#COP15

Vor dem Kopenhagener Gipfel: Klimaharmonie in Europa?

von , 6.11.09

Einige Wochen vor Beginn der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen bleiben noch immer viele Fragen unbeantwortet. Weder Form noch Inhalt eines möglichen Abkommens sind derzeit absehbar. Stattdessen dominiert das Feilschen um Basisjahre, Anrechnungspotenziale und historische Klimaschulden. Während international um die großen Fragen des Klimaschutzes verhandelt wird, finden in Europa die letzten Verteilungskämpfe statt, für die Kopenhagen eine geeignete Ablenkung darstellt.

Historisch betrachtet, könnten diese Worte als großer Moment in die deutsche Wirtschaftsgeschichte eingehen: Siemens-Vorstand Peter Löscher verkündete in dieser Woche, Europa müsse in seinen Klimaanstrengungen noch weiter vorschreiten, als dies bislang der Fall sei. Löscher vertrat damit einen Standpunkt, der sich Beobachtern europäischer Klimapolitik seit einiger Zeit immer deutlicher aufdrängt. Erstmals gehen Politik und Wirtschaft mit ähnlichem Elan auf die Kopenhagener Klimaverhandlungen zu, teilweise scheinen politische Akteure sogar getrieben von den Forderungen der Wirtschaft, möglichst heute und nicht erst morgen ein internationales Abkommen zum Klimaschutz zu präsentieren. Hinterfragt man diese Position, so wird rasch klar, dass das primäre Interesse der europäischen Wirtschaft in der Entwicklung gleicher Wettbewerbsbedingungen auf den internationalen Märkten liegt. Dafür wird jedoch – von der medialen Öffentlichkeit kaum bemerkt – an zwei Fronten gekämpft.

Während sich die Verhandlungsteams der UN-Klimarahmenkonferenz auf ihrem letzten Vorbereitungstreffen noch einmal dem Versuch  widmen, den Vertragstext für ein künftiges Klimaabkommen auf ein erträgliches Minimum einzudampfen, tagt in Brüssel der Komitologieausschuss für Klimafragen. Ihm gehören Vertreter der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten an, die über Fragen der Durchführung des Emissionshandels ab 2013 entscheiden. Im vergangenen Jahr wurde zwar die grobe Marschrichtung für die Zukunft des europäischen Emissionshandelssystems vorgegeben, doch beinhaltet die entsprechende Richtlinie noch immer zahlreiche Fragen, die erst durch ein öffentlich schwer einsehbares Verfahren, das unter dem Begriff Komitologie firmiert,  entschieden werden können.

Die erste aus einer Vielzahl von Folgeentscheidungen stand nun in den vergangenen Wochen auf der Agenda: Es ging um die Frage, welche Branchen in Zukunft den überwiegenden Teil ihrer Emissionszertifikate umsonst zugeteilt bekommen sollten und welche Sektoren ihre Zertifikate über Versteigerungen erwerben müssen. In der Richtlinie wurden hierfür klare Bedingungen genannt (Quote der Außenhandelsintensität und Kostenfaktor Energie beim Gesamtumsatz). Ausschlaggebend sollte die Gefährdung europäischer Unternehmen im internationalen Wettbewerb sein, die unter den Kosten der Klimapolitik zu leiden hätten. Die Situation der betroffenen Branchen wurde nun von der Kommission evaluiert. Nach Schätzung der Kommission (PDF) fallen 164 Sektoren und Teilsektoren – in absoluten Zahlen: 77% der verarbeitenden Industrie – in der EU unter die genannten Grenzwerte und würden damit in den Genuss einer überwiegend kostenlosen Zuteilung ihrer Zertifikate kommen. Neben der Stromwirtschaft, die ohnehin keinen Anspruch auf eine freie Zuteilung gehabt hätte, blieben also nur wenige Sektoren von einer vollen Auktionierung der Zertifikate betroffen.

Nach intensiven Diskussionen stimmte schließlich auch der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments diesem Vorschlag zu, so dass die genannten Sektoren ab 2013 tatsächlich in den Genuss einer freien Zertifikatzuteilung kommen könnten. In welchem Umfang dies auf einzelne Unternehmen zutrifft, hängt jedoch von einer weiteren Entscheidung ab, über die in den kommenden Monaten entschieden werden muss. Dabei geht es um die sogenannten „Benchmarks“: Nur die klimaeffizientesten zehn aus hundert Anlagen einer Branche innerhalb der EU werden ihre Zertifikate komplett umsonst erhalten. Wer nicht nachweisen kann, dass er sparsam mit der genutzten Energie umgeht, wird entsprechend zur Kasse gebeten.
Spätestens an dieser Stelle dürfte deutlich werden, dass es auch in der EU noch um klimapolitische Verteilungskämpfe geht. Welche Kriterien werden für die Bemessung der Klimaeffizienz angelegt? Fällt das Gießen von Stahl unter den Sektor „Stahl“ oder wird ihm ein eigener Teilsektor zugeordnet? Vermeintlich kleine Entscheidungen können in diesem Kontext über die Zukunftschance einzelner Unternehmen entscheiden. All dies wird in den kommenden Monaten entscheiden, weitgehend unbemerkt vom Trubel der internationalen Klimapolitik.

Diese Fragen werden die Diplomaten in Kopenhagen überwiegend kalt lassen. Hier geht es um die großen Entscheidungen der internationalen Klimapolitik. Wer reduziert wie viel? Welche finanziellen Mittel können bereitgestellt werden? Unternehmen werden in Branchen behandelt und Branchen sollten, so weit möglich, einem sektoralen Abkommen unterworfen werden. Dies ist der Tonfall internationaler Klimapolitik.

Die Unterstützung eines möglichen internationalen Abkommens könnte für die europäische Wirtschaft jedoch im Zweifelsfall einen weiteren Vorteil haben: Tritt es tatsächlich in Kraft, wird in Europa neu über Emissionshandel und Durchführungsbestimmungen verhandelt. Eine weitere Chance die Regeln neu zu justieren.

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