Die FAZ: das neue Zentralorgan der Nerds?
Kommt jetzt der "binary turn"? Eine Spurensuche zur Nerdisierung der FAZ.
Vor einiger Zeit hatte ich – eher im Scherz – die altehrwürdige Frankfurter Allgemeine Zeitung in ein paar Tweets als „Nerd-Zentralorgan“ bezeichnet. Anlass waren Frank Schirrmachers ganzseitige Verteidigung der Nerds kurz vor der Bundestagswahl, die Publikationsoffensive im Umfeld der iPad-Enthüllung oder die Öffnung der FAZ als Plattform für bekennende Nerds, wie etwa beim Artikel von Frank Rieger (Chaos Computer Club). Nachdem das Wort vom „Zentralorgan“ immer mal wieder aufgegriffen wurde, habe ich darüber nochmal ein wenig nachgedacht und ein paar Gedanken zum „binary turn“ der FAZ notiert.
Klar ist eines: Frank Schirrmacher ist die treibende Kraft hinter diesem Prozess, da genügt ein Blick in seinen Leitartikel vom 23. Januar, in dem er vehement nach mehr digitaler Intelligenz in und für Deuschland ruft (ein Schelm ist, wer schon bei diesem Datum die Nerd-Alarmglocken läuten hört). Man könnte hinter dieser Neuausrichtung des FAZ-Feuilletons auf Debatten und Gegenstände digitaler Kultur zunächst einmal eine flankierende Berichterstattung zu seinem jüngsten Buchprojekt Payback vermuten, doch das wäre viel zu vordergründig und würde Herrn Schirrmachers Gespür für Themen nicht gerecht.
Inhaltlich ist dieser Schwenk – der immerhin ein wenig wegführt von den Gen-, Bio- und Nano-Technologie-Debatten der letzten Jahre – absolut zu begrüßen, denn in der Tat hat der öffentliche Diskurs in Deutschland zu Fragen der Digitalisierung und ihrer sozialen Folgen erheblichen Nachholbedarf. Einen besonderen Twist bekommt diese Nerdisierung allerdings durch die immer mal wieder durchbrechende Arroganz und Ablehung der Online-Kultur – die sich an ganz unterschiedlichen Stellen des Blattes zeigt, aktuell zum Beispiel an der mindestens schlagseitigen Position im Fall Hegemann.
Schaut man etwas genauer hin, dann finden sich einige Hinweise darauf, dass die FAZ schon sehr viel länger ein Ort für Nerds ist – eine kleine Spurensuche.
Beweisstück 1: Das Feuilleton vom 27. Juni 2000
Über mehrere Seiten hinweg hatte die FAZ einen Auszug aus dem Code des menschlichen Genoms ausgedrückt, der manchem als „ungelesenster Artikel der deutschen Mediengeschichte“ gilt. Eröffnet wurde damit eine Publikationsinitiative unter dem Banner der von John Brockman initiierten „Third Culture“-Debatte, die auf die Verschränkung des intellektuellen Diskurses zwischen Natur- und Geisteswissenschaften abzielte. Die „digitale Wende“ wurde diesmal „nur“ mit einigen Schirrmacher-Texten eröffnet. Doch wer weiß: vielleicht folgt demnächst ja noch eine Doppelseite im Binärcode.
Beweisstück 2: Der tägliche Blogeintrag auf Seite eins
Als große publizistische Zäsur wurde im Rahmen des Relaunchs vom 5. Oktober 2007 ein farbiges Foto auf die traditionsreiche Seite eins montiert. Seitdem entwickelt sich dieses Aufmacherfoto mehr und mehr zum täglichen Blogeintrag. Natürlich kommentieren die Bildauswahl und der Begleittext ein zentrales Thema des Weltgeschehens – doch stilistisch finden sich hier häufig Elemente von Verkürzung, Verweis und Kommentar, die charakteristisch für die im Blattinnern häufig kritisierte Blogosphäre sind.
Und vielleicht ist es nur eine persönliche Wahrnehmung, aber haben die Bildunterschriften in letzter Zeit nicht immer mal wieder die magische 140-Zeichen-Grenze unterschritten? Doch selbst wenn nicht – viele Bildkommentare funktionieren exakt so wie ein typischer Twitpic-Post: das Bild illustriert ein Thema, eine Idee und der Text setzt Verweise auf die Stellen zum Weiterlesen im Blatt. Andersherum formuliert: genau so könnte die „Seite eins“ der FAZ auch twittern.
