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Leitantrag: SPD fremdelt noch immer mit dem Internet

von , 9.11.09

Auch unter ihrer neuen Parteiführung, so verdichten sich die Hinweise, mag die SPD mit dem Internet nicht so richtig warm werden. So zumindest läst sich der Leitantrag der Parteiführung für den Parteitag in Dresden interpretieren. Dort wird das Internet zwar als der “Ort einer der wichtigsten Freiheitsbewegungen unserer Zeit” bezeichnet. Zugleich ist in dem Papier aber auch sehr viel Skepsis in Sachen Internet zu lesen.

Das Internet wird als “ambivalent” und “Quelle neuer Bedrohungen” beschrieben. Die “vielfältig geteilten Öffentlichkeiten im Internet” seien auch ein “Problem für den freien Austausch von Meinungen”.

Die SPD fremdelt augenscheinlich noch immer mit dem neuen Mediensystem. Sie sehnt sich nicht nur sozialpolitisch nach ihren Erfolgen aus den 70er Jahren, sondern blickt auch versonnen auf die schön geordneten Massenmedienverhältnisse von damals zurück.

Vom heutigen Medienumfeld fühlt sich die Partei unverstanden und schlecht vermittelt. Die Bedingungen für “ein vernünftiges öffentliches Gespräch” hätten sich in den letzten Jahren verschlechtert. Es gebe “große Bedrohungen” für die demokratische Öffentlichkeit. Das Mediensystem wird vor allem als kommerzialisiert und konzernvermachtet wahrgenommen. Die SPD pflegt auch weiterhin ein mittelstarkes Unbehagen mit Medien und Internet – und wirkt dabei mehr als nur ein bißchen verkrampft.

Dabei ist sich die Partei ihrer latent phobischen Unschlüssigkeit als Folge von Geringschätzung und Absentismus in den neuen Medien durchaus bewußt. Sie gelobt Besserung und appelliert in dem Leitantrag mehrfach, auf die “Netzaktivisten” und Blogger zuzugehen. Es soll sogar eine Konferenz unter dem Titel “Mehr Demokratie wagen – Teil II” geben (ein Glück nicht “2.0”). Die SPD versucht sich folglich im Leitantrag an einer leichten programmatischen Neujustierung in Sachen Netzpolitik, indem sie sich gegen Internetzensur und für Netzneutralität ausspricht.

Mit dem Thema Internet- und Medienpolitik wird die SPD keine Wahlen gewinnen oder verlieren. In dem Komplex kann sich jedoch die Fähigkeit der Partei zeigen, neue Steuerungsentwürfe zu schaffen und kulturelle Avantgarden zu integrieren – oder auch nicht. Die Passagen des Leitantrags für Dresden zur Internet- und Medienpolitik aber sprechen nicht für einen Aufbrauch, sind eher geprägt von Verzagtheit und Verunsicherung.

.Auszug aus dem Leitantrag der SPD-Parteivorstands zum Bundesparteitag in Dresden:

Innere Sicherheit und Bürgerrechte

(…)

Eine zentrale Aufgabe wird es sein, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit insbesondere im Internet sicherzustellen. Die notwendige Diskussion werden wir auch mit Netzaktivistinnen und Netzaktivisten sowie der “Blogosphäre” führen. Eine Zensur des Internets ist keine Lösung. Wo sie droht, räumen wir Datenschutz und Bürgerrechten einen höheren Stellenwert ein.

(…)

Initiative „Demokratie und Freiheit“

(…)

Demokratie braucht Öffentlichkeit. Doch die Bedingungen für ein vernünftiges öffentliches Gespräch über unser Gemeinwesen haben sich in den letzten Jahren verschlechtert. Daran haben Medienkonzentration und Kommerzialisierung ebenso ihren Anteil wie verändertes Mediennutzungsverhalten, mediale Vermittlungsroutinen, medientechnische Revolutionen oder politische Inszenierungsstrategien. Sozialdemokratische Medienpolitik hat sich nie bloß als Medienwirtschaftspolitik begriffen. Es ist an der Zeit, auch darüber zu reden, wie wir eigentlich in unserer Demokratie miteinander reden, welche Informationsmöglichkeiten existieren und wo echte inhaltliche Debatten überhaupt noch stattfinden können. Wir wollen im kommenden Jahr gezielt das Gespräch mit Medienvertretern und Journalistinnen und Journalisten suchen, um auszuloten, wo die größten Bedrohungen demokratischer Öffentlichkeit liegen und wie sie beseitigt werden können. Die vielfältig geteilten Öffentlichkeiten im Internet und die gewachsene kulturelle Vielfalt in unserem Land sind Chance und Problem für den freien Austausch von Meinungen. Wir wollen die Medien so gestalten, dass ihr demokratisches Potenzial voll ausgeschöpft wird.

Das Internet ist für dieses Vorhaben ebenso zentral wie ambivalent, weil es gleichzeitig zur Entgrenzung und Beschleunigung von Öffentlichkeit beiträgt. Unbestritten aber ist es der Ort einer der wichtigsten Freiheitsbewegungen unserer Zeit. Das Internet stärkt die Entfaltungsmöglichkeiten jedes oder jeder Einzelnen ebenso wie die weltweite Entwicklung demokratischer Inhalte. Wir wollen die nie dagewesenen Beteiligungsmöglichkeiten für demokratische Prozesse nutzbar machen und unsere demokratischen Mechanismen auch für die digitale Welt öffnen. Die neuen Möglichkeiten für Freiheit und Transparenz im Netz sind gleichzeitig auch Quelle neuer Bedrohungen. Und so sind Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung zu den neuen Herausforderungen der Bürgerrechtspolitik geworden. Für uns ist es Aufgabe des Staates, die Freiheit im Internet zu erhalten und zu sichern. Es gilt das Kreative, das Freie, das Positive dort zu bewahren und zu fördern.

Das Internet ist aber auch kein Raum für die Macht oder Kontrolle weniger. Auch seine Freiheit endet dort, wo sie die Freiheit anderer beschneidet. Daher braucht auch das Netz Regeln, gesetzliche oder auch vereinbarte. Wir brauchen neue digitale Vereinbarungen, die nicht den herkömmlich analogen Logiken alleine folgen können. Das Eine tun, ohne das Andere zu lassen. Das ist ein wichtiger Lernprozess, den wir in Zusammenarbeit mit Netzaktivisten gehen werden. Die Debatte darüber – auch über Fragen der Netzneutralität – hat gerade erst begonnen.

In einer „Demokratiewerkstatt“ werden wir alle diese Fragen aufwerfen und gemeinsam mit Expertinnen und Experten, Praktikerinnen und Praktikern sowie interessierten Bürgerinnen und Bürgern erörtern. 40 Jahre nach Willy Brandts Regierungserklärung ist es Zeit für „Mehr Demokratie wagen – Teil II“.

Siehe zu dem Thema auch:

Frank-Walter Steinmeier: “Die Beziehung von Medien und Demokratie ist heute manchmal brüchig”

Marc Jan Eumann: SPD-Medienpolitik: Netzneutralität muss unbedingt geschützt werden

Montagabend im WDR: Der Fall SPD – Überlebenskampf einer Volkspartei

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