#Budapest

Demokratie und Immunsystem: Ungarn spaltet sich an der Grippeimpfung

von , 13.1.10

Von wegen Pandemie. Die Schweine zumindest, die durch den Medienwald galoppieren, wenn es um die Grippe geht, laufen je nach Nationalität in sehr unterschiedliche Richtungen. Zurück aus Budapest, wo ich meine Weihnachtsferien verbrachte, frage ich mich, ob das mit der weltumspannenden Infektion H1N1 wirklich stimmen kann, wo doch ihr Erscheinungsbild schon kurz nach der Landesgrenze ein ganz anderes ist.
In Ungarn zum Beispiel sprach mich so gut wie jeder darauf an, ob ich auch von den verheerenden Blutungen gehört hätte, gegen die keine Medikamente hülfen und die besonders in der Schwangerschaft aufträten. Doch kaum reagierte ich mit zweifelndem Blick und der Frage, ob das nicht eher vor ein paar Jahren bei der Vogelgrippe der Fall gewesen sei, war ich auch schon Luft für meine Gesprächspartner. Was nützt schon meine Ignoranz angesichts der Tatsache, dass sich nach ungarischen Medienberichten Frauen reihenweise zum Kaiserschnitt anmelden und sich die Kinder lieber früher quasi aus dem Leib reißen lassen, als dem unheimlichen Virus anheim zu fallen und zu verbluten.
Auf diese Weise stehengelassen, suchte ich in meiner Budapester Wohnung im Internet nach Hinweise, scannte die Seiten des Robert-Koch-Instituts und fand wenig, was diese Gerüchte bestätigen würde. Im Gegenteil, hierzulande wird gerade bei Schwangeren darüber diskutiert, ob nicht die empfohlene Grippeimpfung zu leichten Blutungen führen könne, die allerdings von offizieller Seite als geringeres Risiko gegenüber einer Infektion betrachtet werden.
Die vernünftige Diskussion, die ich daraufhin mit meinen ungarischen Freunden und Verwandten anstoßen wollte, war nicht von Erfolg gekrönt. Sie scheiterte vor allem an der Tatsache, dass die Impfung für die Magyaren wie für uns vor allem ein Politikum ist, allerdings ein ganz anders gelagertes. In dem mitteleuropäischen Land geht es nicht wie bei uns um Glauben oder Skepsis, was die Segnungen der Medizin betrifft – das Vertrauen in Fortschritt und Technik nämlich ist in sozialistischen Zeiten unerschütterlich betoniert worden, und Ärzte sind als Vertreter dieses Optimismus immer noch die unangefochteten Herren über Leben und Tod. Sie können also einfach nur Recht haben.
Einen Teil der Ungarn peinigt eher der Argwohn, dass die (im Niedergang befindliche) Regierungspartei der Reformsozialisten durch ihre Impfempfehlung das ganze Land mit in den Abgrund reißen wolle – wie die (im Aufwind befindliche) Opposition irgendwie insinuiert. Fakten haben bei so viel Ideologie keine Chance: Wer ein guter Linker ist, geht also impfen und fürchtet sich vor der Schweinegrippe. Wer ein guter Rechter ist („konservativ“ wäre zu beschönigend für die ungarische Sammlung rechtskatholischer, nationaler bis hin zu faschistischen Gruppierungen) hat hingegen weder Angst vor irgendwelchen Viren noch vor der Regierung. Nicht zur Impfung zu gehen, gilt dort als Zeichen richtiger Gesinnung.
Ein Wunder, dass die Opposition noch nicht die These aufgestellt hat, dass die traditionell von jüdischen Ungarn getragene Linke durch spezielle Genabweichungen sowie volksschädigendes Verhalten an der Ausbreitung des Virus schuld sei. Die Tatsache, dass der Gesundheitsminster angeblich an einer in Zypern eingetragenen Firma beteiligt ist, die ein nur für Ungarn zugelassenes Impfserum (Fluval P) produziert, erscheint da angesichts diverser Verschwörungstheorien geradezu harmlos.
Im April sind in Ungarn Wahlen, und die Rechte wird sich vermutlich durchsetzen. Bleibt nur zu hoffen, dass zumindest die nicht-geimpften Antisemiten unter den Magyaren dann, anstatt zur Wahlurne zu gehen, immer noch das Bett hüten, um die Reste der hoffentlich letzten Grippewelle auszukurieren. Kleine Viren können nämlich ganz große Politik machen.

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