#Demoskopie

Die Fehler der FDP

von , 9.2.10

Es ist fast Normalzustand, dass die Wähler mit Programm und Erscheinungsbild ihrer Partei nicht einverstanden sind. Also wechseln viele ständig ihre Präferenz. Weg von der einen heißt hin zur anderen Partei. Der Wähleraustausch ist tatsächlich viel größer, als die relativ stabile Sonntagsfrage vermuten lässt, denn die zeigt nur den Saldo. Selbst in Zeiten großer Volatilität ändern sich politische Kräfteverhältnisse oft nur träge.

Bei der FDP ist alles anders: Hundert Tage nach dem Regierungswechsel hat sie bereits jeden zweiten ihrer Wähler vom letzten September verloren. Und kaum neue hinzugewonnen: Einen so hohen Verlust an eigenen Wählern hatte selbst die SPD in ihren Chaosjahren zwischen 2005 und 2009 nicht zu vermelden.

Schlimmer noch: Der Regierungsstart verlief so holprig wie kaum ein anderer zuvor. Die 100-Tage-Bilanz der großen Koalition stellte vor vier Jahren immerhin 55 Prozent der Deutschen zufrieden. Selbst die rot-grüne Regierung kam 1999 auf 38 Prozent Zustimmung. Aktuell sind es nur 27 Prozent.

Warum ist das so? Weil die Psychologie und nicht die Politik immer stärker die Wertschätzung von Parteien bestimmt. Zufriedenheit ist eine Kombination aus Erwartung und gespürter Realität. Während die Wähler von der rot-grünen Koalition Anfängerfehler erwarteten und auch bei Merkel und Müntefering angenehm überrascht wurden, weil sie von einer langen Zeit des Zusammenfindens ausgingen, versprach die schwarz-gelbe Koalition reibungsarmes Durchregieren – und wird für ihr heilloses Durcheinander nun nur noch intensiver abgestraft: Die selbsternannten Könner können’s nicht.

Zweiter Kardinalfehler: Die neue Bundesregierung wollte Politik „fürs ganze Volk“ machen: Doch nur jeder zwölfte Wähler konnte das bislang erkennen: Die – wahrscheinlich nicht im Zusammenhang mit der Übernachtungsbesteuerung stehende – Mövenpick-Spende lässt wunderbar das Image der Spezipartei aufflackern, das doch längst überwunden schien. Zumal der Grund für ihr überraschend gutes Abschneiden bei der Bundestagswahl vor allem darin lag, dass sie neues Vertrauen gewinnen konnte. Erst nach ihrer standhaften Anti-Ypsilanti-Haltung in Hessen entschwebten die Liberalen in bis dahin ungeahnte Höhen.

Der FDP wurde vertraut wie keiner anderen Partei. Das ist nun dahin. Und zwar ohne die geringste Spur von Mitleid: 67 Prozent der Wähler finden den starken Absturz der FDP „so in Ordnung“; auch weil der Eindruck, den ihre Minister hinterlassen, nicht den Erwartungen der Wähler in schwieriger Zeit entspricht: Kümmern, Aufrichtigkeit und Verständnis sind gefragt, doch arrogant, hochmütig und abgehoben erscheinen sie vielen.

Der nächste Grund: Herrscht nur noch Parteienstreit, ist der Absturz nicht mehr weit: Selten zuvor war die Regierung zugleich sosehr Opposition. Das tägliche Durcheinander von Rede und Gegenrede, Hü und Hott, von Ja und Nein erweckt den Eindruck heillosen Chaos’, selbst wenn die Wähler innere Zerrissenheit und Zweifel am richtigen Kurs noch stärker mit der CSU verbinden. Als Emnid danach fragte, welche Partei innerhalb der Regierung die besten Konzepte habe, entschieden sich 17 Prozent für die FDP, gerade noch sieben für die CSU.

Die bayrischen Grantler sind der eigentliche Grund des Steilabsturzes, weit mehr als die Politik: Nach wie vor will eine knappe Mehrheit Steuererleichterungen, obwohl fast die Hälfte der Deutschen zu Transferempfängern geworden ist. Dieser Punkt im FDP-Wahlprogramm war der attraktivste. Die Wähler nehmen den Liberalen kaum übel, in Zeiten leerer Kassen ihr Versprechen einzuhalten – wenn sie nur Sparvorschläge, zum Beispiel im Subventionsbereich unterbreiten würden. Und Steuererleichterungen werden nach wie vor als wichtigste Konjunkturmaßnahme angesehen.

Dennoch ist der freie Fall der Liberalen nur eine Momentaufnahme; selbst wenn Vertrauen und Image fürs erste verspielt sind. Längerfristig haben sich die Wahlchancen der FDP wie auch die der Grünen  verbessert: Das Wählerpotential („Welche Partei könnten Sie sich vorstellen zu wählen?“) beider Parteien ist seit 2008 von 20 auf 30 Prozent angestiegen, das der Großparteien hingegen bei etwa 50 Prozent konstant geblieben. FDP und Grüne sind auf dem Weg zu kleinen Volksparteien. Die FDP allerdings nur, wenn sie die Psychologie zu beherrschen versteht.

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