#ARD

“Was bin ich?”: Die Suchmaschine des Robert Lembke

von , 30.11.09

Völlig unbeirrt von jeder postmodernen Infragestellung etablierter Werte, demonstrativ unbeirrt auch von existentiellen Nöten seiner Gäste und Zuschauer, lief Robert Lembkes heiteres Beruferaten „Was bin ich?“ über die Kanäle der ARD. An das beruhigende Ostinato der Sendung hatte man sich seit 1961 gewöhnen können und es bis zum Tod des Moderators und dem Fall der Mauer 1989 konsumiert. Mit „Was bin ich?“ lieferte Lembke der bundesrepublikanischen Fernsehöffentlichkeit ein Spiel, das schlicht und einfach darin bestand, die Berufsbezeichnung einer bestimmten, in der Sendung anwesenden Person aufzudecken.


Video: Vorspann “Was bin ich” (1968)

Zu Beginn ihres Auftritts mußten die Gäste vier rudimentäre Merkmale ihrer Person bekanntgeben. Sie setzten ihre Unterschrift auf eine Tafel, kreuzten entweder „angestellt“ oder „selbständig“ an, machten eine berufstypische Handbewegung und wählten dann die Farbe eines Sparschweins. Während dieses Auftritts wurde der Beruf des Gastes exklusiv für das Publikum eingeblendet. Mehr Input war nicht nötig, um das Spiel laufen zu lassen und das Rateteam – es bestand aus vier dem Publikum wohlvertrauten Personen – zu aktivieren. Bei jeder Frage, die mit Nein beantwortet wurde, warf der Spielleiter fünf Mark in das Sparschwein des Gastes. Ließ sich die Frage bejahen, durfte das Verhör fortgeführt werden. (…)

Auf der Suche nach Erwartungssicherheit

Man braucht kein Fan von asiatischen Kampfsportarten oder amerikanischen Politthrillern zu sein, um sich über den gewaltigen Erfolg dieser eher einfach gestrickten Sendung zu wundern. Der Grund für die auffällige Popularität von „Was bin ich?“ ist weder im Spektakulären noch im Skandalösen zu suchen. Vielmehr befriedigte die Sendung eine Nachfrage nach Erwartungssicherheit. Lembkes Publikum hatte offensichtlich ein Bedürfnis nach der Versicherung darüber, daß sich Personen und Berufe zuverlässig miteinander verbinden ließen. Dank ihrer dramaturgischen Architektur und einem sorgfältig zusammengestellten Team von Ratespezialisten konnte die Sendung ein Verfahren anbieten, das diese Verbindung immer wieder exemplarisch herstellte und stabilisierte. Am Schluß jeder Spielsequenz stand eine klare Zuweisung, sei es aufgrund der geschickten Fragen des Rateteams oder aufgrund der Auflösung des Rätsels durch den Spielleiter.

Die Gewißheit, daß sich die Zuschreibung zwischen Person und Beruf nach Ablauf eines einfachen Programms überprüfen ließ, die Sicherheit, daß dies theoretisch für jeden beliebigen Gast und damit auch für das Kollektiv der Gäste als Stellvertreter des Publikums geleistet werden konnte, war faszinierend und beruhigend zugleich. Während der Ausgang der Ratesequenz prinzipiell offen war, wie es sich für ein Spiel gehört, schloß die ganze Sendung jeden Zweifel über die Zuweisungsmöglichkeit zwischen Person und Beruf aus.

Neue Selbstbilder und Ausweise

Für die Nachfrage nach einem Programm, das Erwartungssicherheit erzeugte, gab es gute zeithistorische Gründe. Es zählt zu den gewaltigen Integrationsleistungen der jungen Bundesrepublik, nach dem Zweiten Weltkrieg Identifikationsmerkmale gleich in millionenfacher Auflage unter hohem Zeitdruck angepaßt, ersetzt oder repariert zu haben. Binnen weniger Jahre verwandelten sich überzeugte Mitglieder der NSDAP in demokratische Stimmbürger, aus alleinerziehenden Trümmerfrauen wurden konsumierende Hausfrauen, aus Frontsoldaten wurden Väter, Ehemänner und Berufsleute, aus Flüchtlingen gut integrierte Bewohner von Neubausiedlungen. In großer Eile warf man 1945 alte Uniformen der Wehrmacht weg und zog bald darauf die neuen der Bundeswehr an. Juristisches Personal mußte auf neue Gesetzesbücher verpflichtet werden, Ärzte und Industrielle durften ihr einstiges Engagement für das „Dritte Reich“ über Nacht vergessen und es auf eine verbraucherdemokratische Gesellschaft ausrichten.

