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“Blogger-Bookazine”: Wenn Journalismus-Studenten nebenher einen Verlag gründen

von , 28.9.10

“Und wann wird an deutschen Journalistenschulen gezielt darauf vorbereitet, wie man eigene journalistische Startups gründet und finanziert?”, fragte Ulrike Langer gestern, als sie in ihren Linktipps den neuen New Yorker Studiengang “Unternehmerjournalismus” vorstellte.

Eine durchaus berechtigte Frage. Nicht wenige stehen vor der Frage: Irgendwo klein anfangen oder als freier Journalist den Auftraggebern hinterherrennen? Der eigene Chef sein, ein eigenes Unternehmen führen: Das klingt wie eine verlockende, wenngleich schwierige Alternative. Und da sich die Medienbranche derzeit eher im Sinkflug befindet – oder zumindest den Eindruck vermittelt, können gute Ideen nicht schaden. Vielleicht braucht es frisches Blut, unbekümmerte Gedanken. Andererseits: Es geht hier auch um die (berufliche) Existenz.

CIRCUS "Fashion" soll nicht nur modeaffine Leser interessant sein.

Genau in diesem Zwiespalt stehen auch meine Kommilitonen, die sich mit einer Idee selbstständig gemacht haben. Nicht, dass ich Leuten aus meinem Studiengang nichts zutrauen würde. Ganz im Gegenteil. Während wir häufig im Schatten der bekannten Journalistenschulen stehen und man uns einreden will, wir wüssten zu wenig von der Praxis, gehe ich davon aus, dass wir vielen etwas voraus haben. Doch schon neben dem Studium viel Geld die Hand nehmen und einen eigenen Verlag gründen, wie es einige aus dem Semester über mir getan haben? Ist das nicht zu riskant?

Ihr Verlag namens Herznote ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, im Notfall müssten die Gründer privat haften. Auch das Startkapital haben sie überwiegend privat beschafft. “Da wird man im Alter von 22 bis 24 Jahren schon nervös”, sagt mir Rebecca. Sie ist eine der Verlagsgründerinnen. Und sie ist Chefredakteurin des ersten Produkts des Verlags: Dem Bookazine CIRCUS.

Bookazine? Was ist das denn? “Ein Bookazine verbindet das Beste von Buch und Magazin miteinander”, verrät Anke, zuständig für Anzeigen und Marketing. Im konkreten Fall von CIRCUS bedeutet das: 352 Seiten voll Artikel unterschiedlicher Stilformen, garniert mit vielen Fotos und Illustrationen und das mit stabilem Umschlag. Ähnlich wie beim bekannten Magazin “Dummy” soll jede Ausgabe ihr ganz eigenes Layout bekommen und nur ein Thema behandeln.

In der Erstausgabe ist Mode das Thema, in Ausgabe zwei wird es Reise sein. “Wir haben uns bemüht, die Texte so auszuwählen, dass CIRCUS nicht nur für modeaffine Leser interessant ist”, sagt Rebecca. Dafür habe das Redaktionsteam über 200 Blogger angeschrieben, denn CIRCUS will das erste weltweite “Blogger-Bookazine” sein. Die Autoren sind quer über den Globus verstreut: Neben Europäern sind auch Blogger aus Australien, Amerika oder etwa China vertreten. Einige der Namen sind in der Szene wohl auch recht bekannt. Ich kann es nicht beurteilen. Die Szene ist nicht die meine.

Etwas anderes kann ich da eher beurteilen: Modeaffiner Leser bin ich definitiv nicht, oder anders ausgedrückt: Ich bin der ideale Testleser, um zu beurteilen, ob das Werk wirklich etwas für jeden ist. Außerdem bin ich auch ein sehr fauler Leser. Man braucht also immer einen erhöhten Startimpuls, um mich zum Lesen zu bringen – am besten gepaart mit wenig Ablenkung.

Das "Bookazine" soll weltweit verkauft werden: Die Texte sind immer in Originalsprache und Englisch abgedruckt.

Dies gegeben, sind durchaus einige Stories sehr interessant. Zum Beispiel ein kurzer Extrakt über die Historie der Frauen-Rasur und dem damit verbundenen Geschäftsmodellen. Klingt jetzt etwas komisch, aber wie gesagt, wenn man einmal drin ist… Einen guten Eindruck bekommt man auch von den Vorschaubildern, die das CIRCUS-Team im zugehörigen Blog veröffentlicht hat. Mein persönliches Fazit: Tendenziell ist CIRCUS schon eher etwas für Mode-Affine, aber für den kurzen Zeitvertreib findet jeder etwas darin. Ohne, das es abwertend gemeint sein soll: Eigentlich ein Muss für Wartezimmer – vor allem natürlich beim Frisör.

