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Das Janusgesicht des geistigen Eigentums

von , 18.9.12

Für Leute, die es gern ordentlich haben, ist das deutsche Urheberrecht ein Graus. Systematiker verzweifeln an ihm, penible Rechtswissenschaftler greifen sich an den Kopf und Begriffsfetischisten argumentieren sich mit Hilfe seiner Paragraphen in einen Wald, den man vor lauter Bäumen gar nicht mehr sehen kann.

Für Leute also, die Ordnung und Systematik schätzen, ist das deutsche Urheberrecht die ultimative Herausforderung. Seit 100 Jahren versuchen sich kluge Köpfe an einer Neuordnung – es gelingt ihnen aber nicht, denn unsere Rechtsphilosophen und Begriffsjuristen sind dermaßen verliebt in ihre Haarspaltereien und pathetischen Irrationalismen, dass die Formulierung eines klaren positiven Rechts durch Rechthaberei nur weiter verzögert wird.

Dazu gehört z.B. der religionskriegähnliche Streit um Inhalt und Begriff des „geistigen Eigentums“, der einen nicht zufällig an den Streit um des Kaisers Bart erinnert.

 

Romantische Verstrickung

Das moderne deutsche Urheberrecht – entwickelt unter dem Eindruck der französischen Revolution (und in Preußen 1837 erstmals kodifiziert) – ist bis zum heutigen Tag eine romantische Verquickung von Persönlichkeits- und Vermögensrechten, die so unauflösbar miteinander verquirlt sind, dass nur Explosivstoffe oder starke Zentrifugen die beiden Rechte wieder voneinander trennen können.

Das geistige Werk, das ein Urheber aus seinem Innersten heraushebt – wie die Romantiker glauben -, existiert zwar nach der Schöpfung als ein selbstständiges Wirtschaftsgut außerhalb seines Schöpfers, bleibt aber dennoch auf geheimnisvolle Weise mit diesem verbunden! Das Werk bleibt ein Teil der Schöpfer-Persönlichkeit auch dann, wenn der Schöpfer alle Nutzungsrechte an diesem Werk an einen Verwerter abgetreten hat. Denn die Beziehung des Schöpfers zu seinem Werk ist nicht abtrennbar oder übertragbar. Für Verwerter und Nutzer ist diese fast schon mystische Rückbindung bis heute ein steter Quell des Ärgernisses.

Doch für die Urheber war die ‚Erfindung’ des romantischen „Autorrechts“ ein enormer Fortschritt. Es ist der Arbeits- und Eigentumstheorie John Lockes verbunden, und wurde von Naturrechtsphilosophen, Aufklärern und Idealisten (Kant, Fichte, Hegel) definiert und erstritten.

Vor allem der Begriff des Eigentums, der vielen Netzpolitikern so große Bauchschmerzen bereitet, wurde damals aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleitet, nicht etwa umgekehrt! Geistiges Eigentum war eine Folge der bürgerlichen Persönlichkeit und damit der Freiheit des Individuums (Hegel!). Nur in einem freien Bürger konnte etwas so Fundamentales wie das (An-)Recht auf Sachen entstehen – und zwar auf körperliche wie auf unkörperliche. Das Eigentumsrecht galt als Unterform des sehr viel umfassenderen Persönlichkeitsrechts. An diese idealistische Tradition knüpfen Schriftsteller, Tatort-Autoren oder Chefredakteure an, wenn sie pathetische Manifeste und wortmächtige Wutreden für den Schutz des geistigen Eigentums unterzeichnen. Sie verkennen lediglich, dass wir uns nicht mehr in der Romantik, sondern bereits am Anfang der nächsten Revolution befinden.

 

Der Denkfehler der Netz-Schlaumeier

Das Urheber-Persönlichkeitsrecht ersetzte in der Zeit der Romantik allmählich den Begriff des „geistigen Eigentums“, das bis zu dieser Wende als reines Immaterialgüterrecht verstanden wurde. Denn in vor-romantischer Zeit verkaufte ein Schöpfer sein Werk mit Haut und Haaren an einen Verleger. Das Werk blieb nicht – wie heute – mit seinem Schöpfer untrennbar verbunden. Die idealistische Vorstellung einer unauflösbaren Einheit von Schöpfer und Werk existierte noch nicht! Also betrachtete sich der Verleger nach dem Kauf des Manuskripts auch als hundertprozentiger Eigentümer des in den Druckbuchstaben enthaltenen geistigen Werks. Das Manuskript wechselte – wie die Fachjuristen sagen würden – „als restlos übertragbares Wirtschaftsgut“ für einen Batzen Geld den Eigentümer.