Die massenhafte Entsorgung unbrauchbarer Adressen ging einher mit der massenhaften Beschaffung neuer Selbstbilder, Mitgliedschaften, Anschriften und Ausweise. Das war ein Prozeß, der sowohl vom Gebot des kommunikativen Beschweigens der Vergangenheit als auch der breiten Partizipationsmöglichkeit an Wachstumsgewinnen unterstützt wurde. Nicht zuletzt war dieser Prozeß aber auch auf die erfolgreiche Demonstration einer hinreichenden Stabilität und Verläßlichkeit der neuen Adressen und Anschriften angewiesen.

Lembkes Sendung demonstrierte einem Millionenpublikum auf spielerische Weise, daß der „Beruf“, so wie er in den Personalpapieren stand, als stabiles Merkmal einer Personenbeschreibung dienen konnte, weil er sich aufgrund weniger Parameter und einer knappen Befragung eruieren ließ und weil es dem bürgerlichen Wertekanon entsprach, der „gute Mensch“ gehe nicht nur einer Arbeit nach, sondern erkenne in seinem Beruf auch eine Berufung.

Konstante im Strukturwandel

Vom sozioökonomischen Strukturwandel seiner Zeit ließ sich Lembke nicht beeindrucken. Weder bewog er ihn, das Dekor seines Studios oder das Format seiner Sendung anzupassen, noch hätte er im Traum daran gedacht, den Stil seines Auftritts von der Kleidung über die Frisur bis zur Brille zu verändern.

Dennoch bildeten die dramatischen Veränderungen in der Berufswelt der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts den entscheidenden historischen Kontext zur Sendung. Lembkes Sendung gab mit ihrem dezidiert konservativen Kurs und dem konsequenten Ausblenden der Kostenseite dieses Strukturwandels eine Antwort auf die Veränderungen des Arbeitsmarktes. Gern präsentierte Lembke „letzte Vertreter“ der zahlreichen „vom Aussterben bedrohten Berufe“ wie Handschlagziegler oder Kupferschmiedemeisterin.

Der Arbeitslose hingegen hatte keine Chance, in der Sendung aufzutreten, und der Computeroperateur erhielt 1964 als Vertreter eines neuen Berufs eine semantische Traditionspatina verpaßt und wurde als „Futtermeister für Elektronenrechner“ vorgestellt. „Was bin ich?“ erzeugte auf diese Weise jene Stabilität, die in der Arbeitswelt und in den 23 Biographien fehlte, und absorbierte damit die im gesellschaftlichen Wandel entstandene Unübersichtlichkeit.

Die Ordnung der Berufe

Was immer auf dem Arbeitsmarkt oder in der Berufswelt sich veränderte – die Sendung gab stets vor, Personen dadurch identifizieren zu können, daß sie den fehlenden Eintrag im imaginären Formularfeld „Beruf“ eruierte. Pikanterweise tat sie dies ausgerechnet in einer Zeit, in der Unternehmer im Verein mit Ökonomen, Betriebswirten und Bundesämtern die Praxis der Umschulung und der Weiterbildung als Voraussetzung für die Flexibilisierung von Humankapital zu deuten begannen und sich dabei langsam, aber sicher vom Beruf als stabilem, lebenslänglich gültigem Asset und Merkmal einer erwerbstätigen Person verabschiedeten. Manche sprachen in diesem Zusammenhang sogar von einem großen Berufssterben, stellten Überlegungen an, wie mit Widerständen beim Berufswechsel und bei der Umschulung umzugehen sei und ob „Fernunterricht“, ein „Computer-gestützter Unterricht“ oder ein Weiterbildungsinformationssystem dabei von Nutzen sein könnten.

