Lobbyismus: Systemrisiko der Demokratie?

von , 25.11.09

Obamas Finanzreform wird von Lobbyisten-Armee torpediert, vermeldet Spiegel Online vor vier Wochen. Zwei Tage zuvor reduzierte die New York Times das Ringen um die US-amerikanische Gesundheitsreform auf die Auseinandersetzung der beiden mächtigsten US-Lobbyisten in der Gesundheitspolitik. Zwar sind die Vereinigten Staaten nicht Deutschland, aber auch in unserem Land fragt man sich immer öfters: Was ist das für ein neuer Kaiser, dieser Lobbyismus?

Die Aussage, dass Lobbying – also die Vertretung eigener Interessen – legitim und Bestandteil des politischen Systems ist, ist so richtig wie unbedeutend. Niemand bestreitet, dass das Übersenden von Positionspapieren an Abgeordnete und die Teilnahme von Verbänden an Anhörungen zulässiger und wichtiger Teil des politischen Prozesses ist. Doch dreht sich die tatsächliche Debatte um diffizilere Fragen.

Längst ist der „Lobbyismus“ zu einem negativ besetzten Begriff für ein System informeller, nicht transparenter Einflussnahmen mit nicht nachvollziehbaren und/oder ethisch fragwürdigen Austauschbeziehungen geworden. Diese Etikettierung würde den Diskurs über politische Wirklichkeit erleichtern, aber worin besteht genau das Problem?

Die Aufgabe der Politik liegt im Treffen allgemein verbindlicher Entscheidungen. Die Anerkennung ihrer Verbindlichkeit speist sich aus der Legitimität demokratischer Entscheidungsprozesse. Zur Bewertung der demokratischen Güte von Entscheidungsprozessen ist es gängige Praxis, sie in viele, kleine Einzelbestandteile zu zerlegen und dann einzeln zu bewerten. Ein solches Vorgehen entspricht dem methodischen Vorgehen der streng akteurszentriert arbeitenden Sozialwissenschaftler.

Wenn eine politische Verhandlungsseite wortgleich den Entwurf eines Lobbyverbandes übernimmt, wenn die Formulierung eines Gesetzentwurfes an eine Anwaltskanzlei ausgelagert wird und wenn Parlamentarier ihr Mandat zurückgeben, um einen Lobbyisten-Job in der Wirtschaft anzutreten, mag man das politisch kritisieren und angreifen, aber es ist formal wenig daran auszusetzen (falls im zweiten Fall eine korrekte Auftragsvergabe stattfand). Aber ein solches Vorgehen verengt den Blick weg vom Gestrüpp der dahinterliegenden demokratischen Systemrisiken.

Die Politikwissenschaft nutzt seit langem den Begriff des „Politiknetzwerks“, um die Interaktion wesentlicher Akteure im Prozess der Politikformulierung und –durchsetzung zu beschreiben. Ein Netzwerk ist niemals per se gut oder schlecht. Wesentlich sind Aufgabe und Ziel des Netzwerks und die Art der Interaktion im Netzwerk. Es ist unstrittig, dass politische Willensbildung zu einem Großteil in informellen Netzwerken außerhalb des formalen Politikprozesses stattfindet.

Bundestagspräsident Lammert wird zu Recht nicht müde zu betonen, dass das Parlament das Herz der Demokratie sei. Lobbyisten operieren am offenen Herzen der Demokratie. Daher ist es wichtig, zwischen einem „Netzwerk von Kleingärtnern in Unterschlarbach“ und dem Netzwerk der Politik formulierenden Parlamentarier, Beamten und beteiligten Lobbyisten in einem konkreten Politikfeld zu unterscheiden. Ganz wesentlich zur Bewertung ist dabei die Frage, wie transparent und nach außen offen ein solches Politiknetzwerk ist und wer in diesen informellen Politiknetzwerken das Sagen hat. Ohne Transparenz ist es schwierig, dem Eindruck zu begegnen, dass diejenigen, die mehr finanzielle Möglichkeiten haben, Informationen und Wissen zu produzieren, auch mehr Macht in den informellen Politiknetzwerken besitzen und diese Macht in politische Entscheidungen umsetzen können. Erst durch die Offenlegung der Netzwerkstrukturen ist eine politische Auseinandersetzung über solche Machtgefälle möglich.

Vielen politischen Eliten scheint es an Problembewusstsein zu mangeln. Neulich sprach ein lobbykritischer Bundestagsabgeordneter davon, alle neuen Abgeordneten würden nach ihrem ersten Parlamentseinzug einer „Wäsche“ unterzogen; er meinte wohl Gehirnwäsche. Als Günter Grass in einer Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion den wachsenden Lobbyismus geißelte, zeigten reflexartig die Finger auf ihn zurück als Lobbyisten der Urheberrechte.

Für die institutionelle Stärkung integrer Politik gibt es direkt umsetzbare Handlungsmöglichkeiten. Erstens muss der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung verschärft werden, damit Abstimmungsverhalten in Fraktionssitzungen nicht mehr legal gekauft werden kann. Gleichzeitig muss die Annahme von Spenden durch Abgeordnete selbst – die bis zu einem Betrag von 10.000 Euro noch nicht einmal publiziert wird – untersagt werden. Zweitens müssen die Nebeneinkünfte der Abgeordneten auf Heller und Pfennig veröffentlicht werden. Drittens ist ein verpflichtendes Lobbyistenregister mit finanzieller Offenlegung notwendig.

Zur kulturellen Stärkung integrer Politik muss immer wieder an das demokratische Verständnis erinnert werden, dass Politik den Menschen und niemandem sonst dient, dass Lobbyisten nicht gewählt sind – auch wenn sie stolz die Umsatz- und Mitarbeiterzahlen ihrer (Mitglieds)unternehmen vor sich herposaunen – und dass die Chance eines jeden Bürgers, dass seine Interessen im politischen Prozess berücksichtigt werden, weder direkt noch indirekt von seinen finanziellen Möglichkeiten abhängen darf.

Christian Humborg hat diesen Text auf „The European“ veröffentlicht. Wir übernehmen den Text als Crosspost.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.