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Gelesen: Klaus Jarchow, “Nach dem Journalismus”

von , 22.10.12

Vorab: Wer sich bei F.A.Z., Süddeutscher, ZEIT, Broder, Matussek und Seibel stilistisch wie inhaltlich stets gut aufgehoben fühlt, braucht gar nicht weiterzulesen. Wer aber wissen möchte, wie Sprache ‘funktionieren’ kann, wie man einen lesenswerten Text baut, wer Leser auf seine Website locken will, der ist hier richtig.

Besucher von Klaus Jarchows Blogs “Sargnagelschmiede” und “Stilstand” ahnen, was auf sie zukommt: Eine leidenschaftliche und pointierte Auseinandersetzung mit dem Journalismus, mit Schreibweisen, Ideologien und Protagonisten. Vor allem aber mit Sprache. Und mit Blogs. Darum geht es in diesem Buch, denn Schreiben im Internet ist für Jarchow die folgerichtige Fortführung des Journalismus auf Papier, nachdem die alte Top-down-Hierarchie sich gerade rasant auflöst: Edelfedern sind nicht mehr die Weltdeuter und Meinungsbildner, die sie jahrhundertelang waren. Blogger, lernt schreiben!

Jarchow vergleicht den Medienwandel mit den Umwälzungen durch die Erfindung des Buchdrucks und die Reformation: Erst durch den Bedarf an Druckerzeugnissen während der Kirchenrevolution konnte sich die neue Technik durchsetzen, während andererseits ohne sie die neuen Thesen niemals solche Verbreitung gefunden hätten. Gleichzeitig hat ein Preisverfall für Druckwerke stattgefunden, der dem heutigen, durch die Digitalisierung und das Lesen am Bildschirm bedingten, absolut vergleichbar ist.

Allerdings erfordert das Medium Internet andere Erzählweisen. Der nächste, womöglich bessere Text ist immer nur einen Klick weit weg, und Leser wollen überzeugt werden, warum sie gerade unseren und eben nicht den anderen bevorzugen sollen.

Als Unterstützung bietet dieses Buch vier sachlich gegliederte Teile an:

Einen, der den Status quo beschreibt und darlegt, weshalb herkömmliche Diktionen nicht mehr funktionieren. Einen ausführlichen handwerklichen Teil, der Gott sei Dank in nichts dem ähnelt, was man bei Schreiblehrern wie Wolf Schneider, in Stein gemeißelt, seit Jahrzehnten lesen kann. Beantwortet wird zum Beispiel die Frage, weshalb man eben doch Füllwörter benutzen soll, oder warum dreimal Gesagtes wahr zu sein scheint. Und wieso hat man eigentlich seit der Schulzeit den Umgang mit Adjektiven so verlernt?
Ein weiterer Teil zeigt, wie man eine gute Geschichte baut, und wie unverzichtbar die ganz eigene Handschrift des Autors ist. Schließlich einer, der sich mit den “Himbeertoni”- und “Tanja-Anja”-Texten der Public Relations-Abteilungen auseinandersetzt. Das ist äußerst unterhaltsam (“Mutanten unter sich”, “Gepflegter pöbeln”) und verleitet sehr zu “ja, genau!”-Ausrufen. In diesem Teil werden außerdem mit einiger Verve “Die Alphajournalisten” durchgenommen und Alphablogger von Don Alphonso bis Johnny Haeusler betrachtet.

Bei alldem ist Jarchow fühlbar engagiert: Er begeistert sich für die Möglichkeiten des Schreibens in einem Netz, das nie voll wird, das durch Verlinkungen viel aufregender ist, als es das zweidimensionale Print je sein konnte, und in dem ein ehrlicherer Ton sich durchsetzt. Diese Begeisterung gibt er weiter.
An vielen Stellen merkt man aber auch die Wut über den “Industrieton”, über langweilige und immergleiche Stücke, über die Ignoranz, die keine anderen Götter neben den Lichtgestalten des deutschen Verlagsjournalismus’ zulassen will, über die Nichtachtung der Leser. Der sterile Verlautbarungsstil der Zeitungen gehört für ihn ebenso auf den Müll wie die grässliche, pseudo-sachliche Verbreitung persönlicher Ideologien.

Auch die scheinbar ewig gültigen Regeln, die an Journalistenschulen immer noch als Glaubensbekenntnis hochgehalten werden, müssen endlich weg. Jarchow fordert etwa auf, Glaubenssätze wie die W-Fragen (wodurch schon in der Einleitung der gesamte Inhalt zusammengefasst wird), genauso über den Haufen zu werfen wie das sinnlose “Ich-Verbot”. Lieber sollten wieder Geschichten erzählt und die Persönlichkeit des Autors sichtbar werden. Literarische Vorbilder wie der geniale Reporter Hemingway seien dafür eine ebenso gute Richtschnur, wie der Blogger, Journalist und akribische Hintergrund-Rechercheur Jens Berger.

“Nach dem Journalismus” ist ein Buch für alle, die abseits der SEO ‘ins Internet schreiben’ wollen, ganz gleich, ob beruflich oder privat. Es geht um nichts weniger als das Rüstzeug für die Zukunft des Schreibens – sofern man darunter die Wieder-Hinwendung zum Leser und seinen Bedürfnissen versteht.
Neben der Vermittlung eines handfesten Anliegens – Werdet besser! – ist das Buch höchst unterhaltsam zu lesen, was ebenso an der sehr persönlichen Schreibe des Autors wie an den vielen kleinen und größeren Seitenhieben auf bekannte Personen, Zeitungen und Blogs liegt. All diese kleinen Sottisen sind jedoch nicht Selbstzweck, sie werden sorgsam begründet und als lebendige Beispiele herangezogen.

Dabei legt Klaus Jarchow die Latte hoch, denn gutes Schreiben setzt auch die Beschäftigung mit den eigenen Wünschen und Zielen voraus, abseits der gehypten Selbstdarstellung oder flüchtiger Moden. Die vielen Beispiele laden zur Selbstreflektion und zum kritischen Direktvergleich ein. Das Buch ist keine Baukasten-Anleitung nach dem Prinzip, “How to build your own working Pulitzer Price”. Es erfordert Mitdenken, innere Rückfragen und das Eingeständnis der eigenen, schlechten sprachlichen Angewohnheiten, belohnt dies aber mit einigen soliden Techniken und der Fähigkeit, einen guten Text zu erkennen, wenn man ihn sieht. Das größte Plus für mich ist aber die Leidenschaft, mit der Klaus Jarchow streitet: Für lesbare und lesenswerte Texte nach dem Journalismus.
 
Klaus Jarchow, Nach dem Journalismus · Schreiben in Zeiten des Web 2.0
 

Klaus Jarchow, Nach dem Journalismus · Schreiben in Zeiten des Web 2.0, 624 Seiten, Frankenfeld 2012
epubli, E-Book 7,99 €, Book on Demand 39,99 €
 

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