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“The Daily”: Der Boulevard hat absolut kein Recht, die Welt für uns zu sortieren

von , 3.2.11

„Neue Zeiten verlangen nach einem neuen Journalismus“, erklärte Rupert Murdoch gestern Mittag vor seinen zähesten Anhängern. Aber ist der 79-jährige US-australische Medientycoon wirklich der richtige Mann für den behaupteten „new journalism“?

Das in New York vorgestellte (von Beginn an museumsreife!) Projekt krankt an inneren Widersprüchen. Denn die für 30 Millionen Dollar entwickelte Abo-App ist fortschrittlich und rückwärtsgewandt zugleich. Die Stärken des Versuchs sind dabei wesentlich leichter auszumachen als seine Schwächen. Deshalb zunächst die Pluspunkte:

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1. Die Kosten der Herstellung sind „gering“

Unsentimental, ohne Wenn und Aber verabschiedet sich Murdoch von der guten alten Zeit: „Kein Papier mehr, keine Druckmaschinen, keine Lastwagen.“ Die verbleibenden Kosten für die 120 Redakteure, den Einkauf von Inhalten, die Technik, die Programmierung, das Webdesign usw. betragen (angeblich) nur 26 Millionen Dollar im Jahr. Gut gemachte Zeitungs-Apps können sich künftig sogar Nicht-Milliardäre leisten.

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2. Der Abo-Preis ist unschlagbar

Im Gegensatz zu den bisher meist unverschämt teuren Online-Angeboten verlangt Murdoch nur 40 Dollar für ein Jahres-Abo von The Daily. Das ist ein unschlagbarer (und angemessener) Preis, den auch geizige Netz-Nutzer akzeptieren könnten. Mit ‚nur’ 1 Million Abos wäre das laufende Geschäft (inklusive der saftigen Apple-Provision) bezahlt – ohne eine einzige Anzeige schalten zu müssen. Deutsche Verleger sollten sich an Murdochs Abo-Preis ein Beispiel nehmen.

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3. Die Vernetzung ist (wenn auch bedingt) gegeben

Falls den Nutzern von The Daily ein Inhalt besonders gut gefällt, können sie ihn per E-Mail, Twitter oder Facebook Freunden und Followern empfehlen. Na prima!

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Aber nun zu den Schwächen des Projekts:

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1. Die Nutzer von Gerät und Inhalt passen nicht zusammen

Ein App-Abo suggeriert, dass der Nutzer ein komplettes Medien-Produkt auf Dauer erwerben will – wie früher die gedruckte Tageszeitung. Er kauft also nicht nur die Nachrichten-Auswahl einer bestimmten Redaktion, sondern auch die übrigen Ressort-Inhalte, die ihn möglicherweise nur peripher interessieren. Dieses Ganzheits-Konzept basiert auf dem treuen, letztlich unmündigen Leser, der viel Zeit mit einem einzigen Produkt verbringt, und Medienangebote nur selten mit anderen Medienangeboten vergleicht. Diese Leser der alten Schule wollen orientiert werden, heißt es, weil sie nicht in der Lage (oder nicht willens) sind, das für sie Interessante selbstständig aus dem Nachrichtenstrom zu fischen. Solche Medienkonsumenten gibt es zweifellos, aber sie werden in der Wissensgesellschaft weniger. Eine App wie The Daily richtet sich inhaltlich an netz-konservative Zielgruppen, und kollidiert dabei mit den agilen, bindungs- aber keineswegs bildungsschwachen Nutzern moderner High-Tech-Geräte. Zu vermuten ist, dass ein iPhone- oder iPad-Käufer eher nicht von einer geschlossenen Zeitungs-App „geführt“ oder „entmündigt“ werden will.

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2. Das Tageszeitungs-Konzept passt nicht zu Online

Die bizarre Annahme, der unaufhörliche Nachrichtenstrom würde nur einmal am Tag in Form eines Neuigkeiten-Pakets ausgeliefert, widerspricht jedem modernen Mediennutzungsverhalten. Auch die Willkür, mit der Redaktionen in den Nachrichtenstrom greifen, um ihn einen Augenblick lang anzuhalten und verstehbar zu machen, ist ehrenhaft, aber paternalistisch und unzeitgemäß. Gerade der Boulevard hat absolut kein Recht mehr, die Welt für uns zu sortieren, denn er repräsentiert selbst nur das blanke Chaos. Man betrachte zum Beweis die extrem unterschiedlichen Titelseiten der Tageszeitungen, die auf dem Portal Meedia im schnellen Wechsel gezeigt werden (in der Rubrik “Die Zeitungen von heute”). Dort sehen wir nicht etwa Orientierung oder Einordnung, sondern Beliebigkeit nach Lust und Laune.

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3. Der Boulevardjournalismus passt nicht zur App

Im Grunde handelt es sich bei The Daily nicht um eine klassische Abo-Zeitung, sondern um eine blinkende Multimediawundertüte, die der reinen Unterhaltung schon aus technischen Gründen sehr viel mehr Raum geben wird als der vertiefenden Information. Das heißt, der Weg zum Boulevard, zur Klickstrecke, zur Spielhölle ist vorgezeichnet. Aus The Daily wird aller Wahrscheinlichkeit nach ein The Daily Beast für Arme, eine gehobene Mischung aus Fox News und Sun. (Die meisten Redakteure stammen von Murdochs Boulevardblatt New York Post). Doch der Boulevard braucht die Exklusivität einer Abo-App nicht. Er kommt ganz gut ohne Abonnenten aus. Er braucht auch keine Einordnung des Zeitgeschehens. Denn der Boulevard lebt von der institutionalisierten Desorientierung. Und die gibt’s im Netz im Überfluss und dazu noch kostenlos.

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Das Vorzeige-Projekt The Daily steht und fällt also damit, ob es der Redaktion in relativ kurzer Zeit gelingt, eine zuverlässige Marke im App-Store zu schaffen, eine Marke, die so viel Kompetenz und Autorität ausstrahlt und sich mit exklusiven Recherchen und Geschichten so viel Renommee erarbeitet, dass man die App unbedingt abonnieren will. Das kann der New Yorker leisten oder Die Zeit, ein Boulevard-„Blättchen“ wie The Daily nie und nimmer.

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