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“Netzfilter gegen Urheberrechtsverstöße wären völlig unverhältnismäßig”

von , 2.2.11

Herr Süme, ist es eigentlich technisch möglich den Internetverkehr flächendeckend zu filtern?

Oliver Süme, stellv. Vorstandsvorsitzender des eco - Verband der deutschen Internetwirtschaft, Ressort Recht und Regulierung

Oliver Süme (Bio): Im Bereich des Hosting werden von Providern teilweise Technologien eingesetzt, die das Erkennen bestimmter Inhalte auf den Servern ermöglichen. So können z.B. illegale Film- und Musikdateien erkannt und entfernt werden, entsprechende Vereinbarungen dazu zwischen Host-Providern und Rechteinhabern existieren bereits.

Anders verhält es sich, wenn auf Leitungsebene Filtertechnologien eingesetzt werden sollen, um bestimmte Datenpakete zu erkennen. Hier gibt es theoretisch unterschiedliche Ansätze, die jedoch sowohl wegen ihrer technischen Auswirkungen auf die Netzinfrastruktur der Provider als auch aus grundsätzlichen rechtlichen Erwägungen heraus sehr problematisch sind.

Solche Verfahren sollen bereits bei Bekämpfung Rechtsextremismus genutzt werden?

Nein, das ist nicht der Fall, das wäre auch kein taugliches Mittel. Denn eine effektive Bekämpfung jeder Form von rechtswidrigen Inhalten muss zum Ziel haben, den Inhalt vom Ursprungsserver zu entfernen. Beim Filtern wie auch beim Versuch des Blockings auf Leitungs- bzw. Netzebene sind die Inhalte nicht nur weiter verfügbar,
sondern auch über andere Netzverbindungen weiter erreichbar.

Warum setzen die Provider Filtertechnik nicht bei Online-Piraterie ein, wenn es technisch möglich ist?

Filtermaßnahmen auf Netzebene würden einen Eingriff in Kommunikationsinfrastrukturen der Provider bedeuten. Die Technik für solche Maßnahmen könnte man theoretisch auch zum Erkennen bestimmter Datenpakete installieren. Dies würde aber voraussetzen, den gesamten Datenverkehr zu filtern. Solche Maßnahmen können
erhebliche negative Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Internetverbindungen haben und die Stabilität der Internetinfrastruktur gefährden.

Darüber hinaus unterliegen derartige Techniken zu Recht strengsten gesetzlichen Ausnahmetatbeständen, da hier in das Fernmeldegeheimnis eingegriffen
würde. Die Überwachung potentieller Urheberrechtsverstöße mit solchen Technologien wäre daher völlig unverhältnismäßig.

Mit welchem wirtschaftlichen Aufwand wäre der Einsatz von Filtern verbunden?

Wir haben darüber keine Erhebungen vorgenommen, dazu besteht wegen der grundlegenden Bedenken derzeit auch kein Anlass. In Deutschland gibt es neben einigen großen Providern mehr als 5000 kleine und mittelständische Access-Provider, die ebenfalls Teil unserer Netzinfrastruktur sind. Unabhängig von den Investitions- und Betriebskosten der Branche besteht insbesondere das Risiko, durch den Einsatz von Filtertechnologien diese Infrastruktur zu gefährden – dies ist im Zweifel das höhere, gesamtwirtschaftliche Risiko.

Es existiert der Vorschlag, bei Urheberrechtsverletzungen Warnhinweise zu versenden. Was halten Sie davon?

Dieses Modell wird derzeit auch in einer vom Bundeswirtschaftsministerium initiierten Dialogrunde zwischen Providern und Rechteinhabern als ein Teil möglicher Maßnahmen diskutiert. Daneben wird insbesondere über Möglichkeiten gesprochen, legale Downloadangebote weiter auszubauen und Nutzeraufklärung zu betreiben, insbesondere mit Blick auf Kinder und Jugendliche.

