda, moralfreiem Technogeschwurbel, oder indem ihr uns wie unselbständige Teenager behandelt. Bezeichnet unsere Werke nicht als wertlos, derivativ oder überflüssig. Erstens ist das angesichts der weltweiten Filesharingstatistiken sowieso wenig überzeugend, und zweitens ist die sensible Künstlerseele zwar nur ein Klischee, aber jedem Klischee wohnt ein wahrer Kern inne. Begegnet uns also auf Augenhöhe, was zum Beispiel bedeuten würde, auf unverhandelbare Positionen zu verzichten. Nur wenn ihr auch dort kompromissbereit seid, wo es weh tut, könnt ihr von uns dasselbe erwarten.
Kurzum: Behandelt uns so respektvoll, wie ihr selber behandelt werden wollt.

Wenn ihr das schafft, könnten die Kreativen stärkere Verbündete sein, als ihr Euch je vorstellen könntet.
 
Update, 23.01.:

 

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