#Datenschutz

Mitwirken statt löschen: Ilse Aigners falsch verstandener Facebook-Datenschutz

von , 6.4.10

Mark Zuckerberg hat Post bekommen und dürfte sich wie ein Schneekönig gefreut haben. Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) hat ihm einen offenen Brief geschrieben und darin ihre Sorge darüber zum Ausdruck gebracht, dass Facebook künftig Nutzerdaten an Dritte weitergeben möchte. Den Brief findet man stilgerecht auf Facebook in der eigens eingerichteten Gruppe “Appell für mehr Datenschutz” und natürlich auch über das Profil der Ministerin auf dem populären Social Network.

Freuen kann sich Mark Zuckerberg, weil der Brief belegt, dass Facebook allmählich auch in Deutschland zur relevanten Größe heranwächst und jetzt nicht nur öfter in den Medien thematisiert wird, sondern auch in der Politik Beachtung findet. Passend dazu hat das Unternehmen im Februar diesen Jahres eine Niederlassung in Hamburg eröffnet, von wo aus es ein “stabiles Netzwerk mit Werbepartnern” aufbauen möchte und natürlich auch den Dialog mit der Politik pflegen kann.

Dass die Ministerin gegenüber Facebook auf Konfrontationskurs geht und sehr kritische Töne anschlägt, wird im sonnigen Kalifornien niemanden beunruhigen. Zum einen, weil Ilse Aigner ihre Briefaktion nicht übertrieben klug eingefädelt hat und zum anderen, weil ein gewisses Maß an öffentlicher Debatte für Facebook nur gut sein kann.

Ilse Aigner: Die Novizin im Social Web

So löblich es grundsätzlich ist, dass sich die Ministerin für Verbraucherschutz mit den datenschutzrechtlichen Belangen des Social Networks befasst, so stumpf und lächerlich wirkt die Drohung, ihre Mitgliedschaft auf demselben zu beenden, sollte Facebook nicht seine Datenschutzrichtlinie in ihrem Sinne überarbeiten.

Foto: Ilse Aigner

Ihren Account zu löschen wäre der denkbar schlechteste Weg. Foto: Ilse Aigner

Denn reagiert Facebook darauf nicht, bleibt der Ministerin tatsächlich nur der Rückzug. Damit aber würde sie sich selbst mehr schaden als dem Datenschutz nutzen, denn sie würde ohne Not eine für die Politik immer wichtiger werdende Plattform des Dialogs aufgeben. Vermutlich glaubt Ilse Aigner, dass sie über ihre Webseite im Internet mehr Menschen erreichen kann als über ihr Profil auf Facebook. Was aber in der Vergangenheit richtig war, muss in Zukunft nicht automatisch so bleiben. Social Networks werden immer wichtiger und Facebook steht in Deutschland erst am Anfang.

Die Drohung, das Profil zu löschen, ist deshalb ungefähr so klug, als würde die Ministerin androhen, ihren Pressereferenten zu entlassen und die Stelle vakant zu lassen, nur weil irgendwo die Belange des Verbraucherschutzes verletzt werden. Man beraubt sich doch nicht einfach eines wichtigen Kommunikationskanals, denn Facebook ist genau das: Ein Kanal zur Kommunikation und nicht nur ein einfaches Produkt, das man nach Belieben auch mal boykottieren kann.

Dazu kommt, dass Ilse Aigner zwar Ministerin ist und damit in Deutschland eine hochrangige Position einnimmt, sie deshalb aber im Social Web noch lange kein einflussreiches Schwergewicht ist. Eher ist sie hier eine Novizin, die sich das Standing und die Anhängerschaft erst noch aufbauen muss. Ansätze dazu sind zwar erkennbar, aber damit kann noch nicht glaubhaft gedroht werden, dass ein Rückzug aus Facebook die Meinungen vieler anderer Mitglieder dieses Social Networks nachhaltig würde beeinflussen können.

Mark Zuckerberg: Der unbekümmerte Stratege

Ihr Gegenspieler, Mark Zuckerberg, sitzt deshalb am längeren Hebel. Dabei weiß er wohl, dass beim Thema Datenschutz nicht alles koscher ist, was Facebook serviert. Die jüngste Initiative, mit der tatsächlich Daten aus den Profilen der User an Dritte weitergegeben werden sollen, verlangt geradezu eine Neudefinition dessen, was Datenschutz im Internet ausmachen soll.

In der Vergangenheit galt auf Social Networks das (ungeschriebene) Gesetz, dass die Daten, die von den Usern hinein getragen werden, dort auch verbleiben. Doch die vermeintliche Diskretion hatte immer schon ihre Tücken, etwa wenn zwar nicht ganze Profile, aber doch Profilbilder einsehbar bzw. suchbar waren. Kompromittierende Folgen sind da nicht weit, weil sich Teile der Presse hier ungeniert bedienen und auch Personalabteilungen gern nachforschen, ob der seriös anmutende Bewerber im Kern nicht doch ein Saufbold und Partylöwe ist. Verhängnisvoll kann es auch sein, den Überblick über seine “Freunde” zu verlieren und beim Lästern über den Arbeitgeber zu übersehen, dass der eigene Chef alles mitlesen kann, weil man mit ihm “Freundschaft” geschlossen hat.

