#Dissertation

Guttenbergs Wettertannenrede. Eine Analyse

von , 22.2.11

Zettelsraum (sowie einigen Mitstreitern auf Guttenplag) sind Transkriptionen der Rede zu verdanken, die Freiherr zu Guttenberg gestern Abend in Kelkheim/Ts. gehalten hat. Ich muss hinzufügen, Auszüge der Rede, auf deren vollständige Dokumentation ich noch warte. Was mir bisher allerdings vorliegt (auch an Interpretationen) macht es, so leid ich das bin, doch sinnvoll, hier auf einige Aspekte vertiefend einzugehen:

„Meine Damen und Herren, es hat ja so ein bisschen gemunkelt an der einen oder anderen Ecke: Kommt er überhaupt? Drückt er sich? So weit kommt’s noch, meine Damen und Herren, dass man sich nach einem solchen Sturm drücken würde, so weit kommt’s noch.“

Nun ist er so was von da. Die captatio benevolentiae ist, wie so oft, ein Trick, eine Entführung, eine Geiselnahme, eine Fraternisierung, ein Sich-gemein-machen. Wo steht doch bloß dieses Zitat: “Der Mythos überlebt sein Dementi – gestärkt.” Guttenberg macht sich scheinbar den Zweifel zueigen, um ihn, “so weit kommt´s noch”, scheinbar gestärkt zu entkräften.

„Und hier steht, und hier oben steht zu Ihrer aller Versicherung auch das Original und kein Plagiat, meine Damen und Herren. Und ich darf … aber ich werde auch mit dem gebotenen und dem notwendigen Ernst auf diesen Themenkomplex noch eingehen, weil ich glaube, dass das wichtig und geboten ist, auch dieser Tage.“

Er wiederholt und variiert die Figur des überwundenen Zweifels, allerdings leicht christologisch überhöht (Ich bin´s!). Wer in der Christenunion noch neben wohlfeilem Bekenntnis über theologische Qualifikation verfügt (wie zum Beispiel der Generalsekretär der CDU), müsste sich schon zu Lebzeiten im Grabe drehen, bei so einer frivolen rhetorischen Selbstbedienung.

Die Überbietungslogik des Täuschers bringt seine rhetorischen Figuren fast ohne weiteres Zutun selbst zu Fall. Der vierfachen Bekräftigung “des gebotenen und notwendigen” Ernsts, wichtig und geboten, entzieht der Schluss des Satzes “auch dieser Tage” die Glaubwürdigkeit. Das Gebotene, das Notwendige ist keine Opportunität, verfällt in der Intonation dem politischen Opportunitätsprinzip des Redners, dem Ziel, seine verlogene Haut zu retten, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Er strampelt. Der Hals schwillt an. Die Kontrolle entgleitet ihm.

Zettel lobt den Auftritt als perfekt. Soweit man die Tradition der Rhetorik auf die Anwendung von Tricks und Kniffs reduziert, hätte er gewiss recht. Aber im Kontext der Erklärung vom vergangenen Freitag wird jedem, der in diesem Fach forscht und lehrt, klar, wie einstudiert die gesamte Rede wirkt. Ihre Wirkung hängt in hohem Maße von der Täuschungsseligkeit seines Publikums ab. Man hat sich gefunden.

„Die Medienvertreter, die ja ohnehin nur für die Kommunalwahl – in Anführungszeichen, für die große Kommunalwahl – gekommen sind, können jetzt auch den Raum verlassen. Dann können wir uns entsprechend dieses Themas annehmen.“

Guttenberg hat die Mechanik und Dynamik der Krise nicht verstanden. Die Logik des Medienzyklus fixiert ihn nun genau auf jenem Punkt der Kurve, wo er im freien Fall am wertvollsten geworden ist. Solange sie ihn hoch schrieben, waren sie willkommen. Nun aber fehlt nur wenig und er griffe zu dem Vokabular, das von Erhard bis Strauß erprobt wurde, der Rede von den Pinschern und Schmeißfliegen.

