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Die ‚gute‘ Wirtschaft nicht verstanden

von , 22.1.13

Nur ein paar hundert Stimmen bestimmten über das Schicksal des zweitgrößten deutschen Flächenstaates. Die 6,2 Mio. Wahlberechtigten zwischen Harz und Holland entschieden nicht über politischen Sprengstoff: Grundlegende Meinungsunterschiede – so die Umfragen – waren in den wichtigsten Politikfeldern Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Umweltpolitik nicht auszumachen. Es ging nicht um wenig polarisierende Themen wie Energiewende (Zustimmung), Massentierhaltung (Ablehnung), Studiengebühren (nur für wenige von Interesse) oder Schuldenbremse. Es ging darum, ob der beliebte David McAllister Ministerpräsident bleibt, um zukünftige Wahl- und Koalitionschancen, um die Karrieren wichtiger (Bundes)-Politiker. Vor allem aber darum, wem die Wähler in Zeiten großer Zukunftsverunsicherung eine faire Wirtschafts- und Sozialpolitik zutrauen.

Niedersachsenwahl paradox: Da verliert die CDU gleich 6,5 Prozent – trotz bundesweitem Rückenwind. Trotz Ministerpräsidentenbonus, trotz ausgezeichneter Wirtschaftslage, trotz besserem Kompetenz- und Leistungsprofil! Und es siegen ausgerechnet ein relativ unbekannter Stefan Weil mit 32,6 Prozent (+2,3) und ein mit Gespött überzogener Bundeswirtschaftsminister, der nicht nur den lange Zeit für unmöglich gehaltenen Wiedereinzug schaffte, sondern mit fast 10 Prozent das beste FDP-Ergebnis aller Zeiten einfuhr. Der Niedersachse Philipp Rösler bekommt somit erst mal Demissionsaufschub – und damit die Chance auf einen eigenen, guten Abgang.

36 Prozent waren für die CDU zu wenig im Herzschlag-Finale! ‚Gute Arbeit‘ (68 Prozent waren mit der Arbeit McAllisters zufrieden), das Fehlen eines Wechselklimas und erfolgreiche Wirtschaftsdaten reichten nicht. Trotz der überaus erfolgreichen Leihstimmenkampagne! Weil SPD und Grüne im Wahlkampf wie siamesische Zwillinge auftraten, standen im fast ‚toten Rennen‘ nicht Parteien, es standen zwei Lager ohne Übergangschancen zur Wahl. Weil fast drei Vierteln der Wahlberechtigten im Vorhinein die Chancenlosigkeit der Regierungsbildung ohne FDP klar war, passierte einmalig Sonderbares: Eine drei Prozent-Partei katapultierte sich auf 9,9 Prozent! 20 Prozent der CDU-Wähler überlegten im Vorhinein ernsthaft, ihre Zweitstimme den Liberalen zu geben. Jeder Dritte entschied sich erst eine Woche vor der Wahl, als die FDP bereits bei fünf Prozent noch etwas Leihstimmenhilfe benötigte – und 80 Prozent der FDP-Wähler gaben an, im Grunde der CDU näher zu stehen, aber liberal gewählt zu haben. Über 50 Prozent der CDU-Wähler empfahlen vor der Wahl, die FDP zu unterstützen. Und 80 Prozent der FDP-Zweitstimmenwähler gaben ihre Erststimme der CDU!

Zudem gewann die CDU am stärksten bei den Nichtwählern hinzu, und zwar bei eher  Älteren, Konservativen, die ihre ordnungs- und wirtschaftspolitischen Grundsätze bei der sozialdemokratisierten CDU über den Haufen geworfen sahen. Auch weil sie befürchteten, dass aus einer veränderter Bundesratsmehrheit nun eine rotgrüne Blockadepolitik folgt.

43 Prozent für die CDU, drei für die FDP: Das wäre das ehrliche Wahlergebnis gewesen. Für eine FDP, die nach Ansicht ihrer Wähler inzwischen zur kompetenzfreien Zone mutiert ist, und trotzdem 100.000 Wähler (von insgesamt 1,2 Mio.) von der CDU gewann. Weil sich unvorstellbare 90.000 von ihnen vorstellen konnten, ebenso gut CDU zu wählen! Gelb ist diesmal im Grunde schwarz.

