#Geschäftsmodell

Nicht die Immaterialgüter sind knapp, sondern die professionellen Ressourcen.

von , 27.5.10

Felix Neumann hat am Dienstag unter dem Titel „Der Öffentlichkeit nicht den Boden entziehen“ seine Vorstellungen für ein neues Urheberrecht vorgestellt. Meine Antwort auf seine Thesen.

Aus dem Text von Felix Neumann (jeweils eingerückt):

Die vulgärliberale Parole »Leistung muss sich lohnen« verschleiert, was ein Markt leistet: Ein Markt bringt Angebot und Nachfrage zusammen, Preise sind Indikatoren für Knappheit, Bedarf und Verfügbarkeit. Es gibt kein Recht darauf, dass aus Mühe Bezahlung folgt, auch wenn die marxsche Arbeitswerttheorie sympathisch klingt. Arbeitswert ist aber tatsächlich kein Wert; man kann noch so schöne Postkutschen bauen: Im Zeitalter von Flugzeug und Bahn wird man Postkutschen nicht mit dem Argument verkaufen können, man hätte ja einiges an Leistung zur Herstellung erbracht. Leistung kann sich nur lohnen, wenn es Abnehmer dafür gibt.Und es ist kein Marktversagen, wenn niemand mehr Content kauft. Der Markt ist ein Instrument, mit Knappheit umzugehen.

Replik: Richtig ist, dass man Marktversagen nicht daran messen kann, ob auf Mühe Bezahlung erfolgt. Das Fehlen eines aus Anbietersicht angemessenen Preises ist kein Kriterium für Marktversagen.

Marktversagen liegt aber in der Tat vor, wenn das Ausschlussprinzip nicht mehr durchgesetzt werden kann. Wenn ich als Produzent nicht mehr verhindern kann, dass Dritte mein Produkt uneingeschränkt nutzen, dann kann ich es nicht mehr verkaufen. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber das Urheberrecht geschaffen. Es schafft – innerhalb der bekannten Schranken, wie etwa dem Zitatrecht – ein Ausschlussprinzip, auf das sich der Urheber berufen kann. Erst durch das Urheberrecht werden Werke handelbar und damit kommerzialisierbar.

Wenn man ein nicht-knappes Gut nicht verkaufen kann, dann liegt das daran, dass der Markt schlicht das falsche Werkzeug ist. Immaterialgüter verkaufen zu wollen ist aus einer naturrechtlichen Perspektive so sinnvoll wie Luft verkaufen zu wollen.

Mit Naturrecht kenne ich mich nicht aus. Ich weiß auch nicht, ob ich es zur Maxime meines Handelns machen möchte. Aber mal vorsichtig gefragt: Ist es naturrechtlich eigentlich in Ordnung, dass der Fisch, den die Fischer aus dem Meer holen, den Fischern und nicht der Allgemeinheit gehört?

Letztlich muss ich aber jeden Versuch, einen natürlichen Zustand der Verwertung zu behaupten als schlichte Konstruktion ablehnen. Die Frage ist allein: Welchen Zustand wollen wir haben?

Es wird damit argumentiert, dass die knappe Ressource nicht das Immaterialgut selbst sei, sondern die Kreativität und die Leistung der Urheber. Als ob Kreativität und der Wille, Kultur zu schaffen, jemals knapp gewesen wären!

Die Ressourcen sind tatsächlich prinzipiell knapp. Es gibt nur eine gewisse Anzahl von beispielsweise Journalisten und eine gewisse Menge von Geld zum Lebensunterhalt für diese, damit sie dann der Öffentlichkeit unter anderem erklären, was die Wirtschaftskrise bedeutet. Man mag hier normativ der einen oder anderen Einschätzung sein, aber vom Prinzip her sind diese Ressourcen begrenzt (vgl. auch Kooth: Gratisfalle).

Und hier kommen wir schon zu einem ganz entscheidenen Punkt: Gibt es ein gesellschaftliches Interesse, dass Immaterialgüter nicht nur aus intrinsischen Motiven als Abendhobby entstehen, sondern auch nach dem Prinzip einer vergüteten Vollerwerbstätigkeit?

Ich meine: ja. Es wäre falsch anzunehmen, es läge allein im gesellschaftlichen Interesse, dass möglichst alle Immaterialgüter kostenfrei genutzt werden können. Das gesellschaftliche Interesse liegt meiner Meinung nach darin, dass es einerseits einen ausreichend freien Zugang zu Informationen gibt und andererseits auch ein ausreichendes Maß an vergüteten Ressourcen, damit die gesellschaftlich nachgefragten Inhalte auch durch die Nutzer gesteuert entstehen können.

