#Dirk Kurbjuweit

Dirk Kurbjuweits Netzgemeinde

von , 20.4.12

Um eins gleich vorauszuschicken: Es steht auch viel Richtiges in diesem Essay. Denn er handelt von der nachvollziehbaren Angst der Konservativen vor dem Internet. Zu diesen Konservativen zählen in einem Internet-Schwellenland wie Deutschland auch viele, die sich im Herzen für Linke oder Liberale halten. Das heißt, wir haben es gegenüber dem „Phänomen Internet“ noch immer mit einer großen Koalition der Angst zu tun. Und diese Angst lässt sich nicht einfach weglächeln.

Worum geht es in Dirk Kurbjuweits Essay? Es geht um die „Tyrannei des freien Netzes“? Im Kern aber geht es um das Vorhaben der Piratenpartei, das Urheberrecht zugunsten der Internetnutzer zu reformieren. Da dieses Vorhaben die Pfründe all jener Urheber tangiert, die im bisherigen System exzellent verdient haben, wehren sich jetzt vor allem die Spitzenverdiener gegen jede Änderung und marschieren Seit’ an Seit’ mit ihren Verwertern.

Dass die Spitzenverdiener ihre Interessen so vehement verteidigen, kann ich verstehen. Reichlich arrogant finde ich es aber, dass sie ihre Partikularinteressen mit den ganz großen Begriffen aufblasen. Da geht es immer gleich ums Ganze, um „Freiheit oder Barbarei“. Da werden die großen Philosophen von John Locke bis Immanuel Kant zitiert und heilige Messen über die Menschenrechte gelesen, ja es wird die ganze schmerzhafte Evolution der Kultur von der Steinzeit bis heute bemüht – dabei geht es im Kern doch nur um die Mitarbeiter-Beteiligung beim Spiegel.

Auch das ist natürlich ein legitimes Interesse. Doch dann sollten die Essay- und Offene Briefe-Schreiber das auch bitteschön sagen, und nicht die großen Menschheits-Begriffe als Artillerie-Geschosse für ihre Interessenpolitik missbrauchen.

 

Die Barbarei im Bahnhofskiosk

Was besonders stark nervt, ist der (gezielt verwendete) Adressat dieser Empörungs-Manifeste. Wieder richten sich sämtliche Vorwürfe an „die Netzgemeinde“. Die Netzgemeinde ist für alles verantwortlich: für Gewaltexzesse von NSU bis Breivik, für Kinderpornographie, für Shitstorms, für Hasstiraden, anonyme Beleidigungen und Lynchjustiz. DIE NETZGEMEINDE – damit sind all jene gemeint, die im World Wide Web nicht nur lesen, sondern das Web mit gestalten: Kommentatoren, Forentrolle, Piraten, Blogger, Digital Natives, Netzaktivisten – also alle, die von der „Printwelt“ am liebsten noch immer (gähn!) in der Frisur Sascha Lobos zusammengefasst werden.

Drehen wir den Spieß der Vereinfachung doch mal um. Ich z.B. würde gern Dirk Kurbjuweit einladen, mit mir zusammen einen größeren deutschen Bahnhofskiosk zu besuchen. Dort würden wir dann von Regal zu Regal gehen und uns anschauen, was DIE PRINTGEMEINDE so treibt. Und dann werde ich ihn für die ganze Barbarei der Strickzeitschriften, Sudoku-Rätsel, Manga-Comics, Fanzines, Adelspostillen, Porno-Magazine, Computer-PR, Männer-Lifestyle, Motorrad-Specials und Panzerheftchen des Zweiten Weltkriegs verantwortlich machen. Das, werde ich sagen, ist „deine Printgemeinde“! Du bist dafür verantwortlich, dass das alles gedruckt wird. Ist das die Freiheit, die du meinst?

Also, liebe Großjournalisten, lasst bitte in Zukunft eure großen Begriffe im Halfter stecken und sagt einfach, dass es um eure Geldbörsen geht. Dann könnte man die Debatte mit etwas mehr Sachlichkeit und vielleicht auch etwas differenzierter führen.

 

P.S. In konsequenter Ablehnung der Kostenlos-Kultur ist Dirk Kurbjuweits Essay über die Tyrannei des Netzes im Netz nicht ‚kostenlos’ zu lesen, sondern nur in der gedruckten Ausgabe (16/2012, S.24) bzw. im „E-Paper“. Christian Stöcker hat indirekt auf Spiegel Online reagiert.

 

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