Da die Niedersachsen-Wahl zum Überlebenskampf des Philipp Rösler hochstilisiert wurde, geriet die Leistung der Landes-FDP in Vergessenheit. Immerhin arbeitete sie geräuschlos und relativ erfolgreich mit der CDU zusammen, so dass 45 Prozent, und damit deutlich mehr als im Bund, der schwarzgelben Koalition ‚gute Arbeit‘ attestierten. Nur konnten die Liberalen aus ihrem blassen, aber soliden Anti-Kubicki-Spitzenkandidaten, Umweltminister Birkner, kein Kapital schlagen, zu sehr dominierte die Zukunft des Niedersachsen Philipp Rösler die Agenda. Allerdings konnten sich beide schon vor dem Wahlabend zurücklehnen: die demoskopisch diagnostizierten fünf Prozent in einer Zeit heftiger Kritik ließen schon im Vorfeld ein deutlich besseres Ergebnisse erahnen.

Daher wurden auch die Demoskopen zum Sieger des Wahlabends: Sie prognostizierten bereits in der Wahlvorwoche ein Kopf an Kopf Rennen – und den Einzug von Linken und Piraten als ‚sehr unwahrscheinlich‘. Lediglich das Ausmaß der unmittelbar vor der Wahl entschiedenen FDP-Rettungsaktion war bis zuletzt nicht vorhersehbar.

Die CDU verlor, weil sie weiterhin ihre alten Fehler machte – und immer noch an der ‚It’s the economy, stupid‘-, ‚Nur die Wirtschaft zählt!‘-Theorie festhielt . Auch unter McAllister glaubte sie zu sehr an die Macht guter ökonomischer Kennwerte – und vergaß die trotz guter Wirtschaft immer größer werdende Zukunftsunsicherheit der Bürger: Die Union stand für gute Unternehmenspolitik, nicht jedoch für den ‚Lohn‘ der Arbeitnehmer und eine ‚faire‘ Verteilung der Lasten bei einem möglichen Abschwung. Für bessere Krisenpolitik, nicht jedoch für soziale Gerechtigkeit. Für solide Finanzpolitik, nicht jedoch für die Verringerung der Kluft zwischen Arm und Reich. Nicht mal jeder Vierte attestierte der CDU ‚Soziale Gerechtigkeit‘. Auch deshalb wurde Rotgrün mit 39 Prozent zur Koalitionspräferenz Nummer ein. Und nun steht die CDU auch noch in der Kritik, höchst undemokratische Taktiken zum eigenen Machterhalt anzuwenden …

Daher nutzte selbst der Amtsbonus McAllisters wenig, den sich der erdverwachsene Ministerpräsident in seiner zweieinhalbjährigen Amtszeit erarbeitet hatte: 95 Prozent kennen ihn in Niedersachsen, 53 Prozent wollten ihn als Ministerpräsidenten behalten; nur 31 Prozent den SPD-Herausforderer Stephan Weil. Der schaffte es zwar, im Laufe seiner fast einjährigen Landesbereisung, seinen Bekanntheitsgrad von 30 auf fast 70 Prozent hochzuschrauben, doch zu einem ausgeprägten Imageprofil reichte es nicht wirklich. Selbst die Kandidatin auf Listenplatz 12, Doris Schröder-Köpf, war da bekannter – und wurde dennoch nicht direkt gewählt!

Zudem war McAllister nicht Christian Wulff, der 2008 immerhin 42,5, 2003 sogar 48,3 Prozent gewann. Sondern: Der Meister des Ungefähren – Festlegen war nicht sein Metier, er liebte die Politik des Ausgleichs – hatte Landesvaterattitüden und tat alles, möglichst schnell fast alle Bande zu seinem Ziehvater und Vorgänger Wulff zu kappen: Mit dem ständig betonten ‚Ich kann Wirtshaus, nicht roten Teppich‘ wollte er anders als der doppelte Wahlgewinner sein. Mit seinen Attributen ‚durchsetzungsfähig‘, ‚kennt das Land gut‘, ‚engagiert‘, ‚kompetent‘, ‚trotz seiner Jugend erfahren‘ dominierte er zwar seinen Herausforderer Weil, doch ihm fehlten ‚weiche‘ Komponenten wie ‚Kenntnis der Probleme kleiner Leute‘ sowie ‚Glaubwürdigkeit‘. Dennoch war McAllister im eigenen Lager optimal verankert: Fast 90 Prozent der eigenen Anhänger wünschten sich McAllister als Ministerpräsidenten. Bei Weil waren es nur zwei Drittel.

