#Journalismus

Unverzichtbare Lichtgestalten

von , 2.2.12

Menschen lieben Schubladen. Sie erleichtern den Überblick durch Einordnung. Früher konnte der Leser durch die Entscheidung für eine bestimmte Zeitung oder ein Magazin die gewünschte Schublade aufziehen und fand in ihr alles, was sein Weltbild bekräftigte. Es gab Schnittmengen, beispielsweise zwischen Spiegel und Stern, dagegen kaum welche bei Spiegel und Süddeutscher. Wo FAZ draufstand, war auch FAZ drin.

Die Schubladen sind verschwunden, bestenfalls gibt es noch offene Fächer in einem großen Schrank. Da fliegen Socken und Hemden schon mal durcheinander, oder es findet sich ein Spitzenhöschen zwischen den Winterpullovern. Dabei gibt es nicht weniger einzuordnen, im Gegenteil: Die Masse der Informationen ist enorm gewachsen. Vielleicht führt gerade das Überangebot dazu, Berichte nicht mehr an der Sache, sondern an Personen festzumachen. Der Schubladenersatz wird im politischen Journalismus gern benutzt.

 

Warum Liquid Feedback erklären, wenn es doch Marina gibt?

Die Beziehung der Medien zur Politik war immer eine besondere und von wechselseitiger Abhängigkeit bestimmt. Wer mehr oder die “richtigen” Leute kannte, hatte oft einen Informationsvorsprung, der seinem Blatt zugute kam. Mit der einigermaßen kritiklosen Übernahme des US-amerikanischen Infotainments wurde es auch bei uns üblich, Personen stellvertretend für eine Idee, ein Gesetzesvorhaben, eine Partei zu präsentieren. Schnell begriffen die Protagonisten die Vorteile, zur Freude des beratenden Gewerbes. Schnell entstand ein großes Repertoire an Handlungsempfehlungen, um die betreffende Persönlichkeit ins rechte Licht zu rücken. Dabei kam es nicht auf substantiierte Aussagen an: Die Beliebtheit der Person sollte das Vorhaben mit hochziehen. Auf diese Weise wurde etwa Ursula von der Leyen, völlig unabhängig von absurden Gesetzesvorlagen, eine der beliebtesten Politikerinnen Deutschlands. Karl-Theodor zu Guttenberg stand beinahe schon als künftiger Kanzler fest, seine Qualifikation: jung, gut aussehend, ein toller Showtyp. Selbst den Betrug verziehen ihm die Wähler – es wäre einfach so schön gewesen.

Dann hat sich etwas geändert: Mit den Piraten ist eine auf der ganzen Linie ungewöhnliche Partei in die Öffentlichkeit getreten. Jung, frisch, mit Klartext und einer bis dato unbekannten Art der demokratischen Entscheidungsfindung. Obwohl einige ihrer eigenwilligen Vorhaben für Diskussionen sorgen, überwiegt der Eindruck: Die machen das anders. Ausreichend anders, um im Vergleich mit den alten Parteien besser dazustehen und ins Berliner Abgeordnetenhaus einzuziehen.

Es wäre für die Medien eine Riesenchance gewesen. Da kommt eine junge Partei, benimmt sich ganz normal, ist berührbar, zeigt, dass es ihr Ernst ist mit der Umsetzung ihrer Projekte. Macht eine ganz andere Politik, als wir sie sonst vorgeführt bekommen. Es wird gearbeitet, es geht um Standpunkte und die ständige Auseinandersetzung mit der Basis. Konflikte werden sachbezogen und coram publico ausgetragen. Eine junge Partei will ihre Ansichten darlegen, sie ist für Transparenz und freut sich über Fragen.

Die Wahl hat den Willen zur Veränderung deutlich gemacht. Nicht nur die Berliner Medien hätten ergiebigen Stoff für die journalistische Aufgabe der fachlichen Einordnung und solide Hintergrundberichte gehabt. Es ist einfach, die Forderung nach der Freigabe bestimmter Drogen reißerisch zu kommentieren. Sinnvoll wäre die Nachfrage gewesen, was die Piraten sich dabei denken – womöglich wären überzeugende Begründungen dabei herausgekommen.

 

Die Schattenseite der Transparenz: Einladung zum Gaffen

Für einen Moment bestand die Option, politische Berichterstattung neu oder wenigstens erneut zu erfinden. Journalisten hätten auf die Neulinge mit neugierigen und interessanten Fragen reagieren können. Die Wähler informieren, ihnen Hintergrund anbieten, Sachthemen in den Vordergrund stellen und nach Fakten fragen, die Probleme beleuchten, wegen derer die Piraten überhaupt gewählt wurden.

