#GPS

Von Twitter lernen: Location Based News

von , 16.10.09

Hätte man den Flugpionier Otto Lilienthal nach Geschäftsmodellen für das Fliegen gefragt, was hätte dieser wohl geantwortet? Immerhin: Der Verkauf von neun “Normalsegelapparaten” aus seiner Maschinenfabrik ist heute nachgewiesen.

In vergleichbaren Dimensionen sollte man denken, wenn man sich dem Phänomen Twitter nähert. Denn noch immer wird dieser Dienst bisweilen müde belächelt und eher als vorübergehende Erscheinung gesehen. Man bricht den Stab nach einem oberflächlichen Blick auf das, was von Twitter als erstes sichtbar wird: Ein Strom von kurzen Mitteilungen, der banal und zusammenhangslos wirkt.

Vielleicht aber ist dieser bisweilen so banal wirkende Twitterstrom vergleichbar den ersten, kurzen Flügen Otto Lilienthals. Immerhin hat er damit gezeigt, dass das Fliegen mit einer Konstruktion aus Tragflächen funktioniert. So verstanden wäre Twitter nicht ein fertiