#Atomstrom

Schwarz-gelbe Energiepolitik: Die Milchmädchenrechnung des Atomfonds

von , 21.10.09

Kürzlich berichtete Spiegel Online ziemlich aufgeregt, dass die Verlängerung der Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke dem Klima mehr schade als nütze. Hintergrund sind Berechnungen des Dessauer Umweltbundesamtes, wonach die längere Nutzung der Kernenergie in Deutschland keinen CO2-Effekt habe.

Der Mechanismus dahinter ist ebenso banal wie frappierend und wird unter Energie-Experten seit längerem diskutiert. Durch den europäischen Emissionshandel ist sowohl die Obergrenze des Treibhausgasausstoßes als auch die jährliche Reduktion (1,74%) festgelegt. Lässt nun also die Bundesrepublik ihre Reaktoren länger laufen, statt neue Kohle- oder Gaskraftwerke zu bauen, benötigen die deutschen Energieversorger weniger Emissionszertifikate, als ihnen eigentlich zustehen. Da diese Verschmutzungsrechte innerhalb Europas frei gehandelt werden können, fallen die Emissionen eben anderswo an. An der Gesamtmenge der ausgestoßenen Treibhausgase ändert sich dadurch nichts.

Für die Klimabilanz ist die Laufzeitverlängerung daher ein Nullsummenspiel. Schädlich wirken sich die frei werdenden Zertifikate hingegen auf den Preis der Verschmutzungsrechte aus. Das Überangebot führt zu einer Verbilligung, wodurch sowohl die Anreize zur Treihausgasminderung als auch Investitionen in nachhaltige Energieträger vermindert werden.

Die schwarz-gelben Atompläne, die auf einem Beschluss (PDF) von CDU und CSU aus dem Jahre 2008 basieren, haben aber noch eine weitere Schwachstelle. Die Idee, einen Teil der zusätzlichen Gewinne durch längere Laufzeiten für den Ausbau der erneuerbaren Energie zu verwenden, klingt zunächst vernünftig. Allerdings handelt es sich um eine Milchmädchenrechnung. Der Zeitplan für den Ausstieg beruht auf der Berechnung von Reststrommengen, denen eine Gesamtlaufzeit von 32 Jahren zu Grunde gelegt wurde. Die meisten Meiler müssten nach dem geltenden Ausstiegsbeschluss erst in einigen Jahren vom Netz gehen. Richtig bemerkbar machen sich die Zusatzgewinne einer längeren Laufzeit also erst nach 2016.

Da die Weichen für den strukturellen Umbau der Energiewirtschaft aber möglichst bald erfolgen müssen, lässt sich der Ausbau regenerativer Energiequellen und der notwendigen Infrastrukturprojekte damit nicht finanzieren. Deutschlands Energieriesen würden aber schon heute davon profitieren.

Statt die Atomkontroverse , die mit dem von rot-grün betriebenen Atomausstieg für einige Jahre befriedet war, neu zu entfachen, sollte die kommende Bundesregierung lieber drei sinnvollere Maßnahmen ins Auge fassen:

  1. Trotz der in den 1990er Jahren angestoßenen Privatisierung der Energiewirtschaft und der von der EU forcierten Liberalisierung sind die Markteintrittshürden für kleinere Unternehmen nach wie vor sehr hoch. Hier muss zeitnah der rechtliche Rahmen so angepasst werden, dass eine dezentrale Energieversorgung, auch durch kleine und Kleinstanbieter effizient erfolgen kann. Das kann vor allem durch einen Ausbau der Kompetenzen der Bundesnetzagentur und eine verbesserte Kooperation mit den nationalen Regulierungsbehörden in der EU erfolgen.
  2. Angesichts des EU-Emissionshandels sollten Regierung und Parlament auf eine möglichst umfassende Auktionierung der Verschmutzungsrechte hinarbeiten. Eine Gesetzesinitiative der Großen Koalition macht diesbezüglich einen wichtigen ersten Schritt. Außerdem sollte die künftige Bundesregierung auch die europäischen Partner auf eine baldige Einführung der Versteigerung als Verteilungsmodus drängen. Zudem muss die Zahl der vom Emissionshandel ausgenommenen Sektoren eingeschränkt und die jährliche Degression der Zertifikate erhöht werden.
  3. Max Frisch wird der Ausspruch zugeschrieben: „Krise ist ein produktiver Zustand. Man muß ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen“. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise birgt die Möglichkeit eines grundlegenden Umbaus der europäischen Wirtschaft. Um so erstaunlicher, dass staatliche Förderung für grünes Wachstum vor allem außerhalb Deutschlands stattfindet, wie der HSCB-Bericht zeigt (PDF).

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Noch laufen die Koalitionsverhandlungen und viele Fragen sind nach wie vor offen. Daher wäre gerade jetzt der Zeitpunkt günstig nachhaltiges Wirtschaftswachstum im neuen Regierungsprogramm zu verankern. Es wäre nicht nur wünschenswert, dass eine schwarz-gelbe Regierung an der nationalen Klimaschutzstrategie festhält, sondern darüber hinaus Klimaschutz und Energietechnologien made in Germany zu einem Markenzeichen der Republik machen.

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