Beweisstück 3: Die Nerds sind nicht nur im Feuilleton
Nicht so sehr ein konkretes Beweisstück, eher eine Sammlung von Indizien zur These – blickt man nur flüchtig auf verschiedene Ressorts, dann finden sich überraschend viele Beispiele für „nerdige“ Berichterstattung: die überraschend blumig zur Schau getragene Detailversessenheit der „Technik und Motor“-Redaktion oder die nicht selten hochgradig verschlüsselten Berichte aus der Feinschmeckerwelt. Das Ins-Blatt-Schmuggeln von Material aus Entenhausen durch die bekennenden Donaldisten Patrick Bahners und Andreas Platthaus zählt ebenso dazu wie die kenntnisreiche „Netzwirtschaft“ immer Dienstags im Wirtschaftsteil – all dies sind kleine Hinweise auf die Verankerung der FAZ in der sprichwörtlichen Nerd-Kultur. Nimmt man FAZ.net noch hinzu, dann sollte an dieser Stelle noch die Inkorporierung von Don Alphonso und Michael Seemann erwähnt werden.
Doch was ist das Resultat dieser sicher lückenhaften und ausbaufähigen „Beweisführung“? Gibt es überhaupt eines? Ausgangspunkt der Überlegungen war ja die eher scherzhafte Bezeichnung der FAZ als „Nerd-Zentralorgan“, eine flüchtige Blattkritik hat immerhin einige Hinweise auf Elemente der zuletzt viel zitierten „Nerd-Kultur“ geliefert. Na und?
Um es noch einmal klar zu sagen: die Forderung nach mehr „digitaler Intelligenz“ oder besser: der verstärkten Diskussion „digitaler Themen“ in der deutschen Öffentlichkeit ist unbedingt zu unterstützen – Schirrmachers Payback und den Thesen von der Informationsüberlastung zum Trotz. Allerdings sollte der Begriff des „Nerds“ oder der „Nerd-Kultur“ etwas präziser ausbuchstabiert werden, als dies bisher geschieht – denn sonst wandelt die FAZ auf einem schmalen Grat und macht sich angreifbar. Wo das hinführen kann, hat vor kurzem Thomas Knüwer gezeigt, der einen Artikel von Frank Schirrmacher zerlegt hat.
An solchen Beispielen zeigt sich auch die Brüchigkeit der Konstruktion einer „Nerd-FAZ“, die zwar die Chance erkannt hat, den Ton für einen neuen gesellschaftlichen Diskurs anzuschlagen, sich dabei aber noch ein genaueres Bild von der Situation an der digitalen Kulturfront machen müsste.
48 Kommentare
Sie möchten diesen Text kommentieren?
[…] Ist die FAZ das neue Nerd-Zentralorgan? fragt sich carta.info […]
[…] Präsenz beim Politcamp 2010 scheint auch vom neuen Nerd-Zentralorgan wahrgenommen worden zu sein. ‹Previous Post Blast from the past No. 5: Twittering […]
[…] Die FAZ: das neue Zentralorgan der Nerds […]
[…] Die FAZ: das neue Zentralorgan der Nerds? — CARTA (tags: journalismus digtialesleben feuilleton zeitungen print blogs internet) […]
freitag:
in der neuen kolumne „aus dem maschinenraum“ schreibt constanze kurz (http://waste.informatik.hu-berlin.de/46halbe/) über den „hacker“ (http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~E882A8BE5866A4E479574BBA73C7F7D32~ATpl~Ecommon~Scontent.html).
samstag:
der überlange feuilleton-aufmacher „du kannst dich nicht mehr verstecken“ setzt sich mit den gefahren der vorratsdatenspeicherung auseinander und skizziert die möglichkeiten einer überwachung durch personalisierte bewegungsprofile. autor ist frank rieger, sprecher des chaos computer club. der text wird mit einem bildausschnitt einer google-map auf seite 1 angeteasert.
ich sag´ ja nur…
Reduce to the Max: Dieser Vorname ist Programm und doch ein anderer. …
So als Mensch, der mitten im Casual Friday einer spätkapitalistischen Gesellschaft steckt und doch nicht, also mitten in der Différance, hat man seinen mitunter Camus’en, (drei) Kreuze und Kümmernisse. Dies weniger, weil man desillusioniert L?homme ré…
[…] erschienen, genauer gesagt, über deren allmähliche Orientierung zu Themen digitaler Kultur (Die FAZ: das neue Zentralorgan der Nerds?). Schlagworte sind dabei der Begriff des “binary turn” (Wann druckt Frank Schirrmacher […]
[…] Die FAZ: das neue Zentralorgan der Nerds? — CARTA (tags: journalismus digtialesleben feuilleton zeitungen print blogs internet) […]
@plattdeutsch Ja, um diese Mittlerrolle geht es in erster Linie. Entscheidend ist, dass die Diskussion überhaupt erstmal Öffentlichkeit bekommt
und dann
@Wolfgang Michal hoffe ich auch sehr auf die „politischen Nerds“ .
