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Testwahl in Europa: Wie verändert die Krise Griechenland?

von , 3.5.12

Seit Ende 2009 zahlen die Griechen einen hohen Preis für die ökonomischen und politischen Versäumnisse vergangener Jahrzehnte. Ihre Regierung hat den in Europa seit vielen Jahren härtesten Sparkurs eingeschlagen, der mit erheblichen Kürzungen bei Gehältern, Sozialleistungen und Renten einherging.

Sowohl im Ausland als auch in Griechenland selbst herrscht häufig die irrige Annahme, dass die finanzpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre wenig bewirkt hätten. Tatsächlich hatten sie aber erhebliche Auswirkun- gen auf Griechenlands Staatsfinanzen. Allein die Verringerung des Haushaltsdefizits um 6,5 Prozent vermittelt einen Eindruck von den großen Schritten, die von 2009 bis 2011 gemacht wurden. Genauer gesagt ging das gesamtstaatliche Defizit von 15,8 Prozent des BIP im Jahr 2009 auf 9,3 Prozent des BIP im Jahr 2011 zurück. Das Primärdefizit (ohne die Kosten für Zinszahlungen für die Staatsschulden) wurde von 10,6 Prozent des BIP 2009 auf 2,4 Prozent des BIP 2011 gesenkt. Dies ist ein Rückgang um etwa 19 Milliarden Euro in zwei Jahren. Regulierungen dieser Art sind in Volkswirtschaften bisher selten vorgekommen.

Griechenland scheint auf dem besten Weg zu sein, im kommenden Jahr einen Primärüberschuss zu erzielen, was dem Land ein wenig mehr finanzpolitische Freiheit verschaffen würde. Aber die Art und Weise, in der das Defizit gesenkt wurde und wird, ist sehr umstritten.

Einer der Hauptkritikpunkte an der PASOK-Regierung, die bis November 2011 an der Macht war, ist, dass sie sich auf eine Erhöhung der Einnahmen durch Sondersteuern fixierte, statt Einsparungen im öffentlichen Sektor vorzunehmen, entweder durch einen Abbau der Verschwendung oder durch eine Senkung der Beschäftigtenzahl im öffentlichen Dienst. Der Anstieg der direkten und indirekten Steuern sowie Gehaltskürzungen im öffentlichen und im privaten Sektor haben dazu geführt, dass das verfügbare Realeinkommen der Griechen zwischen 2009 und 2011 um durchschnittlich 23 Prozent gesunken ist. Der griechische Einzelhandelsverband (ESEE) schätzt, dass seit Beginn der Krise mehr als 60000 Betriebe schließen mussten, und dass in diesem Jahr bis zu 160000 Arbeitsplätze im Handelssektor verlorengehen werden.

Die weitreichenden Auswirkungen der Sparmaßnahmen auf die griechische Wirtschaft und auf das Alltagsleben der Menschen sind einer der Gründe für den dramatischen Absturz der PASOK in der Wählergunst. Die an- haltende Konzentration auf Maßnahmen zur Erhöhung der Staatseinnahmen zu einer Zeit, in der die griechische Wirtschaft immer weiter schrumpfte, führte dazu, dass die meisten Haushalte das Gefühl hatten, auf unfaire Weise geschröpft zu werden. Aufgrund der zögerlichen Reformen im öffentlichen Sektor und der mangelnden Umsetzung anderer Strukturreformen gewannen viele Griechen den Eindruck, sie würden überproportional belastet, weil die PASOK nicht gewillt war, Änderungen vorzunehmen, die für die Partei eine direkte Konfrontation mit einem Teil ihrer Stammwählerschaft im öffentlichen Dienst und den Gewerkschaften bedeutet hätte.

In den Augen der meisten Griechen hat die Troika dem Land zudem unnötig harte Sparmaßnahmen auferlegt, durch die sich die Rezession nur verschlimmert habe. Dies hat zur Schaffung von zwei großen politischen Lagern geführt: auf der einen Seite die Unterstützer des EU-IWF- Memorandum und auf der anderen Seite die Gegner. Die PASOK ist zum Synonym für die unpopulären Maßnahmen geworden, die in den letzten beiden Jahren beschlossen wurden. Die ND hat versucht, sich dies zunutze zu machen, indem sie gegen die erste Kreditvereinbarung stimmte und sich für wachstumsfördernde Maßnahmen aussprach. Aber seitdem sie Teil der Koalitionsregierung geworden ist und im Februar für das zweite Rettungspaket stimmte, ist es für die Konservativen sehr viel schwieriger geworden, sich von der PASOK abzugrenzen.