In dieser Passage kommt noch etwas Anderes zum Ausdruck. Hier spricht der neualte Typus des Volkstribunen, der das Bad in der Menge sucht. Ohne Zwischenträger. Durch direkte Kraftübertragung. Nur in Abwesenheit der medialen Brechung kommt dieser Kraftschluss zustande. Die Zeugenschaft, die Anwesenheit der “Medienvertreter” wirkt wie ein schwächender Widerstand. Raus mit ihnen! Dann, aber dann, ja was denn dann? “Dann können wir uns entsprechend dieses Themas annehmen.” Warum nur dann? Und warum bzw. wie entsprechend? Was Zettel im Lob der Tricks übersieht, ist die kaum gebremste Aggression des Redners. Aus der lingua tertii imperii kennt man, was dem “entsprechend” auch hätte folgen können: dass man sie entsprechend behandelt, die Medienvertreter, die elendiglichen!

„Ich werde das mit Sicherheit machen. Aber mir ist es in diesen Tagen auch einfach noch einmal wichtig, zu sagen, dass ich hier nicht als Selbstverteidigungsminister gekommen bin, meine Damen und Herrn, sondern als Bundesminister der Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland, als Freund, als Nachbar, als geduldeter Oberfranke hier, das darf man ja auch sagen, als fränkisch geduldeter Nachbar und insbesondere als einer, der in diesen Tagen auch deutlich macht, dass eine oberfränkische Wettertanne solche Stürme nicht umhauen, meine Damen und Herren, und dass es mit Sicherheit hier guten Grund gibt, zu kämpfen und sich weiterhin dieser Aufgabe anzunehmen, die eine sehr fordernde ist, die aber gleichzeitig eine großartige ist, weil sie mit Verantwortung für viele, viele Menschen, die wir insbesondere in den Einsatz schicken und geschickt haben, mit verbunden ist.

Und, meine Damen und Herren, da verlässt man nicht irgendwelche Schiffe, sondern da bleibt man an Deck, und dann hält man die Dinge auch entsprechend durch.“

Der Absatz in Zettels Transkription ist klug gewählt. Im leeren Raum der Interpunktion gravitiert die Aggression des Redners, erzeugt wie eine Autopoiesis die Wiederauferstehung des Redners als blendende Reinkarnation seiner selbst.. Ich bin´s. Freund, Nachbar, geduldeter Oberfranke – er nimmt Anlauf zu einem Bild, das im Dezember 2009 von seiner Gattin in Verkehr gebracht worden ist, sucht Zuflucht unter dem Symbol karger Gebirgslandschaft, in welcher der Solitär der Wettertanne nicht nur als einzigartiger Blickfang fungiert, sondern auch dem Vieh und dem Menschen Zuflucht, Obdach vor der Unbill des Wetters bietet. Ein Bild im übrigen, das der ökonomischen Logik der guttenbergschen Forst- und Holzwirtschaft gut zu Gesicht steht, wäre da nicht wieder eine dieser rhetorischen Überbietungen, die die Guttenbergsche Redepraxis kennzeichnet. Aber ehe ich dazu komme, verweilen wir bei der Wettertanne. Tatsächlich handelt es sich bei ihr oft um eine Fichte, manchmal auch eine Weißtanne, ein mächtiges Gehölz.

Die an den Alpen zum Schutz und Schirm des Viehs dienenden Wettertannen sollen auf keinerlei Art weder umgehauen, noch beschneidet oder geschädigt werden (…)”

Hier inszeniert sich der Narziss in einem Naturbild, das ihn als Solitär, als standhaft, in uralter Tradition von Schutz und Gehorsam stehend, überhöht. Das Bild versetzt zugleich die durch Geschäftsordnung der Bundesregierung und geltende Gesetze definierte Funktion seines Amtes in eine post-zivile Höhenluft, die ihm, wie die folgende Passage belegt, nicht gut bekommt. Er hyperventiliert. Kommt vom Weg ab. Vergreift sich in der Metapher. Begeht Bergfrevel. Kann also nicht einmal in der familialen rhetorischen Domäne reüssieren, ohne Spuren zu hinterlassen, die den Täuschungsversuch – oder sollte ich besser sagen: den Selbsttäuschungsversuch? – offenbaren.

Denn welches Motiv um Himmels willen hat ihn dazu bewogen, von der vertrauten Forstwirtschaft als Metaphernquelle in die christliche Sturmschifffahrt zu wechseln? In diesem trügerischen Element hat sich doch schon Guido Westerwelle restlos lächerlich gemacht. Warum folgt zu Guttenberg dem aktenkundigen schlechten Beispiel? Und warum ist das Beispiel so erhellend?