Wie sieht es nun mit dem Kontostand der Jungverleger aus? Um schwarze Zahlen zu schreiben, setzen sie auf Anzeigen und Verkaufserlöse. “Bei der ersten Publikation ist es nie leicht”, sagt Anke. Es sei schwer Anzeige-Kunden zu gewinnen, wenn man noch kein Exemplar zum vorzeigen habe. Daher gibt es in Ausgabe eins zunächst keine Anzeigen. Das werde sich aber in der nächsten Ausgabe ändern, ist sie sich sicher: “Kein potentieller Werbekunde lehnte das Konzept als solches ab, viele wollen ab der zweiten Ausgabe einsteigen.” Der Ausdruck “Bookazine” habe häufig besonderes Interesse geweckt.

CIRCUS experimentiert mit unterschiedlichen Stilformen.

Noch mal zurückgekommen auf die Texte: Die sind immer in Originalsprache und Englisch abgedruckt, bzw. in Deutsch wenn das Original auf Englisch ist. Denn das Bookazine soll nicht nur von internationalen Autoren sein, sondern auch weltweit verkauft werden. Jedoch nur zum Teil: Über die Hälfte der 10.000 Exemplare fassenden Auflage geht nämlich nach Deutschland, Österreich und die Schweiz. 15 Prozent sind für Großbritannien, 10 Prozent für den Vertrieb in den USA gedacht. Die restlichen Länder bekommen nach Planung meist nur 100 oder weniger Exemplare geliefert. Als Vertriebspartner dient unter anderen Axel Springer.

Außerdem verkaufen die Jungjournalisten ihr Werk über Amazon und einen eigenen Online-Shop. Die ersten Exemplare seien dort bereits verkauft worden, bevor man groß geworben habe. Auch das Feedback zum Preis von 14 Euro sei in der Regel positiv: “Die meisten Leute sagen, sie würden auch noch mehr zahlen.“

Zur Vermarktung veranstaltete das Team im September zwei “Blog Slams”, einen in Berlin und einen in London. Nach dem bekannten Prinzip eines Poetry Slam traten Blogger gegeneinander an, die entweder eigene Texte oder bevorzugte Texte andere Blogs vortrugen. Ich selbst war nicht da, aber ein Bekannter sagte mir, es habe sich gelohnt. Die Macher betonen stolz, es seien die ersten Blog Slams der Welt gewesen.

Die Autoren sind quer über den Globus verstreut: Neben Europäern sind auch Blogger aus Australien, Amerika oder etwa China vertreten.

Der Herznote-Verlag hat übrigens auch Praktikanten. Das klingt tatsächlich etwas komisch, da die Macher selbst noch in der Ausbildung sind, doch finanzielle Ausbeute gibt es nicht, wie man mir versichert: “Wir kennen das alle selbst, man wird viel zu oft ausgenutzt”, sagt Chefredakteurin Rebecca. Die Praktikanten würden daher bezahlt. Und die beteiligten Blogger sollen sobald Gewinn herauskommt eine Gewinnausschüttung bekommen. Für die meisten Blogger sei das in Ordnung gewesen. Vielen gehe es auch mehr um die Wertschätzung ihrer Arbeit.

Die Verlagsgründer schließen nächstes Jahr ihr Studium ab, drei von ihnen besuchen genau wie ich den Studiengang „Online-Journalismus“ in Darmstadt. Danach soll ihr Unternehmen ganz zum beruflichen Lebensmittelpunkt werden. “Ziel ist es, dass wir damit irgendwann unser Leben finanzieren können”, erzählt mir Rebecca.

Ich finde, man kann ihnen dazu nur die Daumen drücken. Startups haben es schließlich gerade in der Medien-Szene schwer und etwas frischer Wind und Innovation kann nicht schaden.

Die Erstausgabe von “The Bloggers’ Bookazine CIRCUS” kann man im Shop des Projekts für 14 Euro bestellen.

Wer Blogger, Designer, Illustrator, Artist, Stylist, Fotograf oder Übersetzer ist und bei der kommenden Ausgabe zum Thema “Reise” mitmachen möchte, kann sich demnächst bewerben.

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