Die Leistung von Kulturmärkten besteht darin, die nachgefragten Werke in nutzerorientierter, effizienter und innovativer Weise zur Verfügung zu stellen – durch vergütete und teilweise sehr unabhängige Produzenten.

Zudem gilt es zu bedenken, dass das Urheberrecht die Autoren auch davor schützt, dass Dritte mit ihren Inhalten ungefragt Geld verdienen.

So sehr sich das Plädoyer für Urheberrechte auch liberal gibt: Tatsächlich ist es nur ein Einfordern von hoheitlich gewährten Privilegien, von künstlich geschaffenen Monopolen, einer politisch durchgesetzten Marktverzerrung.

Mit etwas weniger Entlarvungsrhetorik ausgedrückt: Der Staat hat mit dem Urheberrecht ein exklusives Verwertungsrecht für Urheber geschaffen und so einen Markt streng genommen erst geschaffen. Denn ohne Urheberrecht gibt es keinen Markt für Immaterialgüter. Selbstverständlich ist dieses Recht „künstlich geschaffen.“

Die Argumente der Urheberrechtslobby sind strukturell dieselben wie die der Kohleindustrie, die der Autobranche: Ein Wirtschaftszweig soll künstlich am Leben gehalten werden.

In der Tat hat man bei einigen Vertretern der Content-Industrie das Gefühl, sie würden eher eine politische Rente anstreben, als sich wirklich neue Geschäftsmodelle auszudenken. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass dieser Wirtschaftszweig nicht erhaltenswert sei oder es kein Urheberrecht mehr brauche.

Daher ist es auch nicht sinnvoll, mit der Content-Lobby über Urheberrechte zu sprechen: Ihr Interesse ist es, ihren Wirtschaftszweig zu erhalten.

Wie gesagt: Das Urheberrecht schafft erst diesen Wirtschaftszweig.

So wie aus Leistung kein Anspruch auf »sich lohnen« folgt, hat aber auch keine Branche eine Bestandsgarantie; im Gegenteil ist es gerade ein Vorteil einer Marktwirtschaft gegenüber einer Planwirtschaft, dass knappe Mittel nicht unnötig einer nicht benötigten Industrie zugeteilt werden. Mit der Content-Industrie über die Zukunft des Urheberrechts zu sprechen ist, als hätte man vor hundertfünfzig Jahren die Postkutschen-Industrie zum Zukunftsgespräch Transport eingeladen.

Das ist jetzt polemisch: Nur weil erhebliche Teile der Content-Industrie nicht von ihren wärmenden Plätzen aufstehen möchten, hat sie damit noch nicht jegliches Schutzrecht verwirkt.

Es geht also nicht um das Partikularinteresse (und sei es auch noch so sehr mit Appellen an die eigene Gemeinwohlnotwendigkeit gekoppelt) der Musikindustrie. Die Frage der Monetarisierung und Verrechtlichung von Kultur ist (um wieder einmal Habermas zu bemühen) eine Kolonialisierung der Lebenswelt: Die wirtschaftliche Sphäre wird verabsolutiert. Natürlich ist es völlig legitim, auch Kultur unter wirtschaftlichem Paradigma zu behandeln: Skulpturen können verkauft, Symphonien in Auftrag gegeben und bezahlt, Filme gegen Geld im Kino aufgeführt werden. Daraus aber abzuleiten, dass alle Kultur marktförmig zu sein habe, ist ähnlich absurd wie aus der Existenz von Prostitution zu fordern, dass alle Zärtlichkeit monetarisiert werden soll.

Ins andere Extrem gedacht: Es wäre ebenso absurd aus der Nicht-Privatheit von Kultur zu fordern, dass die Kulturproduktion zukünftig vollständig der unkommerziellen Sphäre unterworfen sein müsste. Die Forderung, dass alle Kultur nichtmarktförmig zu sein habe, würde die Forderung nach der Totalabschaffung der Kulturindustrie und des vom Konsumenten vergüteten Künstlers bedeuten. Nur weil einige Menschen gerne kostenlos bloggen, kann man Journalisten nicht verbieten wollen, Geld zu verdienen.

Kultur und Kunst gehören in die öffentliche Sphäre und konstituieren sie mit. Was bei einer Erneuerung des Urheberrechts daher an erster Stelle stehen muss, ist die Frage nach der Öffentlichkeit: Welche rechtlichen Rahmenbedingungen sichern Öffentlichkeit?

