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Griechische Demokratie: Trotz Malus ein Bonus

von , 11.5.12

Der deutsche Europaabgeordnete Dr. Jorgo Chatzimarkakis spricht von einem politischen „Erdbeben“, der Hamburger Journalist und Blogger Michalis Pantelouris nennt das Ergebnis sarkastisch eine „vernünftige“ Wahl – wenn man die Tatsache berücksichtige, dass die Griechen keine Wahl hatten.

Doch die Reaktion des politischen EU-Establisments war nicht etwa Schockstarre angesichts der katastrophalen Folgen der eigenen Politik, sondern heilloses Gezeter, verbunden mit wüsten Drohungen in Richtung Athen. Das Wahlergebnis, so ließ man verlauten, belaste die Beziehungen zur EU. Kommentar Pantelouris:

„Der Versuch, die Griechen dafür verantwortlich zu machen, dass sie sich nicht für eine Todesart entscheiden möchten, weil sie lieber leben wollen, ist mit Dummheit allein nicht mehr zu erklären. Es ist Ideologie und die dazugehörige Propaganda.“

Hier einige Fakten zur Wahl vom letzten Sonntag:

1. Das alte Zwei-Parteien-System aus PASOK und Nea Dimokratia ist mit einem Schlag pulverisiert worden. Den alten Volksparteien kam das Volk abhanden. „Willkommen in Weimar“ ätzte Spiegel Online-Kolumnist Wolfgang Münchau.

2. Die Wahlbeteiligung lag – trotz bestehender Wahlpflicht – nur bei 65,1 Prozent. Das heißt: Ein gutes Drittel der Wahlberechtigten hatte trotz oder gar wegen der dramatischen Wirtschaftskrise keine Lust, die angebotenen Volksvertreter zu wählen.

3. Fast 20 Prozent der Wähler haben sich für Parteien entschieden, die es aufgrund der Drei-Prozent-Hürde gar nicht ins Parlament schafften, darunter die Grünen mit 2,93 Prozent. Die griechische Piratenpartei erhielt 0,51 Prozent.

4. Die konservative Nea Dimokratia, deren Stimmenanteil sich von 33,5 auf 18,8 Prozent nahezu halbierte, erhält als Dank für ihre miserable politische Bilanz 50 Parlamentssitze geschenkt – fast so viele wie die Partei durch Wählerstimmen (58) erringen konnte. Diese Bonus-Klausel – die stärkste Partei erhält zusätzlich 50 Sitze – ist eine undemokratische Schutzvorrichtung gegen das eigene Wahlvolk.

5. Die sozialistische PASOK, die für ihre Politik noch rabiater abgestraft wurde als die Nea Dimokratia (sie stürzte von 43,9 auf 13,2 Prozent), bekommt allen Ernstes einen Auftrag zur Regierungsbildung. Von wem? Eine Partei, die von 8,5 Prozent der Wahlberechtigten gewählt wurde, soll den Regierungschef stellen?

6. Nun wird – höchstwahrscheinlich – so lange gewählt, bis die EU mit dem Ergebnis zufrieden ist – oder der Euro-Gruppe der Geduldsfaden reißt – oder Griechenland (per Militärregierung) unter Kuratel gestellt wird – oder die Altparteien ein paar Abgeordnete aus den anderen Parteien “überzeugen” können.

Die Lage für Neofaschisten ist ideal.

Lesen Sie dazu auch: Niels Kadritzke, Griechische Stimmen in Le Monde Diplomatique

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