Mit dem Vertrauen auf geschützte Bereiche – bei Ilse Aigner auf die plakative Formel “Privates muss privat bleiben” gebracht – ist es deshalb so eine Sache. Das Internet ist ein sehr öffentlicher Raum und Privates hat dort nur bedingt seinen Platz.

Ilse Aigner: "Privates muss privat bleiben"

Ilse Aigner: "Privates muss privat bleiben"

Nun steht die Ministerin mit ihrer Kritik an Facebook nicht allein. Nicht nur Datenschützer, sondern auch eine Reihe prominenter Tech-Blogs, die sonst alles Neue gern euphorisch begrüßen, haben Facebook kritisiert. TechCrunch, ReadWriteWeb und netzwertig schlagen in die gleiche Kerbe. Bei ReadWriteWeb findet man das “downright creepy” und auch TechCrunch benutzt den Ausdruck “creepy” (gruselig, unheimlich). In der Tat ist die Vorstellung ungewohnt, beim Surfen im Web auf eine Seite zu gelangen, auf der man noch nie war und doch namentlich begrüßt wird – vielleicht sogar in der eigenen Muttersprache. Denn noch immer möchten wir gerne glauben, wir wären anonym und ohne Spuren zu hinterlassen im Internet unterwegs.

Tatsächlich aber ist das Internet alles andere als ein “spurloses” Medium und Facebooks Idee des Auto-Connect legt davon nur eine weitere Schicht frei. Es wäre aber zu kurz gegriffen, wenn man dieses Konzept nur unter dem Aspekt des Schutzes der Privatsphäre diskutieren würde. Tatsächlich liegt darin auch eine enorme Chance.

Wäre es nicht ein großer Vorteil, wenn uns Webseiten – eben weil sie uns schon “kennen” – die Inhalte prominent präsentieren könnten, die wir dort suchen und anderes, für das wir uns mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht interessieren, ausblenden bzw. in der Menüführung nach hinten rücken würden?

Das Internet: Öffentlich, personalisiert und benutzerfreundlich

Seitdem es das Internet gibt, zeigen sich Webseiten allen Betrachtern in mehr oder weniger der gleichen Weise. Denn es gilt das Prinzip der relativen Anonymität. Selbst wenn uns Webseiten über Cookies zuverlässig wiedererkennen, tun sie doch meist so, als wären wir völlig unbekannte Besucher, denen das gesamte Leistungsspektrum gezeigt werden muss. Selbst die Logins, die auf vielen Seiten möglich sind, ändern daran nicht viel.

Doch muss das für immer so bleiben? Google hat bereits den Schritt zur Personalisierung seiner Suche vollzogen, auch wenn das die meisten Menschen gar nicht bemerkt haben. Im Jahr 2005 wurde sie eingeführt, zunächst nur für eingeloggte User mit einem Google Account. Im Dezember 2009 wurde die Personalisierung auf alle User ausgedehnt, ein expliziter Login (nebst Google Account) ist dafür nicht mehr erforderlich.

Nun zieht Facebook auf seine Weise mit einem kühnen Schritt nach: Wer ein Profil auf Facebook hat, soll effizienter im Web surfen und den Information-Overkill souverän umgehen können. Zugleich werden dadurch die Betreiber von Webseiten enger an das Social Network gebunden. Die Botschaft lautet hier: Steckt Euer Geld nicht mehr in Suchmaschinenoptimierung, kauft lieber bei uns Daten aus den Profilen und sprecht die Kunden damit individuell und persönlich an.

Der Verbraucherschutz: Bitte nach vorn schauen und nicht zurück!

So könnte es kommen und dagegen ist auch gar nichts einzuwenden, sofern dazu niemand ungefragt gezwungen wird. Der Schritt zu einem personalisierten Internet ist ein Großer und kann nicht en passant durch ein paar Änderungen in den Datenschutzrichtlinien von Facebook vollzogen werden.

Hier bedarf es der intensiven Aufklärung über Funktionsweisen und Wirkungen. Facebook muss mit Tutorials anschaulich zeigen, was hier wirklich passiert. Zudem könnten in den Profilen alle Daten, die für Drittanbieter in Betracht kommen, farblich markiert werden. Dadurch würde für alle User sehr schnell transparent werden, worauf man sich eingelassen hat und ob man das wirklich so möchte.

Im Kern geht es gar nicht um ein Ja oder Nein. Es geht um das richtige Bewusstsein im Umgang mit dem Internet und eine “aufgeklärte Dosierung” von Teilhabe an Dialogen und Vernetzung.

Die deutsche Ministerin für Verbraucherschutz hingegen sollte ihren rückwärts gewandten Feldzug beenden und statt dessen von Facebook mit aller gebotenen Härte und Unnachgiebigkeit Aufklärung und Offenlegung der zentralen Mechanismen verlangen. Keinesfalls sollte sie das Feld räumen und ihren Account löschen. Das wäre der denkbar schlechteste Weg.

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