Sowohl die Parteien im linken als auch die im rechtspopulistischen Spektrum haben Anti-Memorandum-Positionen eingenommen. Dazu gehört auch die LAOS, die Teil der Koalitionsregierung war, aber ausschied, bevor das Parlament den Bedingungen des zweiten Rettungspakets zustimmte. Aus einer im März von Public Issue durchgeführten Meinungsumfrage geht hervor, dass 52 Prozent der Griechen nicht mit der Entscheidung des Parlaments einverstanden waren, der Kreditvereinbarung zuzustimmen.

 

Wachstum und Arbeitsplätze

Die griechische Wirtschaft befindet sich seit 2008 in einer Rezession. Im letzten Jahr ging das BIP im Vergleich zum Vorjahr um 6,8 Prozent zurück. Das bedeutet, dass die Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Höchststand vor der Krise um etwa 16 Prozent abgenommen hat und dass Griechenland möglicherweise eine der schlimmsten Wirtschaftskrisen durchmacht, die es in der entwickelten Welt je gegeben hat. Da prognostiziert wird, dass die Wirtschaft in diesem Jahr mindestens um weitere 4,5 Prozent schrumpfen wird, könnte Griechenland die wirtschaftliche Talfahrt Argentiniens nach dessen Zahlungsunfähigkeit im Jahre 2001 übertreffen und fast den Einbruch um 24 Prozent erreichen, den Lettland vor einigen Jahren zu verzeichnen hatte. Während der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1932 schrumpfte die Volkswirtschaft der USA um 29 Prozent. Griechenland hat die zwölf aufeinanderfolgenden Quartale negativen Wachstums, die die Amerikaner damals erlebten, bereits übertroffen.

Die Frage, wie Griechenland wieder auf einen Wachstumskurs gebracht werden kann, beherrscht die öffentliche Debatte im Vorfeld der Wahl. Neben der praxisorientierten Dimension des Wirtschaftswachstums – der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Wiederbelebung der Inlandsnachfrage – hat die Diskussion auch einen psychologischen Aspekt: Die Griechen brauchen dringend eine konkrete, glaubwürdige Zukunftshoffnung. In der Meinungsumfrage von Public Issue vom 1. April sagten 87 Prozent der Befragten, sie seien mit ihrem Leben unzufrieden.

Angesichts der Dauer der Rezession und der schleppenden Umsetzung einiger Reformen wird es für die Parteien immer schwieriger, die Wählerschaft davon zu überzeugen, dass sich die strukturellen Veränderungen eines Tages auszahlen und zu erneutem Wirtschaftswachstum führen werden. Außerdem haben die Menschen den Eindruck, dass es Griechenland an einem umfassenden zukunftsfähigen Wirtschaftsplan mangelt, in dem die zu fördernden Sektoren der Volkswirtschaft und die dazu notwendigen Maßnahmen identifiziert werden. Es hat zwar in der Vergangenheit einige sporadische Vorschläge gegeben, beispielsweise das Konzept des »grünen Wachstums«, das von der PASOK unter der Führung von Georgios Papandreou unterstützt wurde, aber letztlich wurden nur wenige konkrete Schritte in diese Richtung unternommen. Sein Nachfolger, Evangelos Venizelos, hat von der Notwendigkeit eines »nationalen Wiederaufbauplans« gesprochen, sich aber nicht detaillierter dazu geäußert, was dieser Plan beinhalten könnte.

Venizelos betont die Wichtigkeit eines Plans für die Rekapitalisierung der Banken. Es wird erwartet, dass Griechenland bald die Einzelheiten dieses Plans bekanntgeben wird, mit dem Kapital in Höhe von bis zu 50 Milliarden Euro in die ausgetrockneten einheimischen Banken gepumpt werden soll. Venizelos zufolge kommt dies den einheimischen Unternehmen zugute, da sie wieder Zugang zur Finanzierung erhalten würden und dann investieren und expandieren könnten. Aber auch hier wird wieder das Fehlen einer umfassenden Wachstumsstrategie deutlich: Trotz der Tatsache, dass die betreffenden Banken im Prinzip verstaatlicht werden, hat bis Mitte April noch keine Partei auch nur angedeutet, wie diese 50 Mrd. Euro zum Nutzen der griechischen Unternehmen eingesetzt werden sollen.