1961, just in dem Jahr, als das heitere Beruferaten zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, hatte das Bundesamt für Statistik in Wiesbaden noch einen umfassenden Katalog der offiziell gültigen Berufsbezeichnungen veröffentlichen können, wohl wissend, daß sich „Form, Inhalt und Bedeutung der Berufe und damit das Gefüge des Berufslebens […] unter dem Einfluß der modernen Technik“ häufiger und schneller veränderten als früher.

Im Unterschied zum Bundesamt konnte es Lembke jedoch nicht um die erschöpfende Deklaration einer Ordnung gehen, wie sie aus einem „systematischen und alphabetischen Verzeichnis der Berufsbenennungen“ hervorgeht. Vielmehr war das heitere Beruferaten ganz pragmatisch auf Operationalisierbarkeit des Einzelfalls angelegt. Das Ratespiel verschob die unendlich komplexe Frage nach der individuellen Identität auf eine Frage, die für exempla knapp zu stellen und präzise zu beantworten war. Wenn schon aus verschiedenen Gründen unklar bleiben mußte, wer man war, sollte wenigstens klarwerden, was man war.

Sendung für Sendung, Gast um Gast sollte die doppelte Gewißheit darüber erzeugt werden, daß sich jeder „normalen“ Person eine berufliche Tätigkeit zuweisen ließ und daß sich dabei die Zeugen dieses Zuweisungsprozesses ihrer eigenen beruflichen Normalität versichern durften.

Vom Rand her suchen

Um die Attraktivität des Ratespiels zu steigern, operierte Lembke in der Regel mit exotischen Berufen, die für das Rateteam nur mit Mühe bestimmt werden konnten. Dadurch verlängerte sich nicht nur die Suchprozedur. Auch die Zuschauerlust wurde auf diese Weise genährt, und der Spielleiter erhielt eine wichtigere Rolle. Der Kick des Ratespiels war die bedrohliche Möglichkeit eines Zuweisungsfehlers zwischen Person und Beruf, ihre Beruhigungsleistung die zweifelsfreie Auflösung des Rätsels. Mit bisweilen recht exotischen Beispielen – vom Bonsai-Kultiveur bis zum Modelleisenbahnlandschaftbauer – lotete die Suchmaschine „Was bin ich?“ den Geltungsbereich der Variable „Beruf“ im Datensatz der erwerbstätigen Bevölkerung aus.


Video: “Was bin ich?”: Modelleisenbahnbauer

Der „normal range“ läßt sich am besten von seinen Rändern her bestimmen. Was exakt der Norm entspricht, ist zu unauffällig, das Seltene und Kuriose zeigt an, was als normal und was als jenseits der Norm zu bezeichnen ist. Das ist der Unterschied zwischen Apothekerin, Flugkapitän, Fußpflegerin und Mauerfacharbeiter auf der einen Seite und Blitzableiterbauer, Hundefrisör, Skorpionmelker, Gewässerbelüfter und Kautabakroller auf der anderen Seite. (…)

Die Frage, die Lembkes Suchmaschine zu beantworten hatte, war aber nicht nur die Frage nach der Zuordnung von Beruf und Person, sondern gleichzeitig jene nach den möglichen Berufen aller Personen. Sowohl die Hochkonjunktur der sechziger Jahre mit ihrem akuten Arbeitskräftemangel als auch der beschleunigte Strukturwandel der Arbeitswelt im Gefolge der Wachstumskrise der siebziger Jahre hatten die Tabelle dieser Zuordnung unendlich komplex werden lassen.

Neue Unübersichtlichkeit

Die Zeiten waren vorbei, in denen sich das Problem mit der Neuauflage einer knappen Broschüre aus dem Bundesamt für Statistik lösen ließ. Seit Ende der sechziger Jahre mußten die Behörden wesentlich aufwendigere Instrumente zur Herstellung von Übersicht bereitstellen und waren nicht nur auf eine statistische Systematik, sondern mehr denn je auf eine wissenschaftliche Arbeitsmarkt- und Berufsforschung angewiesen, die den dynamischen Verhältnissen gerecht werden konnte.