Es geht nicht darum Herrn Schirrmachers Haltung ungefragt stehen zu lassen, sondern sie öffentlich – und nicht nur im „abgegrenzent Raum der Nerds“ – zu diskutieren, und zwar so, dass der interessierte und betroffene „Normalbürger“ partizipieren kann.
Das Thema betrifft wirklich alle, deshalb sollte es auch eine breite Öffentlichkeit hierfür geben.
@Alfred von Fitzewitz (#14) Aber was hat denn das mit Golf zu tun?
@Aufmerksamkeit! (#22)
ja, bezüglich der Rolle Schirrmachers als Mittler kann ich auch nur zustimmen. Eine Figur, die allein vom Bekanntheitsgrad das Potential hat, von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, wird dringend benötigt, um die Thesen ins Bewusstsein zu rücken, darunter aus meiner Sicht die wichtigste:
Vorhersagbarkeit des Einzelnen aufgrund von Daten verbunden mit einem Ungleichgewicht beim Zugriff auf diese Daten (etwa Organisationen/Arbeitgeber vs. Individuum), was eine gewaltige Machtverschiebung zur Folge haben kann – verglichen mit bisher. Und ich finde keinen Grund, warum man dies nicht zunächst als „Gefahr“ sehen und auch so darstellen sollte.
[…] Die FAZ: das neue Zentralorgan der Nerds? — CARTA (tags: journalismus digtialesleben feuilleton zeitungen print blogs internet) […]
@Ich finde, André Rebentisch hat so unrecht nicht: Das Fatale (das Fatalistische) an der Schirrmacher-Position ist doch die (kuklturkonservativ) einseitige Betrachtungsweise: Dass die Algorithmen das Gehirn bestimmen. Ich vermisse politische Nerds mit der Gegenposition: dass das Gehirn die Algorithmen bestimmt.
Es reicht nicht, sich gebauchpinselt zu fühlen, weil sich die FAZ eines Themas annimmt.
Die FAZ hat sich zweifelsohne an die Spitze der techno-politischen Debatte gesetzt. Wo gibt es einen anderen Chefredakteur wie Schirrmacher, der willens und in der Lage ist, so eine Debatte in den Eliten loszutreten. Und dann eben auch so etwas zu drucken, was auf Carta eher unwahrscheinlich wäre:http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~E9E6A6552410C476C8BD314DA9346FFE6~ATpl~Ecommon~Scontent.html
[…] Die FAZ: das neue Zentralorgan der Nerds? […]
Die Liste könnte man noch ergänzen. Auf der Dampflog wurde vor kurzem ein FAZ-Artikel über das neue französische Gesetz gegen Raubkopierer, kurz Hadopi, gelungen zusammengefasst. http://www.vibrio.eu/blog/?p=1402
Fazit: Die FAZ biedert sich der Piraten-Partei an und macht sich zum Vorreiter eines „akademischen Boulevardjournalismus“.
Das ist wiederum ein schönes Beispiel wie unter dem Deckmantel der Kulturkritik verschiedene Aspekte durcheinander gewürfelt werden.
@Aufmerksamkeit!
Die Debatte ist nicht wirklich neu. Denken wir zum Beispiel an die Polemik von Adorno: „Eine Welt, in der die Technik eine solche Schlüsselposition hat wie heute, bringt technologische, auf Technik eingestimmte Menschen hervor. Das hat seine gute Rationalität: in ihrem engeren Bereich werden sie weniger sich vormachen lassen, und das kann auch ins Allgemeinere hinaus wirken. Andererseits steckt im gegenwärtigen Verhältnis zur Technik etwas Übertriebenes, Irrationales, Pathogenes. Das hängt zusammen mit dem „technologischen Schleier“. Die Menschen sind geneigt, die Technik für die Sache selbst, für Selbstzweck, für eine Kraft eigenen Wesens zu halten und darüber zu vergessen, dass sie der verlängerte Arm der Menschen ist.“
Vieles der Schirrmacher-Debatte holt diese klassische Skepsis aus der Mottenkiste hervor. Der Witz ist nun aber, dass bei den Persönlichkeiten, die sich für diese Mittel verantwortlich zeigen, ein ganz anderer Geist, und eine anderer Plan herrscht, und sie teilweise diese Wertvorstellungen in den Mechanismus eingebaut haben. Die Technik ermöglicht erst einen Neo-Heroismus und wirkt ohne platte Bemühtheit sozialrevolutionierend. Das ist natürlich nur meine technoliberale Sicht.
