#Bookmarking

Sonnenuntergang bei Delicious

von , 17.12.10

Sonnenuntergänge sind ja etwas Schönes. Nur wenn sie zur Metapher für das Ende eines Dienstes wie Delicious verwendet werden, kommen dabei natürlich keine positiven Gefühle hoch. Bei Yahoo! hat man dieser Tage nicht nur mehrere Hundert Mitarbeiter entlassen, sondern auch das Ende einer Reihe von Diensten, darunter Delicious, verkündet – unter der Bezeichnung “Sunset”.

Im Social Web gab es darauf ein wehmütiges Echo, von einem Protest zu sprechen wäre aber übertrieben. Immerhin gehörte der Bookmarking-Dienst Delicious, der 2003 gegründet und bereits 2005 von Yahoo! übernommen wurde, immer zur “Grundausstattung” des Web 2.0. Er war gewissermaßen Teil der Verheißung auf eine bessere Welt, die mittels User-Generated Content geschaffen würde. Wem das heute verwunderlich erscheint: Es gab damals schon die Wikipedia und etliche Blogs, aber noch kein YouTube, so dass das Bild vom User-Generated Content noch ein anderes war.

Die Jahre bei Yahoo! sind Delicious nicht bekommen. Dem kreativen Anfang folgte im Grunde nur noch die konzeptionelle Stagnation, bei Yahoo! wusste man mit dieser Akquisition sichtlich nichts anzufangen. In der Folge entwickelten sich etliche Wettbewerber zu Delicious, die aber von dessen relativer Unbeweglichkeit nicht recht profitieren konnten. Denn die Musik im Social Web spielte nicht mehr bei der doch eher trockenen Materie der Schlagwörter und Lesezeichen, sondern in immer stärkerem Maße auf YouTube und in Social Networks wie MySpace und später Facebook.

Vor diesem Hintergrund hätte man Delicious dringend weiterentwickeln müssen, damit es heute vielleicht dort stehen könnte, wo Startups wie Quora ihren Ausgangspunkt setzen. Denn das Organisieren von Wissen (und Wissenslücken) ist unverändert eine hochinteressante Materie mit der Aussicht auf Geschäftspotenziale, in die Venture Capitalists bereit sind, zweistellige Millionenbeträge zu investieren.

Bei Yahoo! wollte man aber offensichtlich nicht investieren, sondern suchte eine Cash Cow, zu der sich Delicious nie entwickelt hat. Das freilich hätte man schon früh sehen können, denn Delicious war und ist ein kostenloser Dienst, zu dem es schon vor der Übernahme durch Yahoo! skeptische Diskussionen in Blogposts darüber gab, ob er sich je in dieser Form würde monetarisieren lassen, etwa hier, im Blog von 37signals aus dem April 2005.

Dazu kommt, dass Delicious zu sehr ein Kind seiner Zeit war, in der man glaubte, im Social Web müssten alle Angebote grundsätzlich kostenlos sein. Seine Wettbewerber von heute wissen es besser: DiigoEvernoteInstapaper oder Pinboard sind nur noch teilweise kostenlos und verlangen entweder für einen Teil ihrer Funktionen Geld oder aber sie kassieren bei den Applikationen für die mobile Nutzung. Aber selbst das macht diese Dienste wohl nur bedingt lukrativ und dürfte kaum den Vorstellungen von Profitabilität entsprechen, die das Management von Yahoo! bei seinen jüngsten Entscheidungen angelegt hat.

Die Konsequenz, den Dienst zu schliessen, ist deshalb aus der Sicht von Yahoo! verständlich. Die Freunde von Delicious werden den Verlust verschmerzen können, gibt es doch reichlich Alternativen und zudem eine Exportfunktion, mit der man seine Daten bequem mitnehmen und anderswo wieder integrieren kann.

Nicht zuletzt könnte das Beispiel die Zahlungsbereitschaft im Social Web steigern helfen, so dass vergleichbare Dienste künftig auf materiell besserer Basis kalkulieren können. Denn auf Dauer gibt es nur diese Möglichkeit: Was sich nicht über Werbung quer finanzieren lässt, kann nur als Bezahlangebot funktionieren. Ansonsten droht der Sonnenuntergang.

Update am 18.12.2010:

Aufgrund der Tatsache, dass die mögliche Schliessung (“Sunset”) von Delicious aus einer internen Besprechung von Yahoo! heraus bekannt wurde und für deutliche Kritik am Unternehmen sorgte, scheint man jetzt zurück zu rudern und spricht inzwischen von einer Art Verkauf (“home outside the company”). Dazu gibt es eine Meldung im Blog von Delicious, die wiederum beissende Kritik zur Folge hatte, etwa von John Gruber und Michael Arrington.

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