#Bundeshaushalt

Nicht „die Spekulanten“, sondern die Schuldenmacher bedrohen den Euro

von , 10.5.10

Schenkt man dem Feuilleton der Süddeutschen Zeitung Glauben, dann erleben wir derzeit „Die Rückkehr der Heuschrecke“. So jedenfalls war der Samstagsaufmacher von Tobias Kniebe am 8.5. über Oliver Stone’s Wiederauflage des Hollywood-Klassikers „Wall Street“ betitelt. Die Heuschrecken-Headline passt zu dem Feindbild, das derzeit von Politik und Medien systematisch verbreitet wird.

Diesem Feindbild zufolge müssen Europa und die Welt mit aller Macht vor gierigen „Spekulanten“ geschützt werden, die schwächelnde, zumeist südländische EU-Staaten zum Abschuss freigegeben hätten. Den (freilich nicht näher definierten) Spekulanten, so die einhellige Meinung, müsse „das Handwerk gelegt werden“. Denn sie, und nur sie, hätten mit ihrer Attacke auf Griechenland die Eurozone an den Rand des Abgrunds getrieben, weswegen die Milliardenspritze für Athen „alternativlos“ gewesen sei.

„Die Spekulanten“ sind wir

Diese kollektive Spekulantenphobie, genährt vom immer tieferen Misstrauen der Politik gegenüber dem Finanzsektor, unterschlägt den eigentlichen Grund für die Existenzkrise des Euro: Der Euro ringt deshalb ums Überleben, weil nahezu alle Staaten der Eurozone jegliche Haushaltsdisziplin über Bord geworfen und ihre Defizite in geradezu astronomische Höhen getrieben haben. Das gilt für die PI(I)GS, aber in genau demselben, erschreckenden Maße auch für Deutschland, Frankreich und Großbritannien.

Im Durchschnitt des Euroraums wird das Budgetdefizit aller Staaten im Jahr 2010 nach neuesten Berechnungen der EU-Kommission auf 6,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen – der Maastricht-Grenzwert liegt bei drei Prozent. Die Staatsschulden steigen im Eurozonen-Durchschnitt von 66 Prozent des BIP in 2007 auf 88,5 Prozent in 2011. Erlaubt laut Vertrag sind 60 Prozent.

In dieser massiven Überschreitung der erst vor wenigen Jahren beschlossenen Schuldengrenzen liegt der eigentliche Skandal: Die Regierenden in der EU spekulieren darauf, dass die von ihnen zu verantwortenden Haushaltsdefizite sich durch späteres Wirtschaftswachstum wie von selbst auflösen werden. Die Pfeile des Volkszorns lenken sie derweil auf die bösen Finanzakrobaten in der Londoner City, in Frankfurt oder New York.

Der Hyperverschuldung jedoch ist nicht beizukommen, indem man auf Ratingagenturen schimpft, Finanztransaktionen mit Steuern belegt oder – wie von Frankreichs Colbertisten immer schon gewollt – eine „europäische Wirtschaftsregierung“ schafft. Letztere würde nur den Marsch in eine Transferunion beschleunigen, die am Ende ganz Europa in die Insolvenz treiben könnte.

Nein, gegen die Überschuldung hilft nur eins: eisernes, jahrelanges Sparen. Politische Führung ließe sich jetzt darin beweisen, dass die Regierenden vor ihre Bürger treten und ihnen ein für alle Mal beibringen, dass einfach kein Geld mehr da ist – es sei denn, man will den kommenden Generationen noch mehr Schulden hinterlassen. Die Regierungen, allen voran die schwarz-gelbe Koalition im Bund, müssen sich zu einem Sparkurs durchringen, den es so noch nicht gegeben hat.

Die im Grundgesetz verankerte „Schuldenbremse“ zwingt uns ohnehin dazu, das Haushaltsdefizit ab sofort um 10 Mrd. Euro pro Jahr zu reduzieren. Wer dieses ambitionierte Ziel erreichen will, der darf vor drastischen Einschnitten und einem Rückbau überflüssiger Staatstätigkeiten nicht länger Halt machen – anstatt immer nur auf den nächsten Wahltermin zu schielen.

A Berlin tea party?

A propos Wahlen: Die Mehrheit der Bürger drängt darauf, endlich Ernst zu machen mit der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Je länger die Politik diesen Willen ignoriert, desto größer ist die Gefahr, dass die politischen Ränder weiter gestärkt und links-, aber insbesondere auch rechtspopulistische Strömungen sich ihren Weg bahnen.

In den USA entfaltet das Tea Party Movement, mit Sarah Palin als einer seiner Leitfiguren, schon jetzt eine Wucht, die die Mehrheitsverhältnisse im Kongress ins Wanken bringt. Es ist die Wut der Steuer zahlenden Bürger auf den alles überwuchernden, immer riesigere Summen umverteilenden Staat, die das Tea Party Movement zu einer unkalkulierbaren Größe anschwillen lässt.

Aufgepasst: Eine solche Bewegung kann den contrat social ins Wanken bringen! Die Regierenden in Berlin, Paris und Brüssel haben die Wahl: Entweder reißen sie jetzt das Steuer herum und leiten den Ausstieg aus dem Schuldenstaat ein. Oder sie schieben alles auf die „Spekulanten“, sehen in jedem Banker einen Gordon Gekko und belassen derweil in der Haushalts-, Sozial- und Subventionspolitik alles beim Alten. Es könnte sie teuer zu stehen kommen.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.