@jo
Es wäre schön, wenn die Skepsis besser wäre.
Vielleicht ist noch bemerkenswert, dass Blogs und Tweets die Debatte auch reichlich belohnt haben. Die FAZ rangiert hier mittlerweile auf Position 2: http://rivva.de/leitmedien (Ende 2009 noch Position 12)
Von wegen Zentralorgan: Hans-Olaf Henkel nimmt auf czyslansky.net das „System Schirrmacher“ auseinander. http://tinyurl.com/ybrbusp
Bevor ich missverstanden werde: Natürlich freue ich mich, dass die Debatte zur vernetzten Gesellschaft nach ~15 Jahren (erinnert sich jemand an die Anfänge von Spiegel Online und Telepolis, da hatten wir die Diskussion damals bereits) endlich (wieder) von den deutschen „Leuchtturmmedien“ aufgenommen wird. Auch/gerade Spiegel Online (mit Christian Stöcker) und die Zeit (inbesondere mit Kai Biermann) sind da ja durchaus auf einem viel versprechenden Weg.
Noch schöner wäre es freilich, wenn die Debatte nicht in Form einer Abwehrschlacht der Systeme (inbesondere von der Süddeutschen, leider auch immer wieder von FAZ/FAS), sondern ergebnisoffen geführt würde.
Dazu gehört auch, hin und wieder mal den Nerds zuzuhören und von ihrem Wissen zu profitieren. Ebenso stünde es manchem Nerd/Evangelisten gut zu Gesicht, über den digitalen Tellerrand zu schauen und sich mit den Argumenten der Netzskeptiker zu beschäftigen.
Mein Einwand, auch mal mit der Rolle des Dienstleister zufrieden zu sein, bezog sich auf den von Tharben vor allen in den Kommentaren bei np.org latent mitschwingenden Vorwurf der Vereinnahmung. Was die zivilgesellschaftliche Seite betrifft, mache ich mir diesbezüglich aber wenig Sorgen.
Das Problem der zivilgesellschaftliche Seite könnte weit eher werden, nicht aus der über Jahre kultivierten datenschutzfundamentalistischen Ecke zu kommen. Vgl. auch Michael Seemanns Hinweis auf die Arbeit von padeluun (Den ich, ebenso wie Michael, sehr schätze).
witzige artikel. was mich noch interessieren würde, wo die grenzlinie zwischen nerds und geeks verläuft und bleiben am ende doch nur die f*****s von der kommerz-debatte verschont. ^^
Zentralorgan geht vielleicht etwas weit, das ist nach wie vor das Netz selbst.
Die FAZ stellt sich – von konservativer und Verleger-Seite, aber meistens durchaus intelligent – der Diskussion um das und mit dem Netz. Die Welt Kompakt versucht sich dem Netz zu öffnen, hat aber natürlich nicht das feuilletonistische Gewicht eines Frank Schirrmacher. Von „linker“ Seite fällt mir auf Anhieb nur der Freitag ein, der unter Augstein ähnlich offensiv ins Netz geht; ansonsten habe ich da bei einigen Blättern (namentlich Süddeutsche, taz) das Gefühl, dass sie noch netzfeindlicher sind als die Konservativen.
Dass Schirrmacher immer wieder „der Netzgemeinde“ im Blatt eine Stimme gibt und mit mspro einen Blogger unter seine Fittiche nimmt, der gerade nicht vollständig seiner Meinung ist finde ich souverän und zeigt für mich, dass es hier tatsächlich um das Führen einer Diskussion und nicht um Kanzelpredigten geht.
[…] lobbyists, public relations reps and corporate officials have appe… 3 Tweets Die FAZ: das neue Zentralorgan der Nerds? — CARTA Kommt jetzt der binary turn? Eine Spurensuche zur Nerdisierung der FAZ. 3 Tweets […]
ich bleibe zunächst nochmal beim „wer“ (das war, christoph kappes, zumindest in #18 auch ihr zentraler ansatzpunkt). darum drehen sich ja zB auch die kommentare #21-#23 und das zeigt mE schon, dass eine solche debatte hier durchaus erst noch zu führen ist.
in den USA gibt es nämlich einen durchaus gut ausformulierten begriff des „nerd“, der tatsächlich als „kulturelle figur“ funktioniert und für den zB reichhaltiges illustrationsmaterial in film oder literatur vorhanden ist. diese ausformung eines bestimmten typs (der sehr viel mehr ist und sein kann, als der ziemlich eindimensionale deutsche wikipedia-artikel andeutet) hat hierzulande bislang so gut wie gar nicht stattgefunden.
