#Online-Wahlkampf

Vergesst Obama!

von , 20.11.09

Präsident Barack Obama ist in diesen Tagen in Asien unterwegs, er hat mit chinesischen Studenten über das Internet gesprochen (“I have never used Twitter“), und sich nach Meinung konservativer Landsleute ein wenig zu tief vor dem japanischen Kaiser verbeugt. Obama ist also viele Tausend Kilometer entfernt, und steht beim Personal Democracy Forum, das am 20. und 21. November in Barcelona stattfindet, trotzdem im Mittelpunkt. Joe Rospars, der New Media Director seiner Kampagne, darf mal wieder erklären “Why Obama won”, und nennt die bekannten Buzz-Wörter: Transparenz, Authentizität und Partizipation.

Danach sprechen der französische Technik-Consultant Dominique Piotet und Beniot Thieulin, der Madame Royale während der französischen Präsidentschaftswahlen in Internet-Fragen beriet, mit Rospars darüber, was Europa aus dem Obama-Wahlkampf lernen kann. Falls es jemand vergessen haben sollte: Transparenz, Authentizität und Partizipation.

“Das Internet ist ein höchst effektives Werkzeug, um die Truppen zu organisieren”, sagt Thieulin, und nimmt so Bezug auf das einleitende Statement des PDF-Producers Andrew Rasej aus New York: In der interaktiven Multimediademokratie “schlagen organisierte Minderheiten die unorganisierte Mehrheit”.

Das Personal Democracy Forum, das in den USA seit einigen Jahren die early adopters, Aktivisten und Dienstleister versammelt, wirkt fast wie eine Form der digitalen Entwicklungshilfe. Die Stars und auch die Sponsoren kommen aus der neuen Welt. Und es bleibt Amerikanern und Obama-Veteranen wie Joe Rospars vorbehalten, die großen Worte zu schwingen – “lower the barriers of participation”, “build real, meaningful relationships with the people”, und als Botschafter der reinen Lehre und Missionare aufzutreten.

Vertreter der europäischen Parteien und Firmen wirken, nach einem langen, harten Jahr voller Wahlen mit negativen Rekorden, beinahe ein wenig desillusioniert. Gründe, warum es einen europäischen Obama in nächster Zeit nicht geben wird, finden die französischen Internet-Experten jedenfalls genug. Obama hatte den Vorteil des First Movers. Piotet: “Die erste Kampagne des 21. Jahrhunderts wurde durchgeführt. Jetzt beginnt das Tagesgeschäft.”

Europäische Parteien und Interessensverbände sind, anders als ihre Pendants in den USA, keine Bewegungen, sondern bürokratische Institutionen. Die Kompatibilität mit sozialen Netzwerken ist gering. Europa ist nicht wirklich interessiert an Transparenz, so Piotet. “Schauen sie sich an wie wir Fußball spielen.” (er spielte auf das skandalöse Handspiel von Henry im Playoff-Match gegen Irland an). Und Benoit meinte: “Die Franzosen wollen dem Präsidenten nicht zu nahe kommen. Sie wollen einen Vater.”

Das ist alles nicht neu. Und bei den letzten Beispielen handelt es sich wohl eher um französische Folklore als um tatsächliche politische Analyse. Piotet besteht darauf, dass Obama für Europa kein Rollenvorbild, kein Modell sei, sondern “ein Monument, das uns inspiriert und mit Energie versorgt”. Vielleicht aber ist genau das der falsche Ansatz. Vielleicht hat der Blogger Jon Worth von Euroblog recht, der mitten in die Flashback-Analyse twitterte: “I’m tired of talking of Obama’s campaign (…) we need a kick from something else.”

Interessanter als die bunten Powerpoint-Präsentationen der Obama-Dienstleister, wichtiger als unsere eigenen, warmen Erinnerungen an diesen amerikanischen Herbst, in dem das Licht einer neuen Zeit am Horizont aufzublitzen schien, sind all die kleinen, banalen Beispiel der angewandten digital-direkten Demokratie, die auf dem Personal Democracy Forum ausgetauscht werden: Die Internet-Proteste gegen Sarkozy jr. in Frankreich oder bislang unbekannte, aktivistische Blogs aus Irland. Der Glamour-Faktor ist niedrig, aber es sind immerhin Neuigkeiten, da ist Bewegung.

Die Debatte über die Chancen der neuen Medien ist genau in dem Moment, in dem sie zum ersten Mal genutzt wurden, am 4.11.2008, stehen geblieben. So sehr uns Obama mit seinem lässigen Charisma und innovativen Kommunikationspolitik auch fasziniert. It is time to move on.

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