#COP15

Erfolgreich scheitern: Die Reduktionsziele beim Klimagipfel

von , 6.11.09

Schon länger hat sich die Europäische Union und mit ihr viele weitere Staaten darauf festgelegt, dass die Erderwärmung unterhalb von 2°C begrenzt werden soll. Die dafür notwendige Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes ist in zahlreichen wissenschaftlichen Studien hinreichend dokumentiert. Kevin Anderson und Alicia Bows vom britischen Tyndall Centre for Climate Change Research etwa haben im vergangenen Jahr berechnet, dass dafür spätestens ab 2015 die weltweiten CO2-Emissionen um 4% jährlich abnehmen müssen. Damit, so die Wissenschaftler, sei das Ziel theoretisch noch erreichbar. Das Ziel zu erreichen hieße in diesem Fall: Die 2°C kommen.

Die nötige Reduktion ist schwer vorstellbar, weil enorm groß. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt zudem, dass der steigende Energiehunger der Weltwirtschaft bis 2030 zu jährlich zwischen 1,5 und 2% steigenden CO2-Emissionen führt, auch wenn die Finanzkrise den Anstieg vorerst gestoppt hat. Anderson und Bows klingen im Fazit ihrer Studie dann auch wenig optimistisch, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Selbst eine CO2-Konzentration zu erreichen, die nach dem besten Schätzwert des IPCC zu einer Erderwärmung um 3,6°C führen wird, ist nach den Autoren nicht unbedingt wahrscheinlich. Die bisher auf den Vorverhandlungen in Barcelona eingegangenen Verpflichtungen steuern genau auf diesen Wert zu. Die Bandbreite der in diesem Jahrhundert zu erwartenden Erwärmung liegt also augenscheinlich zwischen 2° und 4°C. So oder so, es stehen heiße Zeiten ins Haus.

Was kann Kopenhagen daran ändern? Vordergründig ist der Klimagipfel ja bereits jetzt halb gescheitert. Yvo de Boer, Vorsitzender der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC), erklärte gegenüber Reuters zuletzt Ende Oktober, dass in Kopenhagen nur die politischen „essentials“ beschlossen werden könnten. Die technischen Details müssten anschließend in weiteren Verhandlungsrunden ausgemacht werden.

Das ist im Prinzip nicht neu und war auch schon 1997 bei der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls so. Auch in Kyoto wurden viele Details auf später verschoben, doch zumindest die Reduktionsziele der Vertragsstaaten und damit der scheinbar wesentliche Meilenstein konnten in kräfteraubenden Nachtsitzungen festgezurrt werden. Das wurde als Erfolg gefeiert, es hat aber letztlich nur wenig gebracht. Damals wie heute war klar, dass die in Kyoto festgelegten Ziele viel zu gering sind, um wesentlich etwas an der Erderwärmung zu ändern. Der Beweis? Selbst das Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht trägt mehr zum Klimaschutz bei als das, was in Kyoto festgeschrieben wurde. FCKW sind nämlich gleichzeitig sehr aktive Treibhausgase, und deren schrittweise Verbannung hilft dem Klima bislang mehr als dies Kyoto vermag.

Das Scheitern von Kyoto liegt dennoch nicht in den läppischen Reduktionszielen begründet, und genau deshalb kann Kopenhagen trotz erwartbar unzureichender Ziele ein Erfolg werden. Zunächst: Das wichtigste Ziel – zu verhindern, was die Klimarahmenkonvention einen „gefährlichen Klimawandel“ nennt – ist schon lange, seit 1992 nämlich, völkerrechtlich bindend festgelegt und von vielen Staaten im Sinne des 2°C-Ziels interpretiert worden.

Jenseits dessen liegen nun die viel wichtigeren Fragen: Wie kann Klimaschutz auf breiter Basis gelingen? Wie können wir die Transformation zur post-carbon-economy meistern? Welche Strategie wählen Industrieländer, um das enorme wirtschaftliche Potenzial grüner Technologien nutzbar zu machen? Wie hoch werden die Finanztransfers in Entwicklungsländer zur breiten Anwendung effizienter Ökotechnologien sein? Und welche Anpassungsmaßnahmen im Sinne nachhaltiger Entwicklung können damit finanziert werden? Die Antworten auf diese Fragen und der Entschluss, das Wirtschafts- und Energiesystem für das 21. Jahrhundert neu zu designen, sind letztlich viel bedeutender. Kurz gesagt: Der Weg, nicht das Ziel, ist der Gradmesser des Erfolgs.

