#Google Street View

Pixelbombenalarm

von , 8.11.10

Es ist ja so: Für mehr Öffentlichkeit und Transparenz (also für den Fortschritt) haben sich immer diejenigen eingesetzt, die nicht viel hatten, was sie vor den anderen verbergen konnten – während z.B. die Schlossbesitzer auf die Wahrung ihrer Privatsphäre hinter den Mauern und Hecken enorm viel Wert legten. Ich nehme auch an, dass die Zahl der Mieter von Zwei-Zimmer-Wohnungen, die etwas dagegen haben, dass ihr Klofensterchen, das auf die Straße geht, von außen abfotografiert wird, relativ klein ist im Verhältnis zur Zahl der Einspruch erhebenden Landhausbesitzer? Und noch nie habe ich von einem Fußgängeraufstand gehört, bei dem sich die Benutzer der öffentlichen Bürgersteige dagegen wehrten, von Überwachungskameras an privaten Toreinfahrten gefilmt zu werden. Sollte man sich nicht auch da vom Hausbesitzer verpixeln lassen?

Unsere Daten sind doch längst alle bekannt. Nur: Bei Google Street View geht es gar nicht um lausige Daten, es geht um sichtbaren Besitz, und das heißt, es geht ans Eingemachte. Soll künftig jeder Gangster meine vom Mund abgesparte (oder von den Großeltern geerbte) Villa in aller Seelenruhe betrachten können? Muss ich mir ungefragt 300 Angebote zur Ausbesserung meines Krüppelwalmdachs in den Postkasten stecken lassen? Darf jeder sehen, wie verschwenderisch nahe ich den Wintergarten an die Grundstücksgrenze gesetzt habe? Das wäre ja so, als könnte man direkt in mein Portemonnaie fotografieren. Jeder Nacktscanner am Flughafen ist ein Witz dagegen!

In ungerechten Gesellschaften, vor allem in solchen, in denen Leistung und Besitz längst entkoppelt sind, ist es vernünftiger, die eigene Habe ein wenig herunterzuspielen. Der Schutz der Privatsphäre ist dann vor allem der Schutz vor der Gier der anderen; und das Recht, das, was ich habe, vor der Öffentlichkeit (also vor dem potentiellen Feind!) zu verbergen.

Da Privatsphäre und Privatbesitz nur schwer voneinander zu trennen sind, ist jede Fassade, die man von der Straße aus sieht, gleichzeitig öffentlich und privat. Denn im Moment des Anblicks verwandelt sich das reflektierte Licht, das von der privaten Fassade auf die Netzhaut fällt, in ein öffentliches Abbild. Und die öffentliche Fassade verwandelt sich auf der Netzhaut zu etwas gänzlich Privatem.

Um diese Wandlung – gläubige Katholiken erfahren etwas ähnliches beim Abendmahl – sicher verhindern zu können, müssten riesige Vorhänge vor privaten Gebäuden Öffentlichkeit vortäuschen, etwa so, wie der Berliner Palast der Republik zeitweise von einer Schlosstapete verhüllt wurde. Noch gescheiter wäre es allerdings, einen Chip in die Netzhaut zu implantieren, der den öffentlichen Blick eines Menschen zuverlässig verpixelt, sobald er auf ein privates Gebäude trifft.

Nach den guten Erfahrungen mit dem elektronischen Personalausweis und der persönlichen Identifikationsnummer sollte die technische Seite kein allzu großes Hindernis darstellen.

.

Und hier geht’s zur ernsthaften Debatte:

  1. Die Zeit
  2. Die FAZ
  3. Netzpolitik
  4. Slow Media
  5. Ich sag mal

Weitere Leseempfehlung: Daniel Leisegang hier auf Carta

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.