eine frage ist zum beispiel auch, ob die kulturelle prägung des begriffs in deutschland überhaupt funktioniert. bzw. warum sie in den letzten fünf jahrzehnten (nach nugent liegen die wurzeln des nerd-begriffs in den 1960er jahren) nicht stattgefunden hat. werden wir jetzt gerade zeuge eines nachholprozesses, der den „nerd“ jedoch auf einen IT/computer/internet-spezialisten verkürzt (vgl. exemplarisch die auflistung in kommentar # 20).
dass das alles noch viel komplizierter sein könnte, unterstreicht auch ein kurzes interview mit lori kendall (bereits in #15 erwähnt) für telepolis: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29873/1.html (inkl. verweise auf weitere texte von ihr). hier geht es um eine weitere ausdifferenzierung der figuren (und stereotypen) der computerkultur, wenn eine knappe unterscheidung zwischen „nerd“ und „geek“ vorgenommen wird.
Für mich ist der Schlüsselbegriff nicht „Nerd“ (WER), für mich geht es um „Aufklärung“ (ZIEL).
In beide Richtungen: Leuchtturm-Medien sollen Bürger aufklären, was es bedeuten kann, im Netz aktiv zu sein (Scamville, Profiling…); zugleich sollen sie eine Plattform für „uns Nerds“ bieten, die Veränderungen nicht auf der Micro-Ebene zu diskutieren (iPad, LeistungsschutzR), sondern in einem grösseren Macro-Kontext mit Disziplinen, die einen anderen Blick haben.
Ich habe 2000 die wohl zweite naive Begeisterungswelle erlebt und seit 2007 beschleicht mich das Gefühl, in einer dritten zu sein. Die „Weisheit der Vielen“ aus einer Untersuchung von Erbsen-Schätzen in einem Land zu schliessen, das zwei Weltkriege angezettelt hat, verschlägt mir heute noch den Atem. Auch komme ich aus dem Staunen nicht heraus, wenn ich zu Michael Meiers „Die ersten Tage der Zukunft“ greife.
Dabei muss es zu Verwerfungen aller Art kommen, wenn Feuilletonisten mit Technikern sich zu verständigen versuchen, Sprache, Perspektiven, Werte etc sind sehr verschieden. Die richtige Haltung ist aber Geduld. Bevor das Denken aus den Gehirnen auswandert, muss es erst einmal dort geschehen.
Es lohnt sicher immer Wiener und Wittgenstein zu lesen.
Dass es zu wenig Interesse an Narration gibt, hoffe ich zumindest – noch – nicht.
Und es kann insofern gar nicht falsch sein, als es ja noch längst nicht verstanden ist.
Darauf hoffe ich ja erst noch :-)
Wer von uns sieht sich denn als „Nerd“? Warum sind es so wenige Personen, warum ist es so übersichtlich? Weil das seltsamerweise immer so ist. Irgendwie kennen sich immer alle.
@Aufmerksamkeit!
„Ich finde deshalb Schirrmachers Ansatz – der sehr gerne diskutiert werden kann und soll – wirklich gut: Wir brauchen Erzähler für die Skripte der Informatiker, damit der “normale Mensch” das versteht und endlich mal auch die adäquate philosophische Diskussion dazu geführt wird.“
Daran gibt es meiner Erfahrung nach einfach zu wenig Interesse. Und wenn man einer Narration folgen muss, die falsch ist, und bestimmte Vorverständnisse bedient, dann hat das zwar Erfolg und Wirkung, bleibt trotzdem unrichtig. Ich will so weit gehen zu sagen: Was verstanden wird, ist fast immer falsch, denn es ist schon präsent im gegenwärtigen. Das bleibt PR-Masche aber nicht weiter ernst zu nehmen.
Die richtige Narration soll es sein, nicht die verständliche. Sie braucht einen längeren Atem um verstanden zu werden, aber wird gar nicht schal.
Ein Problem bei vielen unserer Themen ist, dass wenn sie erst einmal in aller Breite in der Öffentlichkeit besprochen werden, die entscheidende Situation vorbei ist – oder das Eingreifen unverhältnismäßig aufwendiger.
Es lohnt weiterhin Wiener und Wittgenstein zu lesen.
