#Andreas Pinkwart

“Spielräume für Entlastung”: Die FDP rechnet sich Steuereinnahmen schön

von , 29.7.10

„Die Steuerschätzung bestätigt: Spielräume für Entlastung sind da“ heißt es in blauen Lettern auf gelbem Hintergrund auf dem “Flugblatt Steuerschätzung” der FDP. Darauf sind zwei nebeneinander abgebildete Balken zu sehen, die verdeutlichen sollen, dass die Steuereinnahmen von 2005 bis 2013 um 109,3 Mrd. Euro auf 561,3 Mrd. Euro steigen werden. Die Steigerung von 24,2 Prozent soll die Grundlage für die von der FDP heiß ersehnten Steuersenkungen bilden.

Doch was die Längenverhältnisse der beiden Balken angeht, hat sich jemand bei den Liberalen gehörig verrechnet. Der rechte Balken, der verdeutlichen soll, wie hoch die Steuereinnahmen steigen werden, ist ein ganzes Viertel länger, als er den Zahlen nach sein dürfte.

Der Würzburger Ökonomen Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage, kritisiert: „Das ist hochgradig unseriös“. Die FDP-Grafik sei ein „schlimmer Taschenspielertrick“, so Bofinger. Zudem unterstelle die FDP, dass 2005 „alles im grünen Bereich gewesen sei“. Die Einnahmen des Staates seien jedoch „schon im Jahr 2005 unzureichend gewesen, weil der Staat ein Defizit hatte von 74 Milliarden“. Außerdem berücksichtige die FDP-Grafik nicht die Inflation. „Wenn man das auf die Kaufkraft von 2005 zurückrechnet, sind die 561 Milliarden bei einer jährlichen Inflationsrate von 1,5 Prozent nur 498 Milliarden wert“, weiß der Ökonom.

Dietmar Bartsch, stellvertretender Vorsitzender der Bundesfraktion Die Linke, findet: „Wie im Wahlkampf zu den Bundestagswahlen täuscht die FDP die Bürgerinnen und Bürger über die Möglichkeit von Steuersenkungen.“ Im ersten Regierungsjahr der FDP sei das Steuersystem weder einfacher noch gerechter geworden; niedrige Steuern zahlten nur reiche Hoteliers, so Bartsch.

Der SPD-Haushälter Carsten Schneider sagt, die FDP-Präsentation sei „der letzte verzweifelte Versuch der FDP vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen“ gewesen, um „die Wählerinnen und Wähler für dumm zu verkaufen und ihnen einzureden, es gebe Spielräume für Steuersenkungen.“  Zudem sieht man in der FDP-Grafik sogar eine „bewusste Irreführung und versuchte Täuschung der Wählerinnen und Wähler“.

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Christian Lindner, FDP (Foto: Kowalke/FDP)

Auch Alexander Bonde, haushaltspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und Obmann im Haushaltsausschuss, sieht die FDP-Grafik kritisch: „In Zeiten einer Rekordverschuldung und wichtiger Investitionsaufgaben zur ökologischen Modernisierung unserer Volkswirtschaft gibt es keinen Spielraum für Steuersenkungen – an dieser Tatsache ändern auch FDP-Grafiken nichts.“

Am Tag der letzten offiziellen Steuerschätzung am 6. Mai gab der FDP-Generalsekretär Christian Lindner im Foyer des Thomas-Dehler-Hauses in Berlin, wo die FDP ihre Parteizentrale hat, ein “Presse-Statement” ab. Dabei hielt Christian Lindner die täuschenden Balken in die Kameras. Bei der Aktion waren unter anderem Journalisten von ARD, Deutsche Welle, ZDF, ProSiebenSat.1 und dpa zugegen. In der 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau war Lindner mit dem Plakat in der Hand zu sehen, die umstrittenen Balken waren jedoch außerhalb des Bildbereichs.

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Andreas Pinkwart beim 61. Bundesparteitag der FDP in Köln (Foto: FDP)

Der FDP-Vize Andreas Pinkwart, bis letzte Woche Mittwoch stellvertretender Ministerpräsident in NRW, hielt auf dem FDP-Bundesparteitag am 24. April über eine Minute lang eine ähnliche Grafik in die Kameras. Auch sie zeigte den Einnahmenzuwachs des Staates von und verwendete dazu ebenfalls zwei nebeneinander abgebildete Balken. Diese zufolge sollte der Gesamtstaat von 2005 bis 2013 sogar einen „Einnahmezuwachs von 27 Prozent“ erwarten können, wie Pinkwart prophezeite.

Was die Frage der Realisierbarkeit der von ihr geforderten Steuersenkungen vor dem Hintergrund niedriger Staatseinnahmen angeht, stand die FDP zum Zeitpunkt von Pinkwarts Rede extrem unter Druck. Zwei Wochen später, am 9. Mai, fand nämlich die NRW-Landtagswahl statt. Zwischenzeitlich war von der Regierung sogar überlegt worden, den Termin der anstehenden Steuerschätzung, bei der erhebliche Mindereinnahmen nicht ausgeschlossen wurden, auf einen Zeitpunkt nach der NRW-Landestagswahl zu terminieren.

Die Steuerschätzung brachte dann ein Ergebnis, das die Steuersenkungspläne der FDP stört: Der Schätzung zufolge hat der Staat bis 2013 mit Mindereinnahmen in Höhe von 38,9 Milliarden Euro zu rechnen. Die FDP, die zu ihrem Flugblatt auf Anfrage nicht Stellung nehmen wollte, behauptet auf ihrem Flugblatt Steuerschätzung, das sie im Internet zum Download bereithält, jedoch: „Der öffentlichen Hand stehen weiter Einnahmen in Rekordhöhe zur Verfügung“.

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