So publizierte das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 1974 unter dem Titel Wer macht was? nicht etwa einen neuen Berufskatalog oder eine die Ergebnisse der Arbeitsmarktforschung bündelnde Studie über die soziale Herkunft, die Ausbildung und die Beschäftigungsform der Erwerbstätigen. Publiziert wurde ein über tausendseitiges Register von Experten der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Das Verzeichnis illustriert anschaulich, wie schwierig es inzwischen selbst für Experten geworden war, außerhalb des Fernsehstudios die Übersicht zu behalten. Um so faszinierender muß es für das Publikum der ARD gewesen sein, den unerschütterlichen Erfolg von Lembkes Suchmaschine in regelmäßigem Abstand zu beobachten. Selbst das Scheitern des Rateteams war ja kein Versagen der Sendung – das Publikum interessierte sich für das Verfahren an sich, für die Einkreisung und Umzingelung des einzelnen Gastes und für die daraus folgende Bestimmung eines identifikatorischen Möglichkeitsraums.

Dramatis personae

Die Faszination des Verfahrens mit seiner trotz Strukturwandel konstant gebliebenen Ordnungsleistung erklärt einen Teil des Erfolgsrezepts der Sendung, die „dramatis personae“ den anderen. Da war Robert Lembke selber, der weit über seine Sendung hinaus ein Image der Konstanz sowie der unverwüstlichen Gleichförmigkeit genoß und die reibungslose Exekution des Programms garantierte.

Zum Personal der Sendung gehörten in erster Linie jene Gäste, die spezifische Berufe repräsentierten. Sie haben sich zu Tausenden in Lembkes Sendung gedrängt. Den persönlichen Normalitäts- und Abweichungstest wollten diese Massen freiwilliger Kandidaten offenbar nicht nur als Zuschauer vor der Mattscheibe oder im Publikum des Studios machen.

Monatlich gingen gegen 6000 Zuschriften von Zuschauern und Zuschauerinnen ein, die in der Sendung auftreten wollten, um dort ihre berufliche Identität vor einem professionell inszenierten Quartett von Untersuchungsrichtern möglichst lange verborgen zu halten und damit die eigene bescheidene Außergewöhnlichkeit gegenüber dem „normal range“ vor Millionen von Zuschauern zu dokumentieren. So empfahl sich im Mai 1966 der Ingenieur Konrad Grass aus Innsbruck „auf Drängen meiner Bekannten und Freunde“. Als Kellereimeister verfüge er nicht nur über eine schwer identifizierbare Handbewegung, nämlich „das Halten eines Kostglases mit einer bestimmten Weinsorte gegen das Licht“, sondern sehe auch „gar nicht wie ein Kellermeister“ aus, zumindest nicht so, wie man sich ihn allgemein vorstelle.

Er sollte damit recht behalten. Wie der Schäferwagenhersteller wurde er in der Sendung vom 25. Oktober 1966 vom Rateteam nicht erkannt. Auch die Drechslerin schaffte es trotz ihres einigermaßen normalen Berufs auf neun Negativantworten, bis sie dingfest gemacht werden konnte. Vermutlich hatte sie davon profitiert, als Frau einen „typischen Männerberuf“ auszuüben. Für alle drei Kandidaten hatte die Sendung jedoch den wohltuenden Effekt, für die kurze Dauer ihres Auftritts von einer „unbekannten Größe“ in eine temporäre Berühmtheit verwandelt zu werden.

Prominenztest

Ganz anders waren die Effekte, die die Sendung für die prominenten Gäste zeitigte. Für jenen Prominenten, der am Schluß der eben erwähnten Sendung auftrat und schon nach fünf Nein als Udo Jürgens entlarvt werden konnte – für jedes Nein erhielt er eine Flasche Sekt –, ging es nicht darum, möglichst lange unerkannt zu bleiben. Der Prominenztest war dann besonders gut bestanden, wenn sich die Prominenz leicht erkennen ließ.

Generell galten dafür in der Sendung verschärfte Regeln. Das Rateteam mußte mit verbundenen Augen operieren, und die Gäste durften nicht für sich selber sprechen, sondern mußten ihre Antworten mit Nicken oder Kopfschütteln geben und durch das Medium Robert Lembke an das Rateteam senden. Selbstverständlich kannte man sie gut, oft bis zum Überdruß, aber bei Lembke ließ sich feststellen, wie sie sich zum Normalprofil des Prominenten verhielten.

