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Arbeitsabläufe in Online-Redaktionen: Viel Gleiches, wenig Experimente

von , 23.5.12

In den vergangenen drei Monaten erstellte ich meine Diplomarbeit zum Thema Arbeitsabläufe in Online-Redaktionen. Ich fragte: Inwiefern unterscheiden sich die Arbeitsabläufe in Online-Redaktionen von Tageszeitungen und (öffentlich-rechtlichen) Rundfunkanbietern? Welche Gründe haben mögliche Unterschiede und welche Chancen und Risiken lassen sich daraus ableiten, sowohl für die einzelnen Typen von Online-Redaktion, als auch für den Online-Journalismus insgesamt?

Um diesen Fragen nachzugehen besuchte ich die Redaktionen von tagesschau.de, sueddeutsche.de, hr-online und fnp.de und sprach mit Verantwortlichen. Die Erkenntnisse meiner Arbeit stehen daher unter der Einschränkung, dass die besuchten Redaktionen nicht zwangsläufig als repräsentativ gelten müssen und die dort gewonnenen Erkenntnisse somit nicht zwangsläufig übertragbar sind. Es gibt aber gute Gründe, Übertragbarkeit und Repräsentativität, zumindest in vielen Bereichen, anzunehmen. Veröffentlichungen verschiedener Journalistik-Forscher untermauern dies weiter.

Es fiel auf, dass die Online-Redaktionen untereinander viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Diese konzentrieren sich vor allem auf den ordinären Online-Nachrichtenbetrieb. Was die Redaktionen selbst produzieren und wie sie es tun – darüber herrscht relativ große Übereinstimmung. Es ließ sich feststellen, dass die Redaktionen unabhängig von ihrem Stammmedium speziellen Anforderungen des Online-Journalismus unterworfen sind. Um diese zu erfüllen, haben sie gleiche oder zumindest vergleichbare Lösungen entwickelt und umgesetzt.

Dies führt etwa dazu, dass die Redaktionen alle nach einem Schichtsystem arbeiten, welches auffallende Parallelen aufweist. Es führt dazu, dass sie vorrangig Texte produzieren – obwohl gerade in dieser Hinsicht das Multimedium Internet andere Hoffnungen weckt – und es führt dazu, dass sie ähnliche räumliche Strukturen in ihren Newsrooms geschaffen haben. Es hat sich also durchaus eine für den Online-Journalismus typische Arbeitsweise herauskristallisiert.

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Tageszeitungen sind enger mit Online-Redaktion verwoben

Aber wie erwartet, existieren auch Unterschiede: So weisen zum Beispiel die vorherrschenden Ausbildungswege der Online-Redaktionsmitglieder tendenziell eine Nähe zum Stammmedium auf. Die meisten Unterschiede sind jedoch in Bereichen anzutreffen, die unter dem Begriff „Konvergenzbemühungen“ gefasst werden können. Die Medienhäuser versuchen möglichst effektiv gemeinsame Ressourcen für das Online- wie für das Stammmedium zu nutzen und die einzelnen Produkte sinnvoll und auch – im Fall der privatwirtschaftlichen Verlage – gewinnbringend zu verzahnen.

Unter diesem Gesichtspunkt dienen die Online-Angebote einerseits als Werbung für sonstige Produkte des Medienhauses. Sie sind aufgrund ihrer Kostenlosigkeit aber andererseits mit der Angst der „Kannibalisierung“ belastet. Tendenziell sind die Tageszeitungen enger mit dem Online-Medium verwoben, als die Rundfunk-Anbieter.

Als größter Unterschied ist sicherlich die Zweiteilung des Tages in den Online-Ablegern der Tageszeitungen anzusehen. Auch sie hat mit Konvergenzbemühungen zu tun: Die Tätigkeit der Redakteure wandelt sich in Online-Redaktionen von Tageszeitungen ab dem Nachmittag häufig, weil dann in der Regel zumindest ein Teil der Arbeitszeit nicht auf das Erstellen von eigenen Beiträgen verfällt, sondern auf das Auswählen und online-gerechte Aufbereiten von Inhalten aus der Zeitung. Bei den Kollegen aus Rundfunk-Häusern ist diese Aufgabe gleichmäßig über den Tag verteilt und/oder aufgrund der gelieferten Formate nicht Aufgabe der Redakteure.

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Öffentlich-Rechtliche könnten Versuchskaninchen sein

Den Öffentlich-Rechtlichen könnte, weil sie weniger stark ökonomischen Zwängen unterliegen, im deutschen Online-Journalismus eine besondere Rolle zukommen. Sie könnten Experimentierfelder für neue Formate oder Konzepte sein. Sie könnten die Redaktionen sein, die in Form einer ständigen offenen Beta für die Nutzer wie auch die Branche selbst neue Antworten suchen. Antworten, die wichtig sein können, gerade auch für kleine Verlage, die im Online-Journalismus ihren Lesern etwas bieten wollen, aber von finanziellen wie organisatorischen Unwägbarkeiten davon abgehalten werden.