Vollkommen richtig: Deswegen gibt es die Schrankenregelungen im Urheberrecht. Und deswegen muss sichergestellt werden, dass es große Mengen frei verfügbarer Kultur gibt – und dass es Urhebern auch möglich ist, ihre Werke zu verschenken.

Öffentlichkeit ist nicht nur der nicht-private Raum: Die Öffentlichkeit ist der Raum, in dem Menschen als gleiche aufeinandertreffen. In der Öffentlichkeit handeln und interagieren Menschen; Öffentlichkeit ist also die Voraussetzung von demokratischer und freiheitlicher Politik, ist die Bedingung der Möglichkeit, dass nicht nur die Gedanken frei sind, sondern auch ihre Äußerung – Öffentlichkeit ist der Resonanzraum, ohne den es keine demokratische Kontrolle von Macht, keine Diskussion, keine Argumente und damit keinen rationalen Diskurs und keinen gesellschaftlichen Fortschritt gibt.

Öffentlichkeit ist eine Voraussetzung für demokratische und freiheitliche Politik. Eine andere Bedingung ist die Möglichkeit, dass Nutzer ihre Wertschätzung für professionell erstellte Informationen ausdrücken und so zum Beispiel die knappen journalistischen Berichterstattungsressourcen auf jene Themen zu steuern vermögen, die ihnen wichtig sind. Daher ist es für die Demokratie auch konstituierend, dass Urheber Informationen verkaufen können.

Die Natur von Immaterialgütern passt hervorragend zur Öffentlichkeit: Sie sind nicht knapp, und alle können sich ihrer bedienen.

Das ist ein Fehlschluss: Die Güter sind im digitalen Raum in der Tat nicht mehr knapp. Knapp sind aber die Ressourcen, um sie zu erstellen.

Sobald ein Werk in die Öffentlichkeit gegeben wird, kann es keine absolute Werkherrschaft mehr darüber geben. Egal, was das positive Recht sagt: Die Melodien werden gesummt, die Gedichte zitiert.

Genau deshalb ist das Urheberrecht auch nicht total, sondern mit Schranken versehen.

Auf dieser Basis muss nun ein zeitgemäßes Urheberrecht agieren: Es muss ernstnehmen, dass Öffentlichkeit nicht mehr nur die räumlich begrenzte griechische Polis ist. Öffentlichkeit ist faktisch nicht mehr räumlich begrenzt. Youtube, Facebook, Twitter, Blogs: All das gehört zu einer neuen Öffentlichkeit.

Stimmt.

Diese neuen Formen von Öffentlichkeit dürfen nicht ihrer Funktion beraubt werden, indem man sie reduziert und unter das Paradigma der wirtschaftlichen Sphäre stellt: Singen am Lagerfeuer und Remixes und Fanvideos auf Youtube sind strukturell, in ihrer Funktion für die Öffentlichkeit, gleich zu bewerten.

Im Urheberrecht müssen wir in der Tat viel mehr Möglichkeiten zum Remix und zur Weiterbearbeitung von Kultur einbauen. Dazu hat Gerd Hansen auf Carta wegweisende Ansätze vorgestellt: “Das Urheberrecht in der Legitimationskrise. Ansätze für eine Neuorientierung“.

Ein Leistungsschutzrecht, das Blogs (oder Zeitungen) verbieten würde, kostenlos zu zitieren und die Zitate zu diskutieren, wäre ebenso totalitär wie das Verbot, auf dem Marktplatz über die Schlagzeile der Zeitung zu diskutieren.

Stimmt, und deswegen wird ein Leistungsschutzrecht, das dies verbieten würde, auch nie kommen.

Der Öffentlichkeit nicht den Boden zu entziehen: Das muss ein neues Urheberrecht leisten.

Stimmt. Oben wird jedoch streckenweise ein Urheberrecht gefordert, das wenig Interesse an einem Boden für die kommerzielle Produktion von Immaterialgütern hat. Doch letztlich liegt nicht nur ein freier Zugang zu Informationen, sondern auch eine in Teilen kommerzielle (und damit vergütete, innovative, effiziente und von den Nutzern gesteuerte) Produktion von kulturellen Inhalten im gesellschaftlichen Interesse.

Welche Geschäftsmodelle sich innerhalb dieses Ordnungsrahmens etablieren lassen, ist kein Problem des Urheberrechts. Das ist der Kreativität der Geschäftsleute überlassen.

Zum Kernproblem des Urheberrechts gehört es, einen angemessenen Ordnungsrahmen zu schaffen, damit sich Geschäftsmodelle etablieren können, ohne dass Kultur damit übermäßig privatisiert wird.

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