Danke an @jo. Das ist zumindest mal insoweit ansprechend:
„Bei all den wichtigen Debatten sollten wir auch nicht vergessen, dass wir, auch/gerade was das Netz betrifft, eine reichlich elitäre Diskussion führen. Wenn das Notizblog nun im Gegenzug dem ein oder anderen Leser hilft, über den digitalen Graben zu springen und sich mit dem Netz auseinanderzusetzen, bin ich ernsthaft zufrieden.“
Was, glaube ich, hier sehr vergessen wird, dass es doch darum geht auch die „normale Gesellschaft“ (okay, ist sehr plakativ) einzubinden. Natürlich sind die -jetzt mal grob geschätzt – 100-200 relevanten Blogs – bestens informiert und vernetzt. Sie sind aber, m. E., nicht repräsentativ für die Gesellschaft, die sich größtenteils, das behaupte ich jetzt einfach mal aufgrund meiner Umwelterfahrung, mit der ganzen Internet-Netzgeschichte eigentlich gar nicht auskennen. Die ganzen „ohas“ zum neuen IPad, die buhhhs zum buzz, die Begeisterungsstürne zum Iphone, gehen an soooo vielen Leuten unbemerkt vorbei.
Ich wage jetzt die sehr provokante These – und möchte damit niemand Interessierten oder Informierten angreifen, nein, darum geht es mir nicht – dass vieles von dem, was hier zweifelsohne sehr interessant offeriert und diskutiert wird, die „Normalbevölkerung“ gar nicht erreicht. Das ist nicht schlimmm! Man muss sich dessen einfach nur bewusst sein.
Deshalb finde ich – natürlich kann man in der Ausführung und Sache unterschiedlicher Meinung sein -, dass Herr Schirrmacher hier Großes leistet.
Für mich ist das echtes Feuilleton, die journalistische Berichterstattung über Entwicklungen und Neuheiten.
Da gibt es viele Artikel in der FAZ und FAS und viele Blogs, nicht zu vergessen, der wunderbare Nils Minkmar mit guten Themen :-), die über das Print dann doch viele Leute erreichen.
Ist jetzt sicher eingigen zu old fashioned? Mag sein. Die ganzen Netzgespräche, so klug sie auch sein mögen, sind oftmals viel zu inzestuös.
Ich finde deshalb Schirrmachers Ansatz – der sehr gerne diskutiert werden kann und soll – wirklich gut: Wir brauchen Erzähler für die Skripte der Informatiker, damit der „normale Mensch“ das versteht und endlich mal auch die adäquate philosophische Diskussion dazu geführt wird.
Dazu bitte unbedingt alle nochmal das Gespräch zwischen Alexander Kluge und Frank Schirrmacher anschauen.
Das ist kein reines“Bildungsschaulaufen“ und noch weniger Klugscheißerei. Die surfen! Eben nur nicht bei Gooogle, sondern in ihrem Gehirn/Wissen, aber sie leben das, was sie beschreiben, großartig!
http://carta.info/22535/schirrmacher-kluge-algorithmen-geben-niemals-auf/
Also dieser Don Alphonso ist ungefähr genau so viel Nerd wie Ursula von der Leyen. Warum führen sie ihn als Nerd-Beispiel an? Weil er in der Lage ist, Ergüsse über seinen Perserteppich in ein Blog zu tippen?
@Christoph Kappes: Frank Rieger ist sicher ein guter Mann, wenn technische Kompetenz in Kombination mit gesellschaftlichem Weitblick gefragt sind.
Ansonsten wird es zumindest auf zivilgesellschaftlicher Seite schnell übersichtlich. Neben Constanze Kurz (ebenfalls CCC, HU Berlin), padeluun & Rena Tangens (FoeBuD Bielefeld), Alvar Freude (Fitug/AK Zensur), Markus Beckedahl (Netzpolitik.org), Ralf Bendrath (AK Vorrat) und Bettina Winsemann (Stop1984/telepolis) fallen mir vielleicht noch eine handvoll dauerhaft aktiver Akteure im Bereich Netzpolitik/Datenschutz ein.
Dazu kommen noch ein paar Newcomer. Julie Zeh mit ihren Veröffentlichungen in der Zeit oder Franziska Heine beispielsweise.
Heterogen ist die Szene auf jeden Fall, schließlich schmorrt sie seit Jahren im eigenen Saft. Einen übertriebenen Hang zur Selbstdarstellung oder gar finanzielle Interessen würde ich aber keinem der oben genannten Aktiven vorwerfen wollen. Dafür gibt es sicher geeignetere Themenfelder.
@Tharben: Zuviel der Ehre. Zumal das gedruckte Notizblog vom Konzept zunächst einmal ein (anekdotischer) Ratgeberkasten ist und keine netzpolitische Kolumne. Für mein Ego geht das vollkommen in Ordnung, ich bin dort Dienstleister.
Bei all den wichtigen Debatten sollten wir auch nicht vergessen, dass wir, auch/gerade was das Netz betrifft, eine reichlich elitäre Diskussion führen. Wenn das Notizblog nun im Gegenzug dem ein oder anderen Leser hilft, über den digitalen Graben zu springen und sich mit dem Netz auseinanderzusetzen, bin ich ernsthaft zufrieden.
