#Flatrate

Warum wir die Kulturflatrate vielleicht doch noch brauchen

von , 7.3.10

Die Ausbeutung der Kreativen „durch den digitalen Mob“ muss aufhören. So tönte der „Internetpionier“ Jaron Lanier vor kurzem in FAZ und SZ. Seine hysterische Wortwahl verdeutlicht: Der „War on Internet-Terror“ geht in die entscheidende Phase.

Truppenaufstockung heißt das Gebot der Stunde.

Wer künftig ohne Erlaubnis (und das heißt: ohne Bezahlung) urheberrechtlich geschützte Werke nutzt, wird einer Armada von Anwälten gegenüberstehen. Die Inkassobetriebe des Internets (Detekteien, Kanzleien, Mautstellen, Verwertungsgesellschaften) werden die nötigen Mittel an die Hand bekommen, um Nutzungsgebühren auch eintreiben zu können. Horrende Schadenersatzforderungen könnten das kulturelle Klima vergiften.

Das ist der Preis dafür, dass die Idee einer Mediennutzungspauschale Kulturflatrate nicht ernsthaft genug diskutiert worden ist.

Betrachten wir die verfahrene Situation aus dem Blickwinkel der Beteiligten:

I.Kapitel:

Die Verwerter haben ein Problem.

Egal, wie teuer und exklusiv ein Verlag das Nutzungsrecht an einer Story, einem Buch, einem Song oder einem Film erwirbt: Die technische Möglichkeit, dass „unbefugte Dritte“ fast zeitgleich und praktisch kostenlos, oft unbehelligt und tendenziell unbegrenzt Kopien davon ziehen können, zerstört das herkömmliche Geschäftsmodell der Verwerter im Kern. Anders als viele Kritiker meinen, haben die Verwerter jedoch erkannt, „dass der Copypreis der Zukunft das Copyright ist.“ Die Möglichkeit, Werknutzungen per Internet weltweit zu verkaufen (d.h. Lizenzhandel zu betreiben), eröffnet globalen Verwertern riesige Geschäftsfelder (so könnte es neben Film-, Buch- und Musikmessen künftig auch Zeitungs- und Zeitschriftenmessen geben). Verwerter richten ihr Augenmerk deshalb verstärkt auf die Zweitverwertungsmöglichkeiten der Werke, die sie bei den Urhebern einkaufen.

Um aber Gewinne im Lizenzhandel erzielen zu können, sind nach Auffassung der Verwerter flankierende Gesetze und Vereinbarungen wie ein weltweit gültiges Anti-Piraterieabkommen (ACTA) oder nationale Leistungsschutzrechte notwendig. Polizei und Inkassobetriebe sollen gewährleisten, dass die schwarzen Schafe (die Raubkopierer & “Raubverlinker”) nicht ungeschoren davon kommen.

II.Kapitel:

Die Urheber haben ein noch größeres Problem.

Die Schöpfer der Werke sind seit einigen Jahren in einer prekären Lage. Einmal, weil die Verwerter – aufgrund der oben beschriebenen Probleme – die Honorare einfrieren oder kürzen. Zum anderen, weil die Urheber durch so genannte Buy-Out-Verträge kaum noch von Zweitverwertungen profitieren. Damit sitzen die Urheber in der Falle. Einerseits sinken ihre Honorare, andererseits können sie ihre Einkommensverluste nicht durch Erlöse aus Zweitverwertungen kompensieren. Die Verwerter zahlen den Urhebern für Zweitverwertungen nichts (oder nur sehr wenig), weil sie selber zur Zeit nichts (oder nur sehr wenig) aus Zweitverwertungen im Netz erlösen.

III: Kapitel:

Die Nutzer sehen überhaupt kein Problem.

Die Nutzer (die der durchaus nachvollziehbaren Meinung sind, mit der Bezahlung des Internetzugangs auch die Netz-Inhalte bezahlt zu haben) weigern sich, das Dilemma der Urheber zur Kenntnis zu nehmen. Sie sagen, sie würden die Werke der Urheber nicht oder nur selten nutzen. Oder sie verweisen (wie die Piratenpartei) kaltschnäuzig darauf, dass das kostenlose Nutzen von Inhalten ja nicht die Urheber, sondern nur deren steinreiche Verwerter treffe. Was können wir dafür, sagen die Nutzer, dass sich die Urheber bei ihren Honorarverhandlungen mit den Verwertern über den Tisch ziehen lassen? (Diese, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse ausblendende Argumentation werden die Kreativen den Nutzern nicht so schnell vergessen!).

IV. Kapitel:

Die Urheber sind gezwungen, als Verwerter aufzutreten.