Stattdessen gab es aufgeregtes Geschnatter über Latzhosen und Palitücher, die Unkenntnis der Höhe der Verschuldung des Landes Berlin und die Tatsache, dass dank der lustigen Rampensau Christopher Lauer tatsächlich in einer Talkshow gelacht wurde. Welch ein Erkenntnisgewinn!

Nein, die neuen Akteure sollen, bitteschön, in die alten Schemata, Modell von der Leyen, passen. Das ist der Leser so gewohnt. Der Versuch, ihm etwas Neues vorzusetzen, an dem er vielleicht Geschmack finden könnte, wird nicht gemacht. Die Medien stürzen sich lieber auf Marina Weisband. Nicht etwa als junge Politikerin, die etwas zu sagen hat, sondern mit dem Etikett “die schöne Piratin” versehen und herumgereicht. Das hat sie gefälligst zu erfüllen; Vorschläge Weisbands, jemand anders in eine Talkshow einzuladen, werden abgelehnt:

„Es war anscheinend unmöglich, einen anderen Parteivertreter in die Talkshows zu schicken. Darauf haben sich die Medien nicht eingelassen, obwohl das bei anderen Parteien gang und gebe ist.“ (Sebastian Nerz im Focus)

Entweder Weisband oder gar kein Piratenmitglied: Ein prägnanter Beleg für die reine Unterhaltungsfunktion der Quasselrunden. In der besten Sendezeit ein neues Konzept ausprobieren, in dem es wirklich um Politik geht? I bewahre.

Dass die Zeitung mit den vier persilweißen Buchstaben es liebt, Sachverhalte maximal zu vereinfachen – geschenkt. Der bloggenden und twitternden Marina Weisband wird vorgeworfen, sie gehe mit ihrem Privatleben allzu offen um; es scheint eine Übereinkunft zu geben, wonach Politiker ihr Naturell geheim zu halten haben. Die Erschaffung einer weiblichen Idealfigur ist jedenfalls gelungen. Sie hat gut auszusehen, intelligent zu antworten und ansonsten ungewöhnlich zu sein; ein wenig Ablenkung von der Piraten-Herrenriege mag auch mitgespielt haben. Alle ziehen mit, weil sich das nautische Vokabular im Zusammenhang mit einer hübschen Frau noch besser macht, die Ungewöhnlichkeit noch stärker betont.

 

Ersatz muss her – The Show Must Go On

Weisbands Bemühungen, ihre politischen Anliegen zu vermitteln, werden mit Homestories und Fotoshootings honoriert, die in die Yellow Press passen, aber nicht in die taz oder FAZ. Was spricht eigentlich dagegen, statt des Herzeigens bunter Bildchen dem gemeinen Wähler Liquid Feedback zu erklären?

Das Pensum eines Bundespolitikers ist immens. Es ist eine Art Dauer-Circle-Training unter Beobachtung. Es mögen noch so viele Referenten zuarbeiten: Die eigentliche, politische Arbeit ist von den Protagonisten der Mediendemokratie nicht mehr zu leisten. Zu groß ist die Nachfrage nach Bildern und Statements, um dem Publikum kompetente Politiker zu präsentieren, die auf alles eine Antwort haben. Alles im Griff: Ein Trugbild, von Journalisten und Magazinen entworfen, das mit der fachlichen Arbeit nicht das Geringste zu tun hat. Zurückfahren will das Medienrauschen niemand mehr, es ist gut für Auflage und Einschaltquote.

Weil die Piraten im Umgang mit den Medien unerfahren waren, schien ihre Vermarktung als einer Art Alien-Stars beinahe zwingend. Marina Weisband hat festgestellt, dass sie diese Rolle nicht spielen will. Sie nimmt sich ein Jahr Pause, Anlauf, wie sie sagt, und beendet ihr Psychologiestudium. Politisch wird das die Piraten kaum beeinflussen, denn sie arbeitet als einfaches Parteimitglied weiter. Medial ist es ein kleines Erdbeben: Es muss ein Ersatz gefunden werden, der fotogen und publikumstauglich und vor allem, im Gegensatz zu Weisband, willig ist, den Piraten ein Gesicht zu geben. Schließlich sollen die Gesetze der perfekt gestylten Medienwelt nicht auf den Kopf gestellt werden.

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