Weil die Nautik in Geschichte und Gegenwart in innigster Beziehung zur Forstwirtschaft steht. Verkarstete Gebirge rund um das Mittelmeer bekunden bis heute den Frevel, den das von mir zitierte Verbot mit Strafe bedroht. Herr zu Guttenberg sägt durch den fliegenden Wechsel der Metaphernquelle selbst am Ast, auf den er sich in letzter Not gerettet hat.

„Und, meine Damen und Herren, da verlässt man nicht irgendwelche Schiffe, sondern da bleibt man an Deck, und dann hält man die Dinge auch entsprechend durch.“

Die Wettertanne ist gefällt. Bergfrevelhaft in Schiffsholz verwandelt! Auf stürmischer See bietet sie keinen Halt (es sei denn, er bände sich an den Mast, aber das wäre eine andere Geschichte von Ohnmacht und Verlangen). Im peitschenden Wind wird der Schiffsboden schlüpfrig. Diese Passage ist so etwas wie der Schlüssel zum Nicht-denken-wollen des Redners, zu dem tieferen Verständnis eines Dramas, in welchem der rhetorische Rausch an sich selbst als Dreimal-schwarzer-Schiffskater endet. Denn nähme Guttenberg die Metapher des Schiffs im Sturm ernst, redete er nicht von irgendwelchen Schiffen.

“Da hält man die Dinge auch entsprechend durch.” Nichts hält er durch. Nicht die Kritik. Nicht den Sturm, Und schon gar nicht an Bord von irgendwelchen Schiffen. Der Redner ist nun in Nirwana. Das Kelkheimer Publikum auf fliegendem Roland an seiner Seite. Der Rheingau-Riesling haut rein.

„Meine Damen und Herren, ich habe … ich möchte das Thema gerne aufgreifen, weil es dieser Tage doch sehr, sehr interessiert. Und ich weiß, dass man den Anspruch auch hat, dass jemand, der sich in die Öffentlichkeit begibt, dann in der Öffentlichkeit auch zu gewissen Dingen Stellung nimmt. Und ich mache das mit großer Freude und von Herzen gerne vor Ihnen heute Abend, und nicht alleine vor der Hauptstadtpresse in Berlin, sondern bewusst und gerne vor Ihnen, weil ich glaube, dass dieser Bezugspunkt einer ist, der deutlich macht, dass uns die Öffentlichkeit als Öffentlichkeit wichtig ist, und dass Sie erfahren können aus erstem Munde, was mir am Herzen liegt, was in meinen Augen mitteilenswert ist, und nicht erst, was durch Kommentierung Sie letztlich wieder erreicht. Und deswegen ist das, glaube ich, die richtige und auch die gebotene Herangehensweise.“

Geschwafel. Das Herz ist kalt, der Kopf aber rast – und bringt sich um den Rest an Verstand. Nichts ist richtig. Und wie er das tut, ist alles andere als geboten. Guttenberg verkleidet das Verbotene ins Gebotene, eine gedankliche und rhetorische Operation, die ihn nachhaltiger kennzeichnet, als der Bundeskanzlerin lieb sein kann. Der Redner bezeugt eine Neigung zur Verdrehung, die ihn zu einem Sicherheitsrisiko für die politische Ordnung der Bundesrepublik macht.

„Ich habe in der – wenn man so will – in der Affäre um Plagiat ja oder nein an diesem, wie ich sagte schon [sic], besonders gemütlichen Wochenende, mir auch die Zeit nehmen dürfen, nicht das zu lesen und anzusehen, was da alles so geschrieben wurde und was gesendet wurde, sondern mich auch noch einmal mit meiner Doktorarbeit zu beschäftigen. Und ich glaube, das war auch geboten und richtig, das zu tun. Und nach dieser Beschäftigung, meine Damen und Herren, habe ich auch festgestellt, wie richtig es war, dass ich am Freitag gesagt habe, dass ich den Doktortitel nicht führen werde.“

Ob Guttenberg die Arbeit je selbst gelesen hat oder nicht (vor allem aber, wann, wenn je), das interessiert schon niemanden mehr. Schon gar nicht nach der letzten Woche. Er konnte gar nicht umhin, Guttenplag zu studieren. Nun plagt er sich selbst und was immer er sagt, überbietet die Täuschung in der mit falschem Ehrenwort versehenen Dissertation um Täuschungen zweiten und dritten Grades zur Vertuschung des tatsächlichen Sachverhalts.