Bei den prominenten Gästen ging es auch nicht bloß darum, den Beruf zu erraten, sondern gleich auch noch den Namen festzuhalten. Das Risiko, nicht erkannt zu werden und damit offenbar nur über eine schwach ausgeprägte Prominenz zu verfügen, mußte der Gast selber tragen. Bei einem Besuch in Lembkes Sendung wurde also das Paradox der ganz normalen Prominenz getestet. Da es aber für die ARD und ihr Publikum eine beschränkte Zahl von Tätigkeitsgebieten gab, die zu Prominenz führten, und alle diese Felder vom Fernsehen verwaltet wurden, war die Suchprozedur im Ausschlußverfahren sehr effizient, das Risiko einer Blamage für den Gast und das Rateteam mithin entsprechend gering. Die Bereiche Film, Musik, Sport, Politik und das Fernsehen selber waren die wichtigsten Lieferanten von prominenten Gästen.

Unterhaltungsmusiker, schwarze Haare, Augsburg

Die Suche konnte also mit einem von fünf möglichen Werten der Variable „Tätigkeitsfeld“ beginnen und von dort über eine schnelle Sequenz der Einschränkung weitergeführt werden. Wer weder Politiker noch Schauspieler, sondern Musiker war, wer kein Instrument spielte, sondern mit seiner Stimme berühmt geworden war, wer nicht ernste, sondern unterhaltende Musik, ja Schlager der weichen Sorte produzierte und wer schließlich mit dieser Produktion gerade jetzt – man schrieb das Jahr 1968 – in Wettbewerben und in den Charts Furore machte, der stammte vermutlich aus Augsburg, hatte schwarze Haare und hieß Roy Black. Vom Auftritt bis zur Entlarvung des Gastes, der die Demaskierung des Rateteams auf den Fuß folgte, verstrichen nicht mehr als drei Minuten.


Video: Roy Black bei “Was bin ich?” (1968)

Der Hauptgrund für diese Effizienz des Rateteams lag in der Verfügbarkeit einer Prominenten-Figur namens „Roy Black“. Dieses Konstrukt wurde nicht in der Sendung selber geschaffen. Aber die Sendung bot einen Einblick in die Prozesse, die an der Objektivierung der Prominenten-Figur beteiligt gewesen waren. „Ja, das ist also eine ganz erstaunliche Karriere“, leitete Lembke das Gespräch mit seinem frisch „entlarvten“ Gast ein. „Da ist also in der Nähe von Augsburg ein Bub auf die Welt gekommen, brav in die Schule gegangen, hat nie was Böses gedacht. Hatte er vor, etwas zu werden?“

Gerd Höllerich, wie Roy Black mit bürgerlichem Namen hieß, nahm den Faden seiner ganz normalen Herkunft gerne auf. Er erzählte vom Abitur an der Oberschule, vom Anfang eines Studiums der Betriebswirtschaft, das viel kürzer und deshalb erschwinglicher war als das Biologiestudium, 30 von dem er geträumt hatte. Daneben habe er sich etwas Geld verdient, „fünfzehn Mark den Abend, von acht bis zwölf“, mit Singen in einer Kneipe, in der ein Bekannter als Aushilfskellner tätig war, mit Auftritten in andern Kneipen, in denen bei Eintreffen der Gäste die Band sicherheitshalber abgestellt und die Musikbox in Betrieb genommen wurde. Ein mutiger Auftritt in der auf eigenes Risiko angemieteten Stadthalle führte zu einem Angebot, eine erste Platte aufzunehmen. Sie floppte jedoch ebenso wie eine zweite.

Aber der Held dieser Geschichte gab nicht auf, entschloß sich, einen dritten Versuch zu wagen, diesmal ohne seine rockigen „Cannons“ – und erzielte mit der Schnulze „Du bist nicht allein“ den großen Durchbruch. Lembke, der nicht nur Moderator und Medium, sondern bei Bedarf immer auch „meaning giver“ sein konnte, faßte das alles für das Publikum wieder zusammen. Das Erfolgsrezept seines prominenten Gastes glaubte er darin zu sehen, „daß jemand nicht gegen seinen Strich singt“, also nicht (wie ursprünglich beabsichtigt) die Rolling Stones imitierte, sondern vielmehr „den Leuten etwas bringt, das sie heute ja weitgehend von außen beziehen, nämlich ihre Gefühle“. Denn der Schlager sei „so etwas wie ein Ersatz geworden, mit dessen Hilfe man Gefühle ausdrückt, die man nicht mehr artikulieren kann“. Gerd Höllerich alias Roy Black gestand freundlich, daß er „so noch nie darüber nachgedacht habe“.