Das Internet ändert die bisherige Rollenverteilung. Zugangsprovider, Gerätehersteller, Suchmaschinen und soziale Netzwerke treten in die Fußstapfen der traditionellen Verleger. Verleger und Urheber entwickeln sich zu konkurrierenden Anbietern auf dem Inhalte-Markt. Verleger fühlen sich als Urheber (siehe Leistungsschutzrecht) und Urheber werden immer öfter zu ihren eigenen Verlegern: Sie müssen – schon aufgrund der sinkenden Honorare – ihre Werke künftig selbst vermarkten.

Wie sieht nun aber der Verwerterstatus von Urhebern im Netz tatsächlich aus? Die meisten krebsen so vor sich hin. Ihre Tätigkeit wird „mangels erkennbarer Gewinnerzielungsabsicht“ von den Finanzämtern als Liebhaberei eingestuft. Ihr Geschäftsmodell ist die Hoffnung. Im Grunde verschenken sie ihre Arbeit an sich selbst – in der vagen Hoffnung, ihren Lebensunterhalt eines Tages mit Lizenzhonorareinnahmen (=Tantiemen) bestreiten zu können. Diese Tantiemen erbetteln sie – in mühsamer Kleinarbeit – von konkurrierenden Internet-Anbietern (Online-Magazine, Portale, Blogs) oder von almosenbereiten Nutzern (PayPal, Kachingle, Kaffeekasse, spot.us etc.). Die Wahrscheinlichkeit, damit auf einen grünen Zweig zu kommen, ist gering. Bislang wird jede kleinteilige Bezahlung von der übergroßen Mehrheit der Nutzer als unangemessen, ja als lästig empfunden. Also verschenken die Urheber nicht nur die Nutzungsrechte, sie verschenken ihre komplette Arbeitsleistung.

Die Nutzer verhindern auf diese Weise (ganz nebenbei) die Emanzipation der Kreativen von den herkömmlichen Geschäftsmodellen. Sie treiben die Kreativen in den Ruin. Die Nutzer ignorieren, dass sich der Aufwand für die Erstellung von Inhalten – im Gegensatz zum Aufwand für die Verbreitung von Inhalten – durch das Internet nicht verändert. Die Schöpfung der immateriell (also digital) verbreiteten Werke erfordert genauso viel Arbeitszeit und Können wie die Schöpfung der materiell (also analog) verbreiteten Werke. Das ist der Grund, warum Kreative, Nutzer und Verwerter eine Lösung finden müssen, die einen fairen Interessenausgleich zustande bringt. Das heißt: Das Gesamteinkommen der Urheber (wie das der Verwerter) muss sich schrittweise von den Honoraren (und den Produkterlösen) zu den Tantiemen hin verlagern.

V. Kapitel:

Der heutige Tantiemen-Topf ist viel zu klein.

In Deutschland existieren etwa ein Dutzend so genannter Verwertungsgesellschaften (VG). Das sind Unternehmen, die Urheber- und Leistungsschutzrechte treuhänderisch für ihre Mitglieder wahrnehmen. Die Verwertungsgesellschaften ziehen Nutzungsgebühren (Geräteabgaben, Bibliothekstantiemen etc.) für ihre Mitglieder ein und verteilen sie nach einem überprüfbaren Schlüssel auf alle Wahrnehmungsberechtigten. Die Verwertungsgesellschaften verteilen also keine klassischen Honorare (wie fälschlicherweise oft angenommen wird), sie verteilen Lizenzhonorare: meist im Cent-Bereich liegende „Gebühren“, die für die Weiternutzung von bereits veröffentlichten Werken erhoben werden.

So resultiert etwa bei den in der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) organisierten Autoren der größte Teil des Einkommens bis heute aus traditionellen Honoraren, die von den Verwertern (= den Verlagen) an die Autoren bezahlt werden (mehr als 95 Prozent). Und bei den Verwertern stammt der größte Teil der Einnahmen noch immer aus den Verkäufen von materiell vervielfältigten Werken: Büchern, CDs, DVDs, Zeitungen.

In der vor uns liegenden Übergangszeit zum volldigitalen Zeitalter muss sich das Verhältnis zwischen Honoraren und Tantiemen grundlegend ändern. Die entscheidende Frage wird sein: Wie kann der Tantiemen-Anteil in Zukunft so erhöht werden, dass die tendenziell sinkenden Honorar- und Produktverkaufs-Einnahmen ausgeglichen werden?

VI. Kapitel:

Die Kulturflatrate wäre eine hilfreiche Übergangslösung.

Das Leistungsschutzrecht, das die Zeitungsverlage fordern, geht in diese Richtung. Doch das Leistungsschutzrecht ist eine unbefriedigende Teil-Lösung im Interesse einiger weniger Großverlage und würde das Web – durch die Beschränkung des kostenfreien Verlinkens – zerreißen. Die Entwicklung der Wissensgesellschaft würde behindert, nur um die Partikularinteressen einiger Aktionäre zu befriedigen.