Für eine Rolle der Öffentlich-Rechtlichen als „Versuchskaninchen“ ist es aber nötig, dass man ihnen diese Rolle zugesteht und damit auch zugesteht, dass das ein oder andere Konzept zu einem Erfolgsmodell wird, das Maßstäbe setzt. Die tagesschau-App ist sicherlich ein Fall, in dem dies geschehen ist – jedoch bekanntlich nicht unbedingt zum Gefallen der privatwirtschaftlichen Verleger.

Der Mut zu Experimenten sollte auch vor der Organisation der Redaktionen nicht halt machen. Im Rahmen meiner Arbeit wurden trotz unterschiedlich starker Verzahnung stets vom Stammmedium getrennte Online-Redaktionen angetroffen. Es gab nirgendwo eine vollständige gemeinsame Wertschöpfungskette. Bemühungen in diese Richtung, etwa durch Zusammenarbeit auf Ressort-Ebene, sind eher bei den Tageszeitungen zu verorten.

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Teilung verschieben: Aufgaben-orientiert, statt Kanal-orientiert

Eine solche Entwicklung ist bei den Online-Ablegern aus dem TV- und Radiobetrieb schwieriger vorzustellen. Hier gibt es im Stammmedium häufig weniger Ressorts als vielmehr Redaktionen einzelner Sendungen. Daher ist es denkbar, dass sich die Arbeitsabläufe in Zukunft stärker unterscheiden werden, also dass die Online-Redaktionen der Rundfunkanbieter wie bisher als eigene, geschlossene Redaktion arbeiten, während in den Tageszeitungen die Trennung nicht zwischen der Mediengattung, sondern vorrangig zwischen dem Thema, sprich Ressort, verlaufen wird.

Im Rahmen einer gemeinsamen Wertschöpfungskette zwischen Stammmedium und Online-Redaktion könnte es auch sinnvoll sein, die Arbeitsteilung gänzlich anders aufzuteilen. Hier könnte man sich an dem angelsächsischen Raum zu orientieren, in dem es eine Unterteilung in „reporters“ und „editors“ gibt.

In Anlehnung daran könnte es in Zukunft auch in Deutschland verstärkt Personen geben, die als „reporters“ explizit für die Recherche sowie das Einholen von O-Tönen und (Bewegt-)Bildern verantwortlich sind. Diese Informationen würden sie dann an die „editors“ weiter geben, die je nachdem welchem Ausspielkanal sie bedienen, einen Print-Artikel, ein Online-Format, einen Radio- oder TV-Beitrag daraus erstellen.

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Unterschiede sind eine enorme Chance

Im Rahmen meiner Arbeit wurde deutlich, dass die einzelnen Redaktionen viel voneinander lernen können. In keiner der Redaktionen wurde ein „heiliger Gral“ ausgemacht, eine Handlungsart oder Technik, die große Wettbewerbsvorteile mit sich bringt und deshalb geheim gehalten muss. Es ist auch schwer vorstellbar, dass so etwas je existieren wird. Statt hinter verschlossenen Türen einzeln die gleichen Probleme anzugehen ist es daher sicher besser, dies gemeinsam und offen zu tun.

Doch auch bei einem verstärkten Austausch ist es wünschenswert, wenn jedes Medium maßgeschneiderte Lösungen sucht und nicht nur Ideen anderer überträgt. Die Online-Redaktionen von Rundfunkanstalten und Tageszeitungs-Verlagen sind in gewisser Hinsicht zwar Konkurrenten, im Internet sind ihre Produkte aber auch eine Ergänzung zueinander, die von den Konsumenten individuell kombiniert werden. Damit ähnelt dieser Markt eher dem TV-Markt, als dem der Tageszeitungen.

Gerade jedoch, wenn Nutzer verschiedene Angebote kombinieren, lohnt es sich, die eigenen Stärken zu nutzen und Unterschiede bewusst auszuprägen. Auch kann es sich lohnen, Inhalte, die andere besser bieten können, offen zu verlinken. So kommt es häufig vor, dass TV-Anstalten auf ihren Nachrichtenseiten ein Ereignis als Stream anbieten, während Online-Redaktionen von Tageszeitungen Text-Ticker dazu anbieten. Beides hat seine Berechtigung und beides hat je nach Nutzungs-Möglichkeiten der Rezipienten Vorteile. Wünschenswert wäre es, wenn hier gegenseitig aufeinander verwiesen wird.

Wenn auch die Redaktionen sich als Ergänzung zueinander ansehen, werden die Unterschiede in den Redaktionen für die Rezipienten zu einem großen Vorteil. Dann könnte der Online-Journalismus nicht nur das Feld sein, in dem verschiedene Mediengattungen erstmals direkt aufeinander treffen, sondern auch das journalistische Feld, mit der größten Vielfallt. Davon ist man aktuell aber noch ein gutes Stück entfernt.

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