#Angela Merkel

Heute im Bundestag: Das „Wie-halten-wir-NRW“-Gesetz

von , 30.11.09


Seit vier Wochen regiert in Berlin die schwarz-gelbe Koalition. Die Bilanz ist wahrhaft beeindruckend: Ob Gesundheitspolitik oder Betreuungsgeld, ob Vertriebenenstiftung oder Hotelsteuer: Selten waren nach einer Regierungsbildung so schnell so viele Reizwörter in Umlauf. Und selten hatte man so früh den Eindruck, es mit einer reinen Zweckbeziehung zu tun zu haben – einer „verspäteten Koalition“, wie Gerd Appenzeller es im „Tagesspiegel“ vom 29.11. formuliert. Bonjour tristesse ist das Leitmotiv der Regierung Merkel II, selbst wenn mit Kristina Köhler die Kabinettsrunde um ein Zahnpastalächeln reicher wird.

Freilich, einen Pfeil hat Kanzlerin Angela Merkel noch im Köcher: Mit dem „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“, welches an diesem Montag im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages beraten wird, soll nun alles besser werden. Das Kindergeld wird um 20 EUR im Monat, der Kinderfreibetrag um rund tausend Euro erhöht. Wer erbt, zahlt weniger Steuern, während Unternehmen ein Stück weit von dem unter Schwarz-Rot beschlossenen Aberwitz befreit werden, Gewerbesteuer auf Mieten oder Leasingraten zahlen zu müssen.

Bis hierhin scheint alles gut. Höchst umstritten zwischen dem Bund und einzelnen Ländern, insbesondere Schleswig-Holstein, ist jedoch der Plan, auf Hotelübernachtungen nur noch sieben Prozent Mehrwertsteuer zu erheben. Die daraus resultierenden Steuerausfälle, so der Kieler Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, könne sein Bundesland nicht verkraften. Bewegt sich die Bundesregierung nicht, dann wollen die Nordlichter dem ersten großen Gesetz der neuen Berliner Koalition ihre Zustimmung verweigern – für Merkel und ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble die größte anzunehmende Blamage.

Deichgraf, bleibe hart

Es gibt gute Gründe dafür, dass Deichgraf Carstensen seine Stimme gegen diesen Teil des Gesetzes erhebt. Dabei ist der befürchtete Steuerausfall ordnungspolitisch kein besonders überzeugendes Argument. Entscheidend ist vielmehr, dass mit der steuerlichen Bevorzugung von Hotels – ungeachtet der Ankündigung, unser Steuersystem einfacher zu gestalten – ein weiterer Ausnahmetatbestand im Steuerrecht geschaffen wird. Als wenn wir nicht schon genug davon hätten. Es mag ja sein, dass Hoteliers in grenznahen Regionen immer mehr Gäste an ihre Wettbewerber jenseits der Landesgrenze verlieren, weil dort geringere Steuern erhoben werden. Aber deshalb dieser einen Branche einen Vorteil zu gewähren, den sie aller Wahrscheinlichkeit nicht einmal an ihre Kunden weiterreichen wird – das ist keine Wirtschafts-, sondern Klientelpolitik.

Gleichwohl werden Bund und Länder sich schon irgendwie einigen. Ein Scheitern kann sich die Koalition gar nicht leisten. Denn Anfang Mai 2010 sind Wahlen in NRW. Und dort geht es buchstäblich ums Ganze: Gelingt es Ministerpräsident Jürgen Rüttgers im Verein mit den Liberalen, erneut die SPD zu schlagen, dann ist Merkels Mehrheit im Bundesrat zumindest bis 2011 einigermaßen sicher. Geht NRW aber verloren, zum Beispiel weil Sigmar Gabriel Ernst macht mit Rot-Rot-Grün, dann wird es ungemütlich in Berlin. Dann findet Gesetzgebung nicht auf lichten schwarz-gelben Höhen statt, sondern im Maschinenraum namens Vermittlungsausschuss – für Merkel, Westerwelle & Co. ein traumatisches Szenario.

So gesehen, ist das Wachstumsbeschleunigungsgesetz in Wahrheit ein „Wie-verteidigen-wir-die-Macht-in-Nordrhein-Westfalen“-Gesetz. Es geht darum, die Bürger noch einmal vom süßen Saft vielfältiger Vergünstigungen nippen zu lassen, bevor Finanzminister Schäuble endgültig den Hammer herausholt und “in jedem Jahr strukturell zehn Milliarden Euro sparen“ will (Schäuble zur Stuttgarter Zeitung, 28.11.2009).

Düsseldorf ist wichtiger als Delhi

Mikropolitisch gedacht, gibt eine solche Mehrheitsverteidigungsstrategie sicherlich Sinn. Aber von der neuen Regierung wird man mehr erwarten dürfen als parteipolitisches Machtkalkül. Politik muss endlich wieder Gestaltungskraft beweisen. Draussen auf den Weltmärkten tobt der Wettbewerb wie eh und je – die Krise hat die Globalisierung keineswegs beendet, allenfalls unterbrochen. Chinesen, Inder und Andere haben längst zu alter Stärke zurückgefunden. Dringend erforderlich wäre es, die deutsche Volkswirtschaft auf diese Herausforderungen auszurichten. Stattdessen halten wir uns mit Hotelsteuern, Herdprämien und der Causa Steinbach auf, denken mehr an Düsseldorf als an Delhi und lassen zu, dass Deutschland bei der Neubesetzung der EU-Kommission mit dem Energieportfolio abgespiesen wird – ein Linsengericht! Merkel, Westerwelle und Seehofer haben den Bürgern dieses Landes einen Politikwechsel versprochen. Wenn sie den nicht bald einleiten, wird die Tristesse zum Dauerzustand.

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