#Demoskopie

Ausgleich in Zeiten abnehmenden Wohlstands: Die Politik entdeckt Fairness

von , 2.11.09

„Was ist für Sie die wichtigste Eigenschaft von Politikern?“ fragt TNS Emnid in regelmäßigen Abständen. Noch 2005 dominierte Kompetenz mit weitem Abstand vor Durchsetzungsstärke, Sympathie und „Kümmererbewußtsein“. 2009 fällt das Urteil völlig anders aus: Nun setzen über 90 Prozent der Deutschen Vertrauen nach ganz vorn. Kompetenz (52 Prozent) landet mit weitem Abstand vor Sympathie auf Platz zwei.

Vertrauen in Gestalt von 14,6 Prozent für die FDP hat bereits die letzte Bundestagswahl entschieden: Dem aufmerksamen Beobachter demoskopischer Trends ist nicht entgangen, dass die FDP, die 2005 in der Sonntagsfrage noch bei acht Prozent lag, im Zuge der ordnungspolitischen CDU-“Schandtaten“ 2006 zwar auf 11 Prozent anstieg, den eigentlichen Schub aber Hessens FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn auslöste: Erst dessen Standhaftigkeit im Zuge von Ypsilantis gebrochenem Versprechen katapultierte die Liberalen auf 15 Prozent – und marginalisierte anschließend die SPD bundesweit.

Es ist etwas passiert in Deutschland: Der politische Kompass hat sich verschoben. Trauten die Wähler früher den Politikern noch zu, das Richtige zu tun, so leiden sie nun unter der zunehmenden Komplexität des Lebens. Ob Autoreparatur, Medizindiagnose, Finanzberatung oder die politischen Fragen nach dem besten Gesundheitssystem, der Auswirkung des Mindestlohns, den Auswirkungen von Steuersenkungen oder nach dem besten Weg zum Frieden in Afghanistan: Weder wissen die Wähler den richtigen Weg, noch erwarten sie ernsthafte Lösungen von den Politikern: Der Alltag hat einen Komplexitätsgrad erreicht, bei dem richtige Lösungen durch Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen – und damit nach Vertrauen abgelöst werden.

Nur die Parteien haben das zu Beginn der neuen Amtsperiode noch nicht wahrgenommen – und tappen wie schon Schwarz-Rot in die Glaubwürdigkeitsfalle. Nur 23 Prozent vertrauten ihren Aussagen im Wahlkampf, gerade noch 15 Prozent hielten das Scholz’sche Versprechen, die Rente werde niemals sinken, für glaubhaft. Aktuell erwarten 92 Prozent, dass mögliche Steuersenkungen sofort durch Abgabenerhöhungen woanders wieder einkassiert werden.

Die lange Jahre wie eine Monstranz vorangetragene „Du kannst so bleiben wie Du bist“-Rhetorik und das „Wir werden aus der Krise gestärkt hervorgehen“ glauben inzwischen weniger als 10 Prozent der Deutschen. Und verändern damit klammheimlich ihre politischen Beurteilungsmaßstäbe: Der Glaube „Die Kinder sollen es mal besser haben“ hat ausgedient. Nur noch neun Prozent der Deutschen erwarten, dass es den Kindern in zehn Jahren besser gehen wird als heute. An bessere Lebensumstände für die Alten glauben gerade noch drei Prozent. Dafür rechnen vier von fünf damit, dass es aufgrund der angespannten Haushaltslage, durch Globalisierungsdruck und demographischen Faktor in Zukunft zu weniger Wohlstand sowie zur Trennung von manch Liebgewonnenem kommen wird und dass wir uns tendenziell weniger leisten können. 69 Prozent glauben, dass eine wirtschaftliche Erholung – wenn überhaupt – erst nach 2011 kommen wird. Zudem glauben 75 Prozent an ein immer stärkeres Auseinanderdriften unserer Gesellschaft.

Die gerade vereidigte Regierung wird nach völlig neuen Kriterien beurteilt werden. Sie ist die erste, die nach Glaubwürdigkeit und Vertrauen und nach einem völlig neuen politischen Ziel bewertet wird: Nach Fairness, also dem fairen Interessenausgleich in Zeiten, in denen sich der Wohlstand verringert.

Damit ist bereits zum Start der neuen Bundesregierung klar, wonach die Wahl 2013 sich entschieden wird: Nämlich nach Fairness im Umgang mit den auseinanderdriftenden Gruppen: Beim Interessenausgleich zwischen Arm und Reich, Jung und Alt, Arbeitslosen und Arbeitsplatzbesitzern, Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Noch glauben 62 Prozent, dass es den Unternehmern, nur 11 Prozent dagegen, dass es den Arbeitnehmern in zehn Jahren besser gehen werde. Inwieweit die Parteien es schaffen, die Gesellschaft wieder zu versöhnen, anstatt sie weiter zu spalten, davon wird der Wahlsieg 2013 wesentlich abhängen.

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