Nennen wir es Karmaausgleich. Themen und Menschen interessieren mich ohnehin mehr als Teekannen.
@cb: Ja huch? Ich hoffe es gab keine bleibenden Schäden ,)
Nochmal zum Thema Nerds: Torsten Kleinz, Autor der oben genannten ElRep-Folge, beschäftigt sich auch sonst recht intensiv mit dem Thema. Bei Interesse empfehle ich ihn unverbindlich anzuschreiben. Adresse sollte auf http://nerds.computernotizen.de/ zu finden sein.
@CB: Danke für den Text. Genau das in dem Absatz ist für meinen Geschmack die Grundfrage: Wer „ist“ denn die digitale Elite. (Ohne dass wir über den Elite-Begriff streiten wollen, damit kann man wieder Stunden verbringen.)
Mir sieht sie sehr heterogen aus und durchsetzt von Selbstdarstellern und Leuten mit kommerzielllen Interessen (die aber nicht aufgedeckt werden).
Diejenigen, welche die Internet-Wirtschaft in massgeblichen Positionen steuern, halten sich zu allen Themen dezent zurück!
Deswegen finde ich es auch aus Blick einer Redaktion sehr schwierig, wenn man denn wie FAZ oder Handelsblatt (?) eine Plattform bieten will, die richtigen Leute herauszusuchen. Frank Rieger zum Beispiel scheint mir ein guter Griff zu sein; ich hatte vom CCC aus der Internet-Steinzeit kein gutes Bild und muss das jetzt so, pauschal es war, korrigieren.
Disclaimer: Ich berate die FAZ. Steht auch seit Jahren auf meiner Website.
die nerds werden sicher erfreut sein zu erfahren was ihr neues zentralorgan ist … muß einem ja mal gesagt werden …
@CB (#15) Na, vermutlich haben sie recht. Dabei hatte Frank Rieger noch diese feurige Keynot (Video #3700) des letztjährigen Chaos Communication Congress gehalten, die der FAZ-Agenda in den meisten Punkten weniger als nicht entgegenkommt dürfte. Man vermisst in dem Video instinktiv die roten Fahnen im Hintergrund ;)
Schleswig-Holstein, Heide.
@tharben (#11): wo kommen sie denn her? den spruch kenne ich auch… ;-)
solange ich darueber nichts genaues weiss, wuerde ich die „geldstroeme“ erst mal ausser acht lassen. und ob daraus gleich abhaengigkeiten resultieren? zudem glaube ich nicht, dass die schultern da wirklich geschlossen sind. aber diese sorte von diskursproduzierendem community-building halte ich fuer spannender als zB das gerade laufende „experiment“ von sascha lobo mit dem handelsblatt (oder ist da die versuchsanordnung umgekehrt?).
@jo (#12): danke fuer die hinweise. das notizblog kenne ich, nicht erst seitdem dort mal mein powerpoint-stil zerrissen wurde. wie gesagt, die spurensuche ist lueckenhaft.
@Christoph Kappes (#9): nun, in einer laengeren fassung des textes gab es noch ein paar hinweise zu den fundamenten der nerd-kultur (von wegen: online wird alles gedruckt ;-). hier mal ein auszug daraus:
„Bevor künftig also die Perspektiven digitaler Intelligenz diskutiert werden, sollten vielleicht erst einmal die Grundlagen der „Nerd-Kultur“ erarbeitet werden – denn vielleicht fehlt hierzulande der ein oder andere Baustein für eine funktionsfähige Digital-Elite. Doch keine Sorge – es gibt genügend Material, das für die ein oder andere Nachhilfestunde herhalten könnte. Erste Hilfe leistet Benjamin Nugent mit „American Nerd – The Story of My People“ (http://www.americannerdbook.com/), reichlich Material findet sich auch in der zehnteiligen TV-Serie „Nerd Nation“ und es gibt durchaus auch Text mit Fußnoten: zum Beispiel Lori Kendalls Untersuchung „Nerd nation. Images of nerds in US popular culture“.“
@Jörg-Olaf Schäfers (#12) Na, Sie habe ich ja glatt vergessen. Da haben wir es, mein linkes Auge fängt an zu zwinkern.
@Christoph Kappes: Der elektrische Reporter zeichnet ein etwas differenzierteres Bild des Nerds und seiner Kultur: http://www.elektrischer-reporter.de/elr/video/115/
Kann ich nur empfehlen. Doch Vorsicht, so manches Vorurteil könnte Schaden nehmen.