Die von den Presseverlagen geforderte „Verwertungsgesellschaft Online“ wäre in ihrer Ausgestaltung ganz auf die Interessen der Presseverlage zugeschnitten. Die Lage der Urheber würde sich – wie ein Rechtsgutachten im Auftrag des Bayerischen Journalistenverbandes kürzlich darlegen konnte – verschlechtern.

Ein Leistungsschutzrecht für Zeitungsverlage (eine „Lex Döpfner“) würde nur dazu führen, dass auch andere Verwerter massiv versuchen müssten, ihre Sonderinteressen zu Lasten der Allgemeinheit durchzusetzen. Wir bekämen einen Wildwuchs aus sich überschneidenden Verwertungsgesellschaften mit Dutzenden von Abgaben, Nutzungsgebühren und Abo-Flatrates inklusive der dafür notwendigen Bürokratien und Aufsichtsorgane. Und wir bekämen eine hässliche Abmahnrepublik, in der jedes noch so kleine Partikularinteresse brutal gegen „Content-Diebe“ und „Webkommunisten“ durchgesetzt werden müsste. Die sich aufaddierenden Kosten für die Nutzer des Internets kann sich jeder leicht ausrechnen.

Weder die Kreativen noch die Nutzer haben erkannt, was da von Seiten der Großverwerter auf sie zukommt – und wie wichtig eine Annäherung zwischen Nutzern und Kreativen wäre. Doch noch immer geraten Nutzer und Urheber bei Debatten über eine Kulturflatrate in unfruchtbaren Streit (weil sie annehmen, eine Flatrate käme einer Voll-Bezahlung aller Kreativen gleich) oder sie versuchen, die Debatte mit ideologischen Phrasen („Zwangsgebühren“!) im Keim zu ersticken.

Dabei hätte eine pauschale Nutzungsgebühr für die Übergangszeit ins digitale Zeitalter (etwa in Form einer breitband-abhängigen Haushaltsabgabe oder als flächendeckendes social micropayment nach dem flattr-Modell) unbestreitbare Vorteile.

Eine Flatrate

  • wäre – wie die Rundfunkgebühr – für alle Nutzer erschwinglich;
  • ihre Bürokratie hielte sich in Grenzen;
  • man könnte auf Abmahnungen verzichten;
  • das Verlinkungs-Netz würde nicht durch Mautstellen zerstört;
  • ein breites Spektrum von unabhängigen Kreativen bliebe erhalten (da es nicht – wie bei den Leistungsschutzrechten, siehe GEMA – zu einer Verarmung der künstlerischen Produktion auf wenige Stars und viele abhängige Armutskreative käme).

Die Nutzer des Internets und die wahrnehmungsberechtigten Kreativen würden mit einer großen, nicht-staatlichen, drittelparitätisch besetzten, transparenten Verwertungsgesellschaft besser fahren als mit vielen, allein von Verwerterinteressen dominierten, letztlich undurchschaubaren Instanzen.

Auch die individuelle Leistungsbereitschaft würde durch eine Kulturflatrate keineswegs geschmälert. Jeder Kreative könnte den Honoraranteil an seinen Einnahmen durch geschicktes Verhandeln mit den Verwertern (also jenen, die ganz auf Paid Content setzen) erhöhen. Paid Content und Kulturflatrate schließen sich ebenso wenig aus wie Bezahlfernsehen und öffentlich-rechtlicher Rundfunk.

Es wäre auch denkbar, die Kulturflatrate in zehn oder zwanzig Jahren durch eine präzisere, „gerechtere“ Lösung zu ersetzen – wenn so genannte „Smart Meters“ nicht nur den Stromverbrauch, sondern auch den Internetverbrauch eines Haushalts individuell erfassen können. Oder wenn „Individual-Flatrates“ wie flattr hinreichend akzeptiert würden. Allerdings ergibt sich aus all dem die nicht minder problematische Frage, ob eine kundenbezogene Internet-Abrechnung nicht mit einer ebenso präzisen Datenerfassung und -überwachung erkauft werden müsste.

Die Flatrate-Idee nun aus Mangel an politischer Phantasie (oder gar im App-Delirium) ad acta zu legen, wäre kulturpolitisches Harakiri.

Lesen Sie zum Thema auch:

Volker Grassmucks Antwort an die Musikindustrie, die Carta-Beiträge „Abo oder Flatrate. Auf welches Bezahlmodell läuft es hinaus?“ und „Flatrate für Journalismus“ sowie zwei Beiträge (Basic Thinking & Jens Weinreich), die zeigen, dass auch die Nerven vieler Blogger allmählich blank liegen.

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