Wir rekapitulieren: Vor der bürgerlichen Revolution war das Urheberrecht ein rein vermögensrechtlich ausgerichtetes Verlagsrecht. Es schützte den Verleger vor dem (illegalen) Nachdruck „seiner“ (dem Autor abgekauften) Manuskripte. Bei der Durchsetzung dieses Schutzrechts half ihm in der Regel ein vom Feudalherrn verliehenes Privileg.

Wenn heutige Netz-Schlaumeier behaupten, unser gegenwärtiges Urheberrecht sei nichts anderes als ein Privilegienrecht der Verwerter, so blenden sie den für die Urheber wichtigsten Zeitabschnitt – die Romantik – einfach aus. Das heißt, sie unterschlagen die emanzipatorische Weiterentwicklung des Verlagsrechts zum Autorrecht.

 

Die Sonderstellung des Autors

Die Erfindung des bürgerlichen Persönlichkeitsrechts war auch der philosophisch-juristische Hebel, um den Autor als neuen „Player“ in das bis dahin nur auf Verleger beschränkte Interessenspiel einzuführen. Seit der Romantik stritten nämlich nicht mehr nur die Verleger untereinander um die Druck-Berechtigung, es stritten nun plötzlich zwei ganz verschiedene Parteien um dasselbe „geistige Eigentum“ – und die Verbraucher bzw. die Nutzer als dritte mögliche Partei stehen heute vor ganz ähnlichen Problemen wie seinerzeit die Autoren! Es bedarf also mindestens einer weiteren Revolution (inklusive einer nachfolgenden Romantik), um die Rechte der Nutzer ebenfalls als gleichwertig anzuerkennen.

Mit der Einführung des Persönlichkeitsrechts in das rein vermögensrechtlich ausgerichtete Verlagsrecht entstand allerdings auch das eingangs bereits erwähnte rechtsdogmatische Kuddelmuddel: Der Schutz der persönlichen, d.h. nicht-wirtschaftlichen Interessen der Urheber am Werk mischte sich nun a) mit den wirtschaftlichen Interessen der Urheber und b) mit den wirtschaftlichen Interessen der Verwerter. Diese Verquickung stürzte die Juristen – mit wenigen Ausnahmen – in begriffliche Konfusion. Das geistige Eigentum war einerseits im Sinne von a) und b) vollständig veräußerbar und deshalb zwischen den beteiligten Interessengruppen als Wirtschaftsgut frei regel- und verhandelbar, andererseits war es auch untrennbar mit der Gruppe der Urheber verwachsen.

Diese Sonderstellung der Urheber im modernen Urheberrecht verteidigen die Urheber seither mit Zähnen und Klauen (und exakt in diesem Punkt könnte es eines Tages zu einer Allianz aus Verwertern und Nutzern gegen die Hybris der Urheber kommen).

 

Das Janusgesicht des geistigen Eigentums

Im Laufe der Jahre wurden die juristischen Argumentationen – vor allem unter dem Eindruck einer zunehmend ideologisch geführten Eigentumsdebatte – so parteiisch, dass der „materielle Gehalt“ des geistigen Eigentums aus dem Blick verloren wurde. Diesen materiellen Gehalt könnte man in dem sperrigen Satz zusammenfassen:

„Geistiges Eigentum ist die Idee einer allein kraft Schöpfungsaktes in der Person des Erzeugers entstehenden ausschließlichen und übertragbaren Berechtigung am geschaffenen Geisteswerk.“ 

Der ursprüngliche Begriff des geistigen Eigentums meinte also nicht das Eigentum im landläufigen Sinn (wie das Sacheigentum) – er zielte vielmehr auf die Idee einer exklusiven und übertragbaren Berechtigung.

Das heißt: Schöpfer und Werk werden nach der Geburt erst einmal getrennt. Der Schöpfer hat lediglich die exklusive Berechtigung, das Werk zu verwerten! Er kann diese Berechtigung auch an Dritte übertragen. Damit steht das selbstständige, vom Schöpfer abgenabelte geistige Eigentum als handelbares Gut im Zentrum der juristischen Überlegungen, nicht der Besitzanspruch des Schöpfers. Zweck einer Schöpfung ist ja auch die Veröffentlichung, und nicht ihr Privatbesitz.

Der materielle Gehalt des geistigen Eigentums entspricht damit dem Begriff des Immaterialgüterrechts, wie ihn der deutsche Jurist Josef Kohler 1907 geprägt hat, um den ideologisch überfrachteten Begriff des Privateigentums zu vermeiden und das begriffliche Kuddelmuddel juristisch aufzulösen. Kohler schrieb:

„So sehr wir darum die konstruktive Bildung des geistigen Eigentums als eine jetzt überholte Konstruktion bekämpfen, so müssen wir ihr das verehrungsvolle Zeugnis geben, dass sie Jahrzehnte lang zur Verwirklichung des wahren Rechts mächtig beigetragen hat. Denn sie kommt der richtigen Konstruktion am nächsten und hätte erst aufgegeben werden sollen, als man die Konstruktion des Immaterialrechts gefunden hatte.“

 

Es geht nicht um Eigentum, es geht um Rechte

Kohler, davon ist der Schweizer Wirtschaftsjurist Cyrill P. Rigamonti überzeugt, hat die ideologische Verkürzung des geistigen Eigentums auf Privateigentum rückgängig gemacht und den rechtsdogmatischen Gehalt des geistigen Eigentums in seiner ursprünglichen Bedeutung „restauriert“. Diese ursprüngliche Bedeutung meint eben nicht Eigentum, sondern „ein Recht an einem außerhalb des Menschen stehenden, aber nicht körperlichen, nicht fass- und greifbaren Rechtsgut.“

Würde man Kohlers Sichtweise akzeptieren, könnte man die verschiedenen Interessen, die auf das gleiche Werk gerichtet sind, rechtlich zueinander in Beziehung setzen. Es würde nämlich anerkannt, dass Urheber, Nutzer und Verwerter ein prinzipiell gleich-berechtigtes (wenn auch unterschiedliches) Interesse an sämtlichen geistigen Schöpfungen haben. Die Sonderstellung der Urheber, die im heutigen Recht dafür sorgt, dass die Beziehungen zwischen Nutzern, Verwertern und Urhebern so kompliziert sind, würde kassiert.

Kohler, so Rigamontis Überzeugung, vollendete damit die Entwicklung des Urheberrechts vom einstigen Verlags- zum kommenden Immaterialgüterrecht, indem er das Recht des geistigen Schöpfers an einem außerhalb seiner Person existierenden Gut etabliert, und so die schwierige und zu Missverständnissen führende romantische Konstruktion des mit seinem Schöpfer verwachsenen Eigentums eliminiert.

 

Vom Urheber- zum Immaterialgüterrecht

Kohlers Vorstellungen entsprachen allerdings nicht den sozialen Interessen seiner Zeit, und so wandte sich die Debatte in den folgenden 100 Jahren wieder von seiner Immaterialgüteridee ab. Man pflegte das „geistige Eigentum“ eher als sozial-politischen Kampfbegriff, anstatt seinen ursprünglichen Gehalt als Chance für einen neuen Interessenausgleich zwischen Verlegern, Autoren und Verbrauchern zu begreifen.

Auch in den Jahren der Weimarer Republik hat sich die Auffassung weiter verfestigt, dass das Urheberrecht einzig und allein den Urhebern zu dienen habe und für deren Interessenmaximierung geschaffen sei. Die Rechtsprechung der Bundesrepublik und die Urteile des Bundesverfassungsgerichts haben diese Sichtweise übernommen. Deshalb wurden sämtliche Einschränkungen des Urheberrechts zugunsten anderer Interessen (wie etwa denen der Verbraucher) als „Ausnahmen“ oder „Schrankenregelungen“ formuliert und meist mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Artikel 14 Grundgesetz begründet.

Die ideologische Aufladung des Begriffs „geistiges Eigentum“ erfolgte im übrigen nicht von rechts, wie manche Netzpolitiker vielleicht glauben, sondern von Seiten der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften, die im Urheberrecht den geeigneten Hebel sahen, Künstlern ein gesichertes Einkommen zu verschaffen. Erst spät erkannten die Verwerter, dass der Begriff des geistigen Eigentums auch für ihre Interessen hervorragend einsetzbar ist, insbesondere zur Abwehr der mit dem Internet aufkommenden Nutzer-Interessen. Die heute bestehende große Koalition aus Urhebern und Verwertern für ein politisch verstandenes „geistiges Eigentum“ ist dieser historischen Entwicklung geschuldet.

Es nützt den (häufig liberal oder libertär gesinnten) Netzpolitikern unserer Tage deshalb wenig, den stolzen und unterschriftsfreudigen Urhebern immer wieder ihren „veralteten Begriff vom geistigen Eigentum“ um die Ohren zu hauen. Die Urheber werden diesen Begriff weiter verteidigen. Denn ihre Emanzipationsgeschichte ist damit verbunden.

Wesentlich produktiver für alle Beteiligten wäre es, wenn die heutigen Netzpolitiker den ungeliebten Begriff endlich akzeptieren würden, ihm aber sein ideologisches Mäntelchen ausziehen und konstruktiv mit ihm arbeiten – im Sinne der Schaffung eines modernen Immaterialgüterrechts.

 

Leseempfehlungen: Cyrill P. Rigamonti, Geistiges Eigentum als Begriff und Theorie des Urheberrechts (Dissertation der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich), Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2001; Ludwig Gieseke, Vom Privileg zum Urheberrecht, Die Entwicklung des Urheberrechts in Deutschland bis 1845, Nomos Verlagsgesellschaft, Göttingen 1995;

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