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Perspektiven von Flattr: 125 Praktikanten für Spiegel Online?

von , 30.7.10

Auch wenn derzeit kein großer Anbieter bei Flattr einsteigen will, lohnt es sich zu überlegen, welche Konsequenzen dies für Social Payments im Allgemeinen und Flattr im Speziellen hätte. Zum Beispiel, wenn Spiegel Online Flattr einbinden würde.

Die taz hat im Juni 2010 fast 1000 Euro als mit Flattr eingenommen. In diesem Monat hatte taz.de laut IVW 4.056.204 Visits. Im gleichen Zeitraum hatte Spiegel Online, ebenfalls laut IVW, 139.611.882 Visits. Das ist mehr als das dreißigfache. Zudem sind auf Spiegel Online deutlich mehr Beiträge zu finden, sprich auch mehr potentiell flattrbare Inhalte. Dies spiegelt sich auch im Verhältnis der Seitenabrufe wieder: Spiegel Online hat mit 907.629.881 mehr als 70 Mal so viele Seitenabrufe wie taz.de mit 12.502.980.

Selbst wenn man an dieser Stelle davon ausgeht, dass Leser der taz deutlich eher bereit sind, eine freiwillige Abgabe zu zahlen, kann man von einem Faktor von – sagen wir 50 – ausgehen, um den die Einnahmen bei Spiegel Online höher ausfallen dürften. Das wären stolze 50.000 Euro. Das entspricht etwa den Einnahmen durch eine Skyscraper-Banner-Anzeige im Wirtschaftsteil von Spiegel Online für eine Woche. Mit anderen Worten: Mit Anzeigen würden weiterhin deutlich mehr Einnahmen erzielt, zu Verachten wäre eine solche Summe – flösse sie zusätzlich – jedoch bei weiten nicht. Sie entspricht in etwa 125 Praktikanten, um mal einen anderen, nicht ganz ernst gemeinten Vergleich anzustellen.

Flattr-Einnahmen von 50.000 Euro sind natürlich dennoch eine Milchmädchen-Rechnung. Denn es wird nicht berücksichtigt, wie sich der Wert eines Klicks durch einen Einstieg von Spiegel Online entwickeln würde. Würde ein solch großer Player mit vielen Inhalten hinzukommen, liegt es auf der Hand, dass der Wert pro Flattr-Klick rapide sinken würde. Eine solche Inflation könnte den Dienst für kleine Blogs sogar vollkommen uninteressant machen. Die größeren Anbieter dürfte es nicht so hart treffen, denn ein Einstieg von etwa Spiegel Online würde Flattr einen enormen Popularitäts-Schub geben. Viele neue Nutzer könnten hinzukommen.

Ein hoher Andrang bei Flattr könnte jedoch das kleine Team des jungen Unternehmens an seine Grenzen stoßen lassen. Die finanzielle, materielle und personelle Situation von Flattr ist derzeit noch sehr begrenzt. Wahrscheinlich ist daher, dass der Einstieg eines großen Players Flattr derzeit nicht gut tun würde.

Wenn Flattr langfristig erfolgreich sein soll, ist somit eine langsame, wenn auch stetige Entwicklung nötig. Neben einigen technischen Dingen, an denen gefeilt werden muss, sollten die Zahlungsmöglichkeiten ausgebaut werden. Laut Flattr sind direkte Überweisungen geplant. Diese wären ein wichtiger Schritt, um Paypal zu umgehen. Paypal wird von vielen als Grund gegen Flattr angesehen, da es verhältnismäßig hohe Gebühren verlangt. Auch Datenschützer sind skeptisch.

Interessant, weil für die User sehr unkompliziert, könnte auch eine Abwicklung der Zahlung über den Internetprovider sein. So könnten die Kosten für Flattr über die Internet-Rechnung eingezogen werden oder Flattr-Einnahmen auf diese angerechnet werden.

Eine mögliche erfolgreiche Entwicklung von Flattr könnte in folgenden Schritten verlaufen:

  • Verbesserung der Zahlungsmöglichkeiten
  • Wachsende Bereitschaft zu Social Payments
  • Einbindung von Flattr bei Blog-Hosting-Diensten wie wordpress.com, Blogger oder Posterous
  • Nutzung von Flattr bei Diensten wie YouTube oder Wikipedia
  • Einstieg von etablierten Medienanbietern (nicht nur aus Deutschland)

Möglich ist, dass zwar Social Payments eine große Sache werden, Flattr selbst jedoch nicht. Sollte der Dienst ist Stocken geraten oder nicht schnell genug marktbeherrschend werden, könnten andere Anbieter auf den Markt drängen. Diese müssten Flattr etwas voraus haben. An erster Linie wäre hier an Reichweite, sprich Benutzerzahlen zu denken. Und da fällt vorrangig ein Anbieter ein: Facebook.

Facebook hat mit seinen „Like-Buttons“ möglicherweise bereits die Infrastruktur für ein eigenes Social Payment-System aufgebaut. Sollten sich Social Payments tatsächlich als Markt mit Potential herausstellen, könnte Facebook der Nutznießer sein. Die eigene Währung (Credits) könnte nicht nur für Social Payments, sondern auch für Applications wie Spiele genutzt werden.

Für einen Einstieg in den Markt müsste Facebook jedoch vermutlich zuerst seine Probleme in der Datenschutz-Thematik in den Griff bekommen. Derzeit würden sich viele schwer tun, Facebook Kontodaten oder Geld anzuvertrauen.

Ob Flattr sich durchsetzt oder Facebook im großen Stil einsteigen wird kann man zwar diskutieren, aber letztlich nur auf dem Wissensstand von heute. Wie das Internet und auch der Journalismus von Morgen jedoch aussehen, weiß man bekanntlich meist erst übermorgen wirklich.

Dieser Beitrag erschien zunächst im privaten Blog des Autors. Er ist der abschließende Teil des in vier Blogposts aufgeteilen Essays: Flattr: Finanzierungsmodel mit Zukunft oder kurzfristiger Online-Hype?

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