#Emissionsrechte

Klimapolitik nach Hans-Werner Sinn: nicht ausreichend

von , 7.12.09

Es gibt eine Diskussion in der Klimaökonomie, die so alt und abgenutzt wie überflüssig ist: Kann ein perfekt ausgestaltetes Emissionshandelssystem eine Volkswirtschaft tatsächlich so kosteneffizient steuern, dass es keiner anderen umweltpolitischen Steuerungsinstrumente bedarf, um langfristige Emissionsreduktionen herbeizuführen? Sinns Antwort auf diese Frage ist ein unmissverständliches „Ja“. Nur der Markt kann Marktversagen korrigieren.

Sinn argumentiert dabei wie folgt: Die Einpreisung der externen Umweltkosten in die Produktion von Gütern setzt unmittelbar Signale, die von den Wirtschaftsakteuren aufgenommen werden, so dass letztlich dort Klimaschutz betrieben wird, wo es am günstigsten ist. Da nur eine begrenzte Menge an Emissionszertifikaten im System verfügbar ist, wird zu jedem Zeitpunkt das gesetzte klimapolitische Ziel erfüllt – unter den geringsten Kosten für die Volkswirtschaft. Daher seien alle zusätzlichen regulierenden oder unterstützenden Eingriffe überflüssig, wenn nicht sogar schädlich. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, Emissionsstandards für Autos, Glühlampenverbot – allesamt Teufelswerk. Einzige Ausnahme bildet die Förderung der Kernfusion. Hier meint Sinn sich eine Ausnahme von der Regel erlauben zu dürfen. Sein Argument: Die Kernfusion besitze ein so großes Zukunftspotenzial, dass die geringe Förderung mit nur rund 200 Mio. Euro im Jahr der Bedeutung der Kernfusion für die Zukunft der Welt nicht gerecht werde.

Sinn bekennt sich an dieser Stelle unvermittelt zu dem entscheidenden Argument, das bislang von seiner eigene Erklärungslinie vehement bekämpft wurde: Umweltpolitik ist seit längerem nicht mehr nur aus dem Schutzaspekt heraus zu betrachten. Umwelt- und Klimapolitik sind heute vielmehr wirtschaftspolitische Steuerungsinstrumente, die einen Übergang in eine neue Phase weltweiten Wirtschaftens ermöglichen sollen. Will man das eigene Land in einen Innovationsstandort verwandeln, so muss die Klimapolitik genutzt werden, um hierfür frühzeitig passende Rahmenbedingungen zu schaffen. Das bedeutet: Die künftigen Technologieschwerpunkte erkennen, Expertise entwickeln und damit eine globale Vorreiterrolle im Umweltschutz wie in der Technologieentwicklung einnehmen.

Sinn hat erkannt, dass das Emissionshandelssystem in diesem Zusammenhang ein wichtiges Instrument ist, um bereits heute korrekte Investitionssignale zu setzen. Der unumstößliche Glauben in die Wirkungsmacht des Systems begründet jedoch Sinns eigenes Paradox: Er möchte dieser Reihenfolge entsprechend zunächst alle Emissionsvermeidungspotenziale mit niedrigen Kosten heben (Gebäudesanierung etc.) und sich erst zu einem späteren Zeitpunkt den Vermeidungsoptionen mit hohen Kosten (Photovoltaik etc.) widmen.

Dabei blendet er bewusst oder unbewusst einen wichtigen Aspekt aus: Die Marktintegration von Technologien benötigt stets eine Demonstrationsphase, in der das Verfahren häufig noch nicht kosteneffizient wirksam ist (gleichermaßen wurde übrigens auch im Zusammenhang mit der Marktintegration der Kernenergie verfahren). Dieser Umstand ist gleichermaßen für effiziente Technologien in Industrieprozessen gültig wie für neue Energietechnologien und die Nutzung neuer Energieträger. Der Politik kommt dabei eine Steuerungsfunktion zu, die sie auszufüllen bereit sein muss. „Technologieneutralität“ ist ein Konzept der Wirtschaftswissenschaft des 20. Jahrhunderts.

Im Klartext: Wer im Jahr 2020 Niedrigkostenoptionen zur Emissionsminderung und Technologieführerschaft für den Industriestandort vorweisen will, der muss gezielte Förderung bereits heute betreiben. Gleiches gilt für Effizienzstandards bei Produkten jeglicher Art. Nur durch eine gezielte Steuerung kann heute ein Potenzial abgerufen werden, das morgen kostengünstig erhältlich ist. Gleichzeitig werden so globale Standards entwickelt, die dem globalen Klimaschutzziel dienen.

Die internationale Klimapolitik befindet sich derzeit eingeklemmt im medialen Konflikt zwischen dem Marktglauben Sinn’scher Art und einem ideologisch gesteuerten „Ökologismus“ (siehe David Suzuki am gleichen Tag in der Süddeutschen). Dabei gelingt es beiden Seiten nicht, über ihren eigenen Tellerrand zu blicken. Sinn bleibt in der Suche nach Marktlösungen für das größte Marktversagen der Geschichte – den Klimawandel – in seiner eigenen Disziplin verhaftet und übersieht – gewollt oder ungewollt – den Blick für die Notwendigkeit politisch-strategischer Planung. Die Ökobewegung verliert gleichzeitig an Glaubwürdigkeit, indem sie sich im Windmühlenkampf zwischen Gut (Konsument löst das Problem) und Böse (Markt löst das Problem) der Umweltpolitik verliert.

Keine dieser Strömungen wird in ihrer Reinform künftig in der Lage sein, die Lösung für ein komplexes globales Problem zu entwickeln. Dafür bedarf es einer Integration wirtschafts-, umwelt- und energiepolitischer Steuerung ohne dogmatische Vorbehalte.

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