@Redaktion Carta/Christoph Bieber: Ich hätte übrigens noch eine „Spur“. Bereits seit Anfang 2007 gibt es mein „Notizblog“ in der gedruckten FAS, üblicherweise auf Seite 2 im Ressort „Geld & Mehr“. Die Links zum Blog gibt es frei im WWW (http://faz.net/fas/notizblog), die Geschichten leider nur für Abonnenten oder im Bezahlarchiv.
Die Gadgetberichte in „Technik und Motor“ habe ich vor der Internetära auch gerne gelesen.
Man kann noch hinzufügen, dass der Teil „Natur und Wissenschaft“ in den 90ern (danach weiß ich nicht) einen sehr guten Ruf hatte und auch von Wissenschaftlern gelobt wurde.
Christoph Bieber, in meiner Heimat sagt man: „Zwei Dumme, ein Gedanke.“
Ich frage mich ebenfalls, was es mit den gehäuften Medienauftritten von CCC-Vertretern im Schulterschluss mit Frank Schirrmacher in den vergangenen Wochen auf sich hat: Radio, Fernsehen, Blogs, Print (meine Auflistung und Gedanken dazu hier).
Einzig: Meine Augen veranstaltet kein Dauerzwinkern. Sie sind also der Meinung, man sollte Abhängigkeiten, die Bezahlung schaffen kann, nicht überbewerten?
predrone
„Bieber – wenn ich die Bio richtig lese, auch wieder so einer, der vom Staat bezahlt wird, um hier rumzudenken.“
Was ist das denn für billige Polemik hier, weiß doch jeder, dass die Carta-Autoren von neoliberalen Think Tanks finanziert werden! :)
Was verstehen Sie denn unter „nerd“? Die Wikipedia buchstabiert das so aus:
Langweiler, Sonderling, Streber, Außenseiter, Fachidiot.
Bieber – wenn ich die Bio richtig lese, auch wieder so einer, der vom Staat bezahlt wird, um hier rumzudenken. Allerdings sehr schlecht. You won’t get credit if you aren’t quoted by one of the major newspapers, thats why they all want to be noticed by them, in diesem Fall von Schirrmacher. Mach ich nicht mit.
Gut beobachtet. In allen drei Punkten.
Bei der SZ gibt’s leider nur die Blogger vom Streiflicht. Und die Moorstedts…
Unwitzig, stellenweise falsch, flach – es wird halt alles „gedruckt“ im Netz und bei Carta. So,so und Knüwer hat Schirrmacher „zerlegt“. Scheint mir eher umgekehrt.
Danke @Frank, in diese Richtung war mein Kurzkommentar gemeint: Ich sehe nicht, warum kurze Bildunterschriften etwas mit Bloggen oder Tweeten zu tun haben sollen, schon gar nicht mit dem Begriff „Nerd“.
Mein Eindruck, dass das auch eine Satire sein könnte, kam daher, das Schirrmacher in letzter Zeit nicht so sehr mit seiner Befürwortung mit der Nerd-Kultur sondern eher mit der Informationsüberflutung in der modernen Gesellschaft aufgefallen ist – und so hätten die ganzen Anspielungen auf tweetartige Bildunterschriften und der Verweis auf 2-3 exemplarische Artikel auch durchaus ironisch gemeint sein können.
Waren sie aber offenbar nicht.
Der Text ist sicher keine Satire, eher eine Spurensuche mit Augenzwinkern.
„Seitdem entwickelt sich dieses Aufmacherfoto mehr und mehr zum täglichen Blogeintrag. Natürlich kommentieren die Bildauswahl und der Begleittext ein zentrales Thema des Weltgeschehens – doch stilistisch finden sich hier häufig Elemente von Verkürzung, Verweis und Kommentar, die charakteristisch für die im Blattinnern häufig kritisierte Blogosphäre sind.“
Verkürzung, Verweis und Kommentar mögen typisch für Blogs sein. Diese Mittel sind nun mal aber auch typisch für Bildunterschriften von Titelbildern. Daraus einen Hinweis auf eine Nähe zu Blogs abzuleiten halte ich für absurd, ebenso die vermeintliche Nähe zu 140 Zeichen langen Bildunterschriften und zur Schau gestelltem Nerdtum in der Zeitung. Hier und da lassen Autoren schlicht Expertise durchscheinen. In Zeitungen wie in Blogs. Nerds hin oder her.
Und wie eine Satire klingt der ganze Text in meinen Ohren nicht.
@ Juien: Wie humorlos ist denn Ihr Kommentar? Die Sache mit dem Blogeintrag auf Seite 1 ist doch sehr treffend beobachtet.
Naja, so recht überzeugend ist das nicht. Aber sollte wahrscheinlich auch ‚ne Satire sein. Witzig war’s aber auch nicht. Schade, klang spannend.