„Ich sage das ganz bewusst, weil ich am Wochenende – auch, nachdem ich diese Arbeit mir intensiv noch einmal angesehen habe – feststellen musste, dass ich gravierende Fehler gemacht habe; gravierende Fehler, die den wissenschaftlichen Kodex, den man so ansetzt, nicht erfüllen. Ich habe diese Fehler nicht bewusst gemacht. Ich habe auch nicht bewusst oder absichtlich in irgendeiner Form getäuscht und musste mich natürlich auch selbst fragen, meine Damen und Herren, wie konnte das geschehen, wie konnte das passieren.“

Was ist da noch bewusst? Was sind die Fehler? Warum sucht er Zuflucht bei einem Trick, den wir seit Helmut Kohl als Blackout kennen? Wie kommt jemand dazu, das Geistesreich einer der Rationalität gewidmeten wissenschaftlichen Arbeit im Zustand mangelnden Bewusstseins betreten und dagegen verstoßen zu haben, sodann schmählich des Täuschungsversuchs überführt, all das mit Karacho wieder verlassen zu wollen? Aus freien Stücken! Nein, er kommt nicht davon. Und weiß es. Wie konnte das passieren? Oder sollte man doch eher fragen: Wem konnte das passieren?

„Und so ist es, dass man nach … man den Blick dann zurückwirft und feststellt, man hat sechs, sieben Jahre an einer solchen Arbeit geschrieben und hat in diesen sechs, sieben Jahren möglicherweise an der einen oder anderen Stelle – an der einen oder anderen Stelle auch zuviel – auch teilweise den Überblick über die Quellen verloren. Und das ist eine Feststellung, die darf man treffen und die muss man treffen. Und dann gibt es ganz besonders peinliche Beispiele dabei. Etwa dass dann auch noch eine … dass etwa die Frankfurter Allgemeine so prominent in der Einleitung einer Doktorarbeit erscheint. Das ist im Umfeld von Fra … Frankr … Frankfurt natürlich als solches eher schmeichelhaft, meine Damen und Herren, aber es ist weniger schmeichelhaft in einer Doktorarbeit.“

Also kein Blackout. Er hat den Überblick verloren…  Aber dabei soviel Umsicht walten zu lassen, dass er die Fehler immer wieder mit hohem Vorsatz, noch höherer Risikofreude und mit offenkundiger Täuschungsabsicht verdeckt hat. Die Übersicht hat er auf das falsche Terrain gelenkt. Er hat nichts verloren als das schaumgeborene Image einer glaubwürdigen Persönlichkeit. Der Versuch, an dieser Stelle zu schmeicheln, und den Schmeichel in einen Selbsttadel zu verwandeln, belegt den Abgrund an tatsächlicher Ehrlosigkeit des Redners.

„Und das sind selbstverständlich Fehler. Und ich bin selbst auch ein Mensch mit Fehlern und Schwächen. Und deshalb stehe ich auch zu diesen Fehlern. Und zwar öffentlich zu diesen Fehlern, meine Damen und Herren, und bin auch ganz gerne bereit, dies in die hier stehenden Kameras zu sagen, die ja de facto wegen der Kommunalwahlen heute gekommen sind.

Und ich sage ebenso, und das sage ich mit der notwendigen und die [sic] mir in diesen Tagen gerne abgesprochenen Demut – auch die gehört zum politischen Handeln mit dazu – ich sage ebenso, dass ich mich von Herzen bei allen jenen entschuldige, die ich mit Blick auf die Bearbeitung dieser Doktorarbeit verletzt habe. Das ist eine Entschuldigung, die von Herzen kommt, und die als solche auch zu sehen ist.“

Noch einmal die Aggression gegen die Medien. Die Liebe zu ihnen ist ohne die Inkaufnahme möglichen Tadels nicht zu haben. Das “mea culpa” kommt nicht an. Im Saal schon. Beim Nachlesen aber hängt es wie das Grinsen ohne Katze leer in der Luft. Das Herz des Lügners bleibt kalt. Daran ändert auch die Wiederholung nichts. Kardiologisch mag der Oberfranke in Ordnung sein. Schlagfluss kommt später. Die abschließende gestelzte Befehlsform “die als solche auch zu sehen ist”, verfehlt ihr Ziel.

Die Stelze der Wettertanne ist weder Stütze noch bietet sie Zuflucht. Sie steht nackt und schäbig im Fallwind des Taunus. Zurück in den Forst mit dem Bruchholz!

Wer sich so in der Rhetorik verirrt, kommt in der Rhetorik um. Zumindest um die persönliche Glaubwürdigkeit.

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