#Architektur

Stadt, Lab, Frust? Das BMW Guggenheim Lab macht Station in Berlin

von , 30.5.12

Nach zehn Wochen in New York macht das BMW Guggenheim Lab ab Mitte Juni Station in Berlin. Das Projekt versteht sich als “urbane Ideenschmiede” und “multidisziplinäre Begegnungsstätte”, die es Praktikern und Forschern aus den Bereichen Architektur, Design, Technik, Bildung und Nachhaltigkeit ermöglicht, „zukunftsweisende Lösungsansätze“ für das Leben in der Stadt zu schaffen und darüber in den Dialog mit der Öffentlichkeit zu treten.

Ursprünglich wollten die Organisatoren mit ihrer mobilen Hallenkonstruktion dorthin, wo zurzeit alle hin wollen und der Wandel Berlins zum Anziehungspunkt für Investoren und Easyjet-Setter aus aller Welt deutlicher zu Tage tritt als sonst wo in der Stadt: ans Kreuzberger Spreeufer. Mit BMW als Geldgeber und dem kuratierenden Guggenheim Museum haben sich zwei Akteure zusammengetan, denen in Sachen PR und Marketing eigentlich niemand etwas vormacht. Man wolle sich mit dem Lab „ein Publikum erschließen, das bisher nicht zwangsläufig mit BMW in Verbindung kommt“, hatte der Leiter der BMW-Markenkommunikation gegenüber Werben & Verkaufen Anfang des Jahres erklärt.

An Publikum mangelte es dem Projekt von Anfang an wahrlich nicht – wenn auch einem anderen als beabsichtigt. Denn unmittelbar nach Bekanntwerden der Pläne formierten sich Anwohnerinitiativen und Gentrifizierungsgegner. Weil auch Angriffe auf das Gelände angedroht wurden, gaben die Macher den Standort auf und zogen auf das Pfefferberg-Gelände im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Der war mal so hip wie heute Kreuzberg. Ist aber ewig her. Drei Jahre mindestens.

Das BMW Guggenheim Lab, dessen inhaltliche Ausrichtung im Verlauf der hitzigen Debatte um den Standort und die Interessen des Sponsors bislang kaum diskutiert wurde, ist auch Thema einer Veranstaltung der American Academy. Carta streamt die Diskussion Civic Engagement through Urban Intervention: The BMW Guggenheim Lab am 31. Mai ab 19:00 Uhr live (in englischer Sprache).

Vorab ein Gespräch mit zwei der Panelisten, der Architektursoziologin Cordelia Polinna und dem Architekten Wilfried Wang, über das BMW Guggenheim Lab, Protest und Innovationen aus der Zivilgesellschaft.
 

Leonard Novy: Zu den Stichworten „urban intervention“ und „civic engagment“: Nicht zuletzt im Zuge von Stuttgart 21 ist der Begriff des bürgerschaftlichen Engagements gemeinhin anders besetzt als durch Großkonzerne wie BMW. Worin – wenn überhaupt – sehen Sie den Bedarf und das Potential des BMW Guggenheim Labs?

Wilfried Wang ist O’Neil Ford Centennial Professor in Architecture an der School of Architecture der University of Texas at Austin und Gründungspartner von Hoidn Wang Partner. Seit 2010 ist er Mitglied der Akademie der Künste in Berlin sowie Projektkoordinator für das Raumortlabor Hombroich. Er ist Moderator des Panels.

Wilfried Wang: In der sachlichen Analyse der Probleme, in der Definition von Lösungen, in der Bündelung von Forderungen an die Politik zu Themen der Stadtentwicklung, der Daseinsfürsorge, der Sicherstellung hoheitlicher, öffentlicher Rechte.

Cordelia Polinna: Wenn das BMW Guggenheim Lab verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteuren eine Plattform bietet, kann das durchaus eine positive Wirkung haben. Ob sich eine solche positive Wirkung entfalten kann, hängt aber sehr stark von der individuellen Programmgestaltung des Labs ab.

Leonard Novy: Die Proteste gegen das Lab richteten sich einerseits gegen die befürchtete Aufwertung eines in den letzten Jahren mit Immobilienspekulation und steigenden Mietpreisen, Tourismusboom und sozialer Entmischung kämpfenden Viertels. Andererseits steht das Projekt, das den Markennamen BMW ganz selbstverständlich trägt, unter Verdacht, eine reine Marketingaktion zu sein. Ist das Unbehagen aus ihrer Sicht berechtigt?

Cordelia Polinna: Ja, zudem auch mit dem Begriff „Guggenheim-Effekt“ ganz eindeutig die Aufwertung von Gebieten durch ein Kulturgroßprojekt beschrieben wird – in Anlehnung an die Transformation der Stadt Bilbao nach der Eröffnung des Guggenheim Museums.

Wilfried Wang: Unbehagen ist immer berechtigt, dieses Unbehagen sollte mit einem Interesse an Aufklärung verbunden sein. In einer Zeit der Privatisierung von fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens, oder der Einflussnahme von Privaten in hoheitliche Bereiche – einschließlich der von Konzernen und ihren Lobbyisten gesponserten Mitarbeiter in Bundesministerien in Vorbereitung oder Beeinflussung von Bundesgesetzen – , kann man nicht vorsichtig genug sein.