In jüngerer Zeit gibt es Entwicklungen dahingehend, dass Griechenland konstruktive Unterstützung von der EU für wachstumsorientierte Projekte erhält. Ein mit einer Milliarde Euro ausgestatteter Garantiefonds, der finanzielle Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen bereitstellen soll, wird im April mit Hilfe der Europäischen Kommission und der Europäischen Investitionsbank eingerichtet. Außerdem bemüht man sich darum, die Auszahlung der etwa 12 Mrd. Euro aus EU-Strukturfonds zu beschleunigen, die Griechenland bis Ende 2013 bewilligt wurden.

Die ND hat sich für pauschale Steuersenkungen zur Ankurbelung der Wirtschaft ausgesprochen. Ihr Vorsitzender Antonis Samaras favorisiert einen einheitlichen Unternehmenssteuersatz von 15 Prozent für Einzelunternehmer und Betriebe. Zudem will er die Mehrwertsteuer, die seit 2010 stark angestiegen ist, wieder auf das ursprüngliche Niveau reduzieren.

Sowohl die PASOK als auch die ND unterstützen die Idee, dass Griechenland die Fördermittel aus dem EU-Strukturfonds sinnvoller einsetzen soll. Parteien aus dem linken und dem rechten Lager fordern eine Entschärfung der Sparmaßnahmen, und einige haben sich für die Erarbeitung eines Marshall-Plans für Griechenland ausgesprochen, um die Investitionen in die Wirtschaft zu erhöhen.

Eine der gravierendsten Auswirkungen der Krise ist das rapide Ansteigen der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenrate hat sich seit dem Beginn der Krise verdoppelt und lag im Dezember 2011 bei 21 Prozent – etwa doppelt so hoch wie der Durchschnitt in der Eurozone. Von der rund elf Millionen Menschen zählenden Bevölkerung Griechenlands sind jetzt über eine Million arbeitslos.

Den Statistiken zufolge gibt es unter den 15- bis 24-Jährigen erstmals mehr Arbeitslose als Beschäftigte. Die Arbeitslosigkeit in dieser Altersgruppe stieg auf 51,1 Prozent und ist damit doppelt so hoch wie vor drei Jahren.

Dieser rapide Anstieg der Arbeitslosigkeit hat in der griechischen Gesellschaft einen großen Druck erzeugt, da immer mehr Familien Schwierigkeiten haben, mit ihrem Einkommen über die Runden zu kommen, und junge Menschen daran zweifeln, ob sie in Griechenland eine Zukunft haben.

Ab März wurde das Arbeitslosengeld um 22 Prozent gesenkt, was der Senkung des Mindestlohns entspricht, die die Regierung mit der Troika vereinbart hatte. Das Arbeitslosengeld für Griechen ohne Kinder beträgt 360 Euro, für Personen mit einem Kind 396 Euro, mit zwei Kindern 432 Euro. Diese Sozialleistungen werden nur für die ersten 12 Monate der Arbeitslosigkeit gezahlt.

Das Ansteigen der Arbeitslosenrate hat zweifellos immer mehr Menschen zu den kleineren Parteien, vor allem zu den Linksparteien, gedrängt, die sich gegen die Sparmaßnahmen ausgesprochen und Maßnahmen zur Wachstumsförderung gefordert haben und fordern. Zu den zunehmenden Schwierigkeiten, vor denen Arbeitslose stehen, gehören auch die geringen Aussichten auf einen neuen Arbeitsplatz, gekürzte Sozialleistungen und

der Verlust der Sozialversicherung. Dies ist eine gefährliche Mischung, die mehr als eine Million Griechen betrifft, deren Einstellungen sich bei der bevorstehenden Wahl als ausschlaggebend erweisen könnten…

 

Dieser Text ist ein Auszug aus der Analyse „Griechenlands schmerzhafter politischer Wandel“ (pdf), die Nick Malkoutzis für die Internationale Politikanalyse der Friedrich Ebert-Stiftung (FES) verfasst hat.

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