Während bei diesen Maßnahmen durchaus gemeinsame Ansätze von Providern und Rechteinhabern möglich scheinen, bestehen bezüglich der sogenannten
„Warnhinweise“ unterschiedliche Auffassungen. Aus Providersicht können wir keinesfalls Maßnahmen ergreifen, die einen Zugriff auf personenbezogene Daten von Kunden erforderlich machen.

Dies wäre aber gerade der Fall, wenn der Provider die von einem Rechteinhaber mitgeteilte IP-Adresse und den „Zeitstempel“ mit den Daten seines Kunden zusammenbringen muss, um diesem Kunden einen Warnhinweis zu senden. Dieser Vorgang wäre daher datenschutzrechtlich unzulässig.

Zudem wäre der Provider hier zwangsläufig in einer Richterrolle: Er muss entscheiden, ob ihm die Information über eine angebliche Rechtsverletzung ausreicht und
weiß dabei nicht einmal, ob sein Kunde tatsächlich der Rechtsverletzer ist, oder andere Personen, die den Internetzugang seines Kunden berechtigt oder unberechtigt genutzt haben. Eine derartige Privatisierung der Rechtsdurchsetzung kann nicht die Lösung sein.

Vor diesem Hintergrund wäre allenfalls der Versand von Hinweisen diskutabel, die sich an alle Kunden eines Providers richten, ohne dass ein konkreter Anlass für eine individuelle Rechtsverletzung besteht.

Wie erfolgreich kann ein Löschen bei Providern außerhalb Deutschlands veranlasst werden?

Wir haben hier im Jahr 2010 im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Darstellung von Kinderpornografie im Internet ausgezeichnete Erfahrungen gemacht. Insbesondere in den Schwerpunktländern Russland und USA wird von den Providern nach Hinweisen unserer Beschwerdestellenmitarbeiter auf Kinderpornografie unverzüglich die Löschung veranlasst. Über 80 Prozent der Inhalte werden so binnen einer Woche gelöscht, der Rest innerhalb weiterer zwei Wochen.

Dies können wir noch weiter optimieren, wenn alle Länder hier so erfolgreich arbeiten wie wir in Deutschland, wo sämtliche derartige Inhalte in der Regel binnen weniger Stunden gelöscht werden können. Auch die amerikanische Beschwerdestelle schafft es mittlerweile, sämtliche gemeldeten Inhalte innerhalb von ca. 2 Tagen zu löschen.

Wenn nicht gelöscht werden kann, ist dann Sperren nicht besser als gar nichts?

Das ist ein immer wieder zu hörendes Argument, das jedoch völlig falsch ist. Denn Sperrungen bewirken nicht nur nichts. Sie sind sogar kontraproduktiv, wie die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen. Laut einer Stellungnahme des Bundeskriminalamtes unterrichten beispielsweise die Behörden in Dänemark und Norwegen die Staaten, in denen die festgestellten kinderpornografischen Angebote gehostet werden, gar nicht mehr.

Es wird dort also seit dem Aufbau einer Sperrinfrastruktur nicht einmal mehr der Versuch unternommen, die Inhalte auch zu entfernen. Dies ist aber der effektivere Ansatz und er funktioniert auch im Ausland, wie unsere Erfahrungen zeigen.

Im Übrigen zeigen die Erfahrungen in Ländern mit Sperrinfrastruktur auch, dass die Sperrlisten oft gehackt und veröffentlicht werden und damit quasi noch als Telefonbuch für Pädophile und Sexualstraftäter dienen. Diese Problematik wird in Zeiten von Wikileaks noch zunehmen. Sperren ist daher auf keinen Fall eine Alternative.

Dieses Interview erschien zuerst im medienpolitischen Fachmagazin Promedia (2/2011). Übernahme mit freundlicher Zustimmung von Helmut Hartung und Promedia. Eine Probeabo von Promedia kann hier bestellt werden.

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