#Geschäftsmodelle

Netz contra Verlage: Der Schiedsrichter-Platz in der Mitte ist zu bequem geworden

von , 13.12.12

Da mich Stephan Dörner nur bei der ersten „Lebenslüge“ der „Digitalen Avantgarde“ (zu der ich nicht gehöre) in Mithaftung nimmt, will ich auch nur dazu etwas sagen: Dörner meint indirekt, die Verlage hätten das Internet aus reiner ökonomischer Vernunft verschlafen: sie hätten einfach keine Möglichkeit gesehen, im Internet auf Anhieb Geld zu verdienen, also haben sie’s vernünftigerweise gelassen. Und der britische Guardian, der von den „Avantgardisten“ oft als lebender Gegen-Beweis angeführt wird, sei in Wahrheit ein ökonomisches Desaster. Die rigide Online First-Strategie des Chefredakteurs habe nur zu außerordentlichen Verlusten geführt.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie das Internet Mitte der neunziger Jahre in den Redaktionen der großen Verlage auftauchte. Uns Redakteuren (ich war damals bei Gruner & Jahr) wurde der Internetanschluss mit der Begründung verweigert: Das ist viel zu teuer. Das hält euch nur vom Arbeiten ab. Man war gezwungen, zum Chef vom Dienst zu gehen, wenn man „im Internet“ mal etwas nachschlagen wollte. Später wurde dann Wikipedia verteufelt und als seriöse Quelle ausgeschlossen. Die ganze Haltung zum Web war negativ besetzt und auch ein bisschen dünkelhaft von oben herab. Bernd Buchholz, der Ex-Vorstandsvorsitzende von Gruner & Jahr, hielt bis zuletzt wenig von diesem Zeug. Nur Spiegel Online preschte schon 1996 als erstes deutsches Newsangebot voran und blieb seither Marktführer. Später kamen Springer, Holtzbrinck und Burda ebenfalls auf den Trichter.

Natürlich dachte ich in meiner Naivität, das Wort Verleger käme von „in Vorlage gehen“. Doch beim Internet schreckten sie zurück, während Guardian-Chef Alan Rusbridger einfach Googles und Facebooks Spuren folgte: Mit allen Mitteln, und sei es mit kostenlosen Vorleistungen und herben Verlusten, Reichweite erzielen, Marktanteile. Denn im Informationszeitalter erobert ja niemand mehr „weiße“ Flecken auf einem dünn besiedelten Erdball – man drängt sich in die bereits dicht besetzten Märkte. Ist die Reichweite, das vorrangige Ziel, geschafft und gesichert, kümmert man sich um das nachrangige Ziel: das Geld verdienen. Denn hat man erst einen uneinholbaren Vorsprung, verfügt man über alle Zeit der Welt. Mit dem erreichten Marktanteil fällt das Geld verdienen ungleich leichter, Google kann ein Lied davon singen. Der Unterschied zwischen Google und den deutschen Presseverlagen ist der: Erstere glaubten an ihre Idee. Sie wussten, dass die Zeit auf ihrer Seite ist.

Und die Verleger? Sie schwammen in ihren Geldspeichern herum. Unter den reichsten Deutschen finden sich auch heute noch auffallend viele Verleger. Doch ins Risiko gehen – das hatten sie total verlernt. Weder ein soziales Netzwerk noch eine Suchmaschine haben sie entwickelt. Im Internet kleckerten sie ein wenig herum – anstatt zu klotzen. Enorm viel Zeit verloren sie mit kindischen Schaukämpfen gegen ARD und „Webkommunisten“.

Heute sehen manche Verantwortliche ein, dass das falsch war. Etwa der neue Bertelsmann-Vorstandsvorsitzende Thomas Rabe. Auch Springer, Holtzbrinck und Burda sind jetzt vorne mit dabei. Und kurioserweise habe ich vor wenigen Wochen – wie Dörner jetzt – über jene „Netzavantgardisten“ hergezogen, die den Verlagen immer bloß Nichtstun attestieren. Der Beitrag hieß: „Der bequeme Mythos von den angeblich innovationsunfähigen Verlagen“.

Insofern, lieber Stephan Dörner, haben Sie der Endlosschleife in diesem Diskurs nur eine weitere (sehr lesenswerte) Umdrehung hinzugefügt. Es wird nicht die letzte gewesen sein.

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