Die Konzentration auf die Höhe des Ziels, gemessen am Kohlendioxid-Ausstoß, kann sogar von der eigentlichen Aufgabe ablenken. Eine Volkswirtschaft stellt man nicht auf den Prozentpunkt genau auf einen bestimmten Treibhausgas-Ausstoß ein. Wer Forschung in Erneuerbare Energien finanziert, tut dies nicht im Hinblick auf einen vorher festgelegten prozentualen Anteil, den die dabei entwickelten Technologien zu dem gleichsam zuvor niedergeschriebenen CO2-Reduktionsziel beitragen sollen. Wer den Konkurrenzvorteil von energieeffizienten Geräten für die Hersteller oder das Potenzial von Plusenergiehäusern und seine Vorteile für die Bewohner erkannt hat, vergisst beides nicht, weil ein unzureichendes Reduktionsziel in Kopenhagen festgelegt wurde.

Viele denken nun, es mache doch wohl einen Unterschied für die zu erwartenden Bemühungen im Klimaschutz, ob sich ein Staat auf 20% oder 40% weniger CO2-Ausstoß bis 2020 festlege, und ob er nur um 60% oder doch gleich um 95% bis zur Mitte des Jahrhunderts von seiner Kohlenstoffabhängigkeit runterkommen wolle. Da ist auch etwas dran, doch der Prozess läuft genau anders herum: Erst wenn ein Staat das Potenzial sieht, seine Volkswirtschaft zu dekarbonisieren, und die darin liegenden Vorteile zu erkennen vermag, kann und wird er sich auf Klimaschutz einlassen. Je mehr Optionen dafür zur Verfügung stehen, um so höher wird das freiwillig eingegangene Ziel am Ende ausfallen.

Am Verhalten der EU kann diese Reihenfolge gut studiert werden. Vor Kopenhagen verpflichtete sich die Union bereits von selbst auf eine Verringerung ihrer CO2-Emissionen um 20% bis 2020, verglichen mit dem Basisjahr 1990. Noch einmal 10 Prozentpunkte mehr sollen draufgepackt werden, wenn der Rest der Weltgemeinschaft mitzieht. Diese 30% sind aber für die EU umsonst zu haben. Das muss man sich auf der Zunge vergehen lassen: Die EU geriert sich als grünes Weltgewissen, weil sie in Aussicht stellt, eine Politik umzusetzen, die sie unterm Strich nicht nur nichts kosten, sondern die zudem auch ihre volkswirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit deutlich steigern wird. Weil es so schön ist, beschloss der EU-Umweltministerrat am 21. Oktober dann auch, bei der Überarbeitung der Lissabon-Strategie das Ziel einer „öko-effizienten Wirtschaft“ konsequent zu verfolgen. Um so befremdlicher muten die vielen scheinbar wirtschaftsfreundlichen Klimaschutz-Verhinderer an, die auf dem besten Wege sind unsere Industrien in dieselbe Falle tappen zu lassen, in der die Autoindustrie seit Jahren gefangen ist.

Erst weit nach den eingesparten 30% CO2 fängt es an, teuer zu werden. Es ist also gut möglich, dass auch ohne strikten Emissionsziel-Beschluss in Kopenhagen die EU ihren Klimaschutz-Kurs weiter fährt – eben weil er handfeste Vorteile mit sich bringt. Dabei hat die EU zusätzlich mit dem Emissionshandel ein System eingerichtet, das Jahr für Jahr steigende Milliardensummen in die öffentlichen Kassen spült, die vergleichsweise einfach in Nachhaltigkeitsinvestitionen umgeleitet werden können.

Während im Bereich Technologietransfer wesentliche Fragen bislang unbeantwortet sind, hat die EU im Hinblick auf Finanztransfers in Entwicklungsländer bereits vorgelegt. Auf 100 Milliarden Dollar jährlich ab 2020 beziffert die EU den notwendigen Transfer in Entwicklungsländer, eine Summe, mit der sich einiges anstellen lässt. Die EU bietet an, zwischen 22 und 50 Milliarden Dollar davon beizusteuern, freilich ohne dass sich deren Finanzminister bei diesem Verhandlungsmikado in zwei Akten darauf einigen konnten, wer welchen Anteil dieser Summe aufzubringen hat. Trotzdem erhöhen die Europäer mit ihrer Ansage den Druck auf die USA, ebenfalls Farbe zu bekennen.

Dabei haben sich die Amerikaner noch nicht einmal auf eins der netterweise umsonst zu habenden Emissionsziele festgelegt, und dank der erbitterten Debatte um die Reform der US-Gesundheitspolitik ist vor dem Klimagipfel damit auch nicht zu rechnen. China und Indien wiederum werden sich trotz positiver Signale im Vorfeld wohl erst im allerletzten Moment auf eine Einschränkung ihres künftigen Ausstoßes einlassen. Dann nämlich, wenn klar wird, welche Mittel sie in welchem Umfang einsetzen können. Und das hängt ganz wesentlich davon ab, auf wie viel Geld und Technologie aus den Industrieländern sie zugreifen können. Wenn Kopenhagen hierauf Antworten findet, kann der Gipfel ein Erfolg werden, auch wenn er – gemessen am beschlossenen CO2-Ziel – den Eindruck des Scheiterns erwecken sollte.

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