#Debatte

Urheberrecht? Ersatzlos streichen!?

von , 29.3.12

Michael Seemann ist die Urheberrechts-Debatte leid. Außerdem hat er keine Lust, sich lang und breit mit dieser komplizierten Materie auseinanderzusetzen. Er ist schließlich bekennender Faulpelz („war mir schlicht zu viel Arbeit“). Deshalb durchschlägt er kurz entschlossen den gordischen Knoten und rät zu einer radikalen Abschaffung des Urheberrechts. Und zwar „ersatzlos“.

Das ist ein pfiffiger Vorschlag. Ich vermute, er ist nicht nur seiner bewundernswerten Lust an der Provokation entsprungen, sondern basiert auf eigenen Erfahrungen (Texte im Netz verschenken und dafür Geld mit Vorträgen verdienen). Per Tweet erläutert Seemann sein Ansinnen noch einmal auf 140 Zeichen Länge (mehr Anstrengung hält er nicht für nötig):

„der grundfehler der urheberrechtsdebatte ist die fixe idee, die gesellschaft sei den künstlern ein funktionierendes geschäftsmodell schuldig.“

Das ist schick formuliert. Aber ist das Urheberrecht (diese Frucht der Renaissance, der Aufklärung und der Französischen Revolution) bloß ein profanes Geschäftsmodell?

Okay, spinnen wir Seemanns Gedanken einmal (scherzhaft) weiter. Das Grundgesetz wäre dann das Geschäftsmodell der bundesrepublikanischen Demokratie. Man könnte twittern:

„der grundfehler der grundrechtsdebatte ist die fixe idee, die gesellschaft sei den demokraten ein funktionierendes geschäftsmodell schuldig.“

 

Der Kronzeuge

Als Begründung für die ersatzlose Streichung des Urheberrechts wird gern auf eine umfangreiche Studie des Wirtschaftsjuristen Eckhard Höffner verwiesen, der vor einigen Jahren herausgefunden hat, dass sich das in England 1710 eingeführte Urheberrecht (Statute of Anne) nachteilig auf die dortigen Autoreneinkommen und die zügige Weiterverbreitung des gesellschaftlichen Wissens ausgewirkt habe. Deutschlands Kreative, die zu dieser Zeit noch kein Urheberrecht in Anspruch nehmen konnten (das kam erst 1837), seien regelrecht aufgeblüht, während England mit seinem Copyright den Anschluss an die Weltspitze der Innovation fast verloren habe. In Deutschland seien damals mehr Bücher verlegt und verkauft worden als in England – und den Autoren sei es deutlich besser gegangen:

Während in Großbritannien im Jahr 1800 vielleicht 700 neue Bücher auf den Markt kamen, waren es im vergleichsweise armen Deutschland über 4000. Und wenn man bei den britischen Honoraren einmal unter die goldene Oberfläche schaut, da sah es dann ganz bitter aus. Fünf bis zehn Pfund war das Durchschnittshonorar für einen Roman, schreibt beispielsweise St. Clair. Im Ergebnis musste ich nach den Vorteilen des Urheberrechts mit der Lupe suchen und würde selbst dann kaum fündig. Das Ergebnis ist überraschend, zeigt es doch, dass das Urheberrecht im 18. und 19. Jahrhundert sich ausschließlich nachteilig auf die Autoreneinkommen, Anzahl der Titel, Bücherpreise etc. auswirkte. Nur der Interessensgruppe der führenden Verleger und einer Handvoll Bestsellerautoren nutzte es.

Nun könnte man kritisch hinterfragen, ob sich die Situation des winzigen englischen Buchmarkts mit dem heutigen Medienmarkt vergleichen lässt, welche Art von Schrifttum und Autoren (“Grundsätze der Ledergerberei“) hier miteinander verglichen werden, und ob es nicht in Wahrheit an der föderal zersplitterten Struktur lag, dass der deutsche Markt wesentlich mehr Schriften hervorbrachte – aber das ist Michael Seemann wahrscheinlich zu kompliziert und zu viel Arbeit. Abschaffen klingt geiler.

In einem Punkt hat Seemann allerdings völlig Recht: Anarchische, noch ungeregelte Märkte sind für die Dynamik eines wirtschaftlichen Aufbruchs sehr viel besser als hohe Schutzmauern. Die US-dominierte Internetwirtschaft, die sich seit 10, 15 Jahren rasant entwickelt, würde ohne das hinderliche Urheberrecht in den lukrativen Märkten Kontinentaleuropas noch schneller vorankommen.

Doch so weit würde Eckhard Höffner, der Kronzeuge der Urheberrechts-Kritiker, niemals gehen. In einem schon 2010 gehaltenen Vortrag beim Google-Thinktank Collaboratory legt Höffner dar, wie eine Reform des Urheberrechts seiner Meinung nach aussehen könnte. Er plädiert dafür, das Urheberpersönlichkeitsrecht nicht anzutasten, das Exklusivrecht der Verwerter aber auf sechs Monate zu begrenzen. Das ist höchst diskutabel. Doch an Höffners Vorschlägen erkennt man auch, wie sehr wir in der Diskussion wieder hinter den damals erreichten Stand zurückgefallen sind. Jux und Kraftmeierei ersetzen die Anstrengung, sich produktive Gedanken zu machen.

Ich fürchte (ähnlich wie Johnny Häusler vom Spreeblick), dass einige Leute im Netz gerade dabei sind, die Urheber, die sich ein Stück weit zu emanzipieren schienen, wieder zurück in die Arme der Verwerter zu treiben.

Update 21.4.: Bei Spiegel Online hat Michael Seemann seine These jetzt noch mal recycelt

 

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