Die Union hat mit McAllister kaum etwas ziemlich falsch, wenig aber auch wirklich richtig gemacht. Vor allem fehlte ihr ein Aktivierungsthema, das die Bürger an die Wahlurnen zog. Eine etwas laue, für die meisten aber auch nicht schlechte Politik ohne tatsächliche Bürgernähe war sein Markenzeichen.

Damit ist McAllister als Nachwuchsprimus und CDU-Hoffnungsträger lädiert! Nach den letzten CDU-Wahlniederlagen in Baden-Württemberg, NRW, Hamburg und Schleswig-Holstein muss der Merkelgetreue trotz des Images als Nachwuchsklügster erst mal eine Karrierewarteschleife einlegen.

Die SPD verpasste ein besseres Ergebnis vor allem wegen Peer Steinbrück, dessen Anmerkungen 60 Prozent der Niedersachsen als wenig hilfreich ansahen. Schlimmer noch: 52 Prozent halten Steinbrück für einen konservativen, nur 23 Prozent für einen sozialen Politiker! Das passt wenig zum sozialdemokratischen Profil.

Zudem mangelt es ihrem Spitzenkandidaten Weil an Kernigkeit: Zwar gilt er als guter Verwaltungsmann – anständig, verantwortungsbewusst –, andererseits aber als wenig kampagnenfähig, so dass er nur wenige Wechselwähler anzog, aber auch kaum SPD-Stammwähler vergraulte. Weils Themenschwerpunkte, Wegfall der Studiengebühren, mehr Ganztagsschulen, mehr Krippenplätze, untermauerten immerhin das SPD-Image von ‚Sozialer Gerechtigkeit’!

Die politische Agenda bestimmten hingegen die Grünen, die wirkliche Alternativen zur CDU aufzeigten und somit zur treibenden Koalitionskraft wurden. Weil viele die gemeinsame Koalition ‚fortschrittlicher‘ haben wollten, gewannen sie allein 50.000 Stimmen von der SPD.

‚Ehrlichkeit – Vertrauen – Bürgernähe‘ machten die Grünen zur eindeutig dritten Kraft. In Zeiten, in denen die immer komplexer werdenden Probleme vom Wähler längst nicht mehr durchschaubar sind, entscheiden weiche Werte die Wahl. Dennoch haben die Grünen, die ihre 19-jährige Oppositionszeit mit der Doppelspitze Anja Piel und Stefan Wenzel hauchdünn beendeten, nun ein Problem, da sie im Gegensatz zu früher die ersten Plätze der Landesliste mit linken Kandidaten füllten. So haben sie nun wenig Chancen, in der Regierungsarbeit ein Gegengewicht der Mitte zu stellen.

Und was sind die Lehren aus Niedersachsen?

  • Die willkürliche Fünf-Prozent-Hürde kann Wahlen entscheiden.
  • In acht Monaten verspricht die Bundestagswahl einen Lagerwahlkampf.
  • Es wird ein langer Weg für die Leihstimmenpartei FDP, wieder Profilpartei zu werden.
  • Rössler könnte bleiben, kann nun aber seinen ‚teuren‘ Abschied selbst bestimmen.
  • Peer Steinbrück bleibt Merkel-Herausforderer, selbst wenn es die SPD ohne ihn leichter hätte.
  • Die bürgernahen Grünen haben das beste Gegenkonzept zur Union – und bleiben klar dritte Kraft.
  • Die Linke ist wieder zur Ostpartei reduziert.
  • Und die Piraten sind noch schneller verschwunden, als sie kometenhaft aufstiegen.

 

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