Sechs Minuten nach seiner geglückten „Entlarvung“ als prominenter Schlagersänger verließ er das Studio Robert Lembkes, war mehr denn je Roy Black und konnte die Zufriedenheit seines Publikums darüber teilen, daß aus ganz normalen Buben ganz normale Prominente werden können. (…)

Suchprozeduren

Wie jede Suchmaschine war auch „Was bin ich?“ so programmiert, daß einfache Selektionen – als Antworten waren nur ja oder nein zugelassen – das richtige Resultat aus allen möglichen Resultaten herausfiltern konnten. Und wie bei jeder Suchmaschine hatte der Suchprozeß einen spielerisch-experimentellen Charakter, ging von einer Simulation (Handbewegung) aus und endete in einer exemplarischen Dokumentation, in diesem Fall einem mündlichen Bericht oder einem Dokumentarfilm über einen bestimmten Beruf, den es zu erraten gegolten hatte.

Technisiert war dieser Suchprozeß in seiner schematischen Prozedur und in der medienspezifischen Herstellungsform. Alle Sendungen ließen sich dank Ampex Videotechnik vorproduzieren und mußten eine Live-Sendung nur imitieren. Daß man die Bänder per Flugzeug und nicht mit der Kutsche nach Zürich ins SRG Studio transportieren ließ, war ebenfalls fast selbstverständlich und entsprach dem beim Bayerischen Rundfunk in München akzeptablen Aufwandbedarf der Schweizer Partner in Zürich.

Mit den „modernsten“ aller Maschinen der sechziger Jahre aber, den Rechnern, hatte Lembkes Sendung gar nichts zu tun, aus durchaus programmatischen Gründen. Denn was, so fragte sich Robert Lembke 1972 im Jahrbuch der ARD, „schenkt man einem Computer, wenn man mal etwas Besonderes will? Schokolade ißt er nicht, Alkohol trinkt er nicht, Anstecknadeln sammelt er nicht – vielleicht ein Fläschchen Öl?“

Das Programm, welches Erwartungssicherheit über die Möglichkeit stabiler Zuordnungen zwischen Person und Beruf suchte und herstellte, sollte im konservativen Sinne von demonstrativer Menschlichkeit geprägt sein. Darum war die Sendung von freundlichen Kommentaren gepolstert, deren Ironie auf ähnlichen Zuweisungsfehlern beruhte, wie sie Lembke auch in kuriosen Heiratsannoncen, Kleinanzeigen und Versatzstücken für den Smalltalk entdeckte und in seinem „Großen Buch“ abdrucken ließ. Sie funktionierten alle nach dem Muster einer Kleinanzeige in den Nürnberger Nachrichten: „Metzger sucht Wirte zum Schlachten“. Diese gemütliche Verharmlosung des Geschehens erhöhte nochmals die in jeder Ausgabe demonstrierte Leistungsfähigkeit der Sendung.

Lembke, der sich in einem Cartoon auf dem Umschlagbild seines Großen Robert Lembke Buches als treffsicherer Bogenschütze darstellen ließ, dessen Pfeile stets ins Schwarze trafen, moderierte eine Sendung, die durch programmierte Interaktionen eines Teams laufend Zuweisungen stabilisierte, indem sie auf den Punkt gebracht wurden.

.

suchmaschinenDieser Text ist ein Auszug auf David Gugerlis Buch “Suchmaschinen. Die Welt als Datenbank”, erschienen in der edition unseld/ Suhrkamp Verlag 2009, 110 S., EUR 10,-. ISBN 978-3-518-26019-7. Via Amazon-Partnerprogramm hier zu bestellen.

Wir danken dem Suhrkamp Verlag für die freundliche Genehmigung zur auszugsweisen Veröffentlichung. Eine Rezension findet sich hier.

Für den Februar plant Carta eine Veranstaltung mit David Gugerli zur “politischen Ökonomie des digital geordneten Wissens” in Berlin.

.

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.