Wenn BMW auf die Inhalte des BMW Guggenheim Lab keinen Einfluss ausübt, dann gäbe es keine Gründe, warum BMW und Guggenheim den Kooperationsvertrag nicht veröffentlichen könnten. Über diese Frage der inhaltlichen Unabhängigkeit hinaus gilt es die Fragen zu stellen:

  1. What’s in a name? Warum überhaupt BMW dem Namen Guggenheim vorangestellt? Warum nicht einfach Guggenheim Lab?
  2. Warum Berlin? Warum Kreuzberg, Pfefferberg?
  3. Will BMW von diesem Experiment selbst lernen um seine Produktpalette zu verändern? (Der ehem. Aussenminister ist Berater von BMW)
  4. Welcher Glanz soll letztlich durch diese Verbindung mit dem Guggenheim auf die Marke BMW fallen?
  5. Ist BMW bereit, offen über seine Interessen zu sprechen?

Leonard Novy: Die Förderung zivilgesellschaftlicher Prozesse etc. wird landauf, landab – auch auf Carta – diskutiert. Worin besteht die spezifische Bedeutung von Lokalität und Raum bzw. von Stadt in der heutigen Debatte über Zivil- bzw. Bürgergesellschaft?

Cordelia Polinna ist Leiterin Fachgebiet Architektursoziologie and der Technischen Universität Berlin sowie Mitgründerin von Polinna Hauck – Landscape + Urbanism und der Initiative “think berl!n.“ Sie nimmt an der Diskussionsrunde teil.

Cordelia Polinna: Aufgrund der engen Verknüpfung von Stadt und Raum mit der Lebenswelt der Menschen lassen sich Bürger gut zu zivilgesellschaftlichem Engagement motivieren. Veränderungen der Lebensqualität durch bauliche oder stadtplanerische Projekte können starke Emotionen auslösen, sehr konkrete Fragen stellen sich. Zu diesen Fragen können Bürger oder zivilgesellschaftliche Akteure oft leichter Stellung beziehen, als zu abstrakten Fragestellungen.

Wilfried Wang: Jeder Mensch steht in mehrschichtigen Beziehungen zum Lebensort. Raum ist dabei flexibel: isolierender Puffer wie Begegnungsfeld, Bewegungsbereich wie Maßstabsgeber. Das gleiche gilt für weitere Personen und Aktivitäten, die jede Person umgeben. Sie sind Beziehungsoptionen. Man definiert die eigene Persönlichkeit über diese Beziehungen, man kann sie wahrnehmen, sie in Anspruch nehmen, sie genießen, sie meiden, sie konsumieren, sie ignorieren.

Das Phänomen Zeit potenziert diese Beziehungen.

Behaglichkeit, Geborgenheit, Sicherheit, Komfort, Heimat sind Eigenschaften, nach denen sich jede Person normalerweise sehnt, die sich besonders räumlich definieren. Fehlen diese Eigenschaften, kann sich eine Person auch nicht wohlfühlen (egal, ob in einem städtischen oder suburbanen oder ländlichen Kontext). Das ist nicht erst heute so, aber diese Frage der lokalen Verortung gewinnt desto mehr an Bedeutung, je abstrakter und unabhängiger globale Kräfte agieren und eben diese Eigenschaften in Frage stellen.

Leonard Novy: Welche Rolle spielt bürgerschaftliches Engagement für die Innovationsfähigkeit von Städten? Aus Sicht von Stadtplanung und Architektur: fallen Ihnen Beispiele für besonders erfolgreiche Interventionen durch zivilgesellschaftliches Engagement ein, konkrete Projekte, „Spuren“ solcher Projekte in der Stadt?

Cordelia Polinna: Bürgerschaftliches Engagement kann eine große Rolle für die Innovationsfähigkeit von Städten spielen, denn diese Akteure denken oft viel „frischer“ und freier, viel weniger innerhalb eingefahrener Strukturen, und sind weniger durch Sachzwänge belastet als etwa Parteien oder die Verwaltung. Ein sehr gutes – etwas älteres – Beispiel für ein erfolgreiches zivilgesellschaftliches Engagement ist die Internationale Bauausstellung 1987, bei der die Hausbesetzerszene und Mieterinitiativen äußerst wichtige Impulse für die Entwicklung der „behutsamen Stadterneuerung“ geliefert haben. Ein spannendes neues Beispiel ist die Internetplattform Nexthamburg.

Leonard Novy: Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein? Welches stadträumliche „Setting“, welche Freiräume, welche Art politischer Unterstützung brauchen Initiativen, die aus Pfadabhängigkeiten, Sachzwängen und ritualisierten Debatten ausbrechen wollen und stattdessen Visionen entwickeln und um Zukunftsmodelle ringen?

Wilfried Wang: Voraussetzungen sind: langfristiges Interesse, Ansammlung unterschiedlichster Fachrichtungen, persönliche “Chemie”, Unkorrumpierbarkeit, gute Vernetzung, inoffizielle Informationsbeschaffung, gesunder Zynismus, effektive Verbindung zu öffentlichen Medien, Zeit, und ganz am Ende auch Geld und politische Unterstützung. Mindestens aber, dass man irgendwann von der Öffentlichkeit, der Politik und der Verwaltung ernst genommen wird.

Cordelia Polinna: Vor allem braucht es eine Offenheit der Verwaltung und der Politik und auch der (Immobilien-)Wirtschaft für neue Modelle der Kooperation. Im Zuge des Bedeutungsgewinns von „Localism“ beziehungsweise einer Verlagerung von Macht auf Bürger und lokale und bezirkliche Strukturen können neue Handlungsoptionen für bürgerschaftliches Engagement entstehen. Es besteht jedoch auch die Gefahr, dass jeder Bezirk, jeder Kiez nur noch für sich denkt und die Stadtregion ihren Zusammenhalt verliert. Das NIMBY-Syndrom darf nicht Überhand gewinnen.

Live-Stream der Podiumsdiskussion Civic Engagement through Urban Intervention: The BMW Guggenheim Lab ab 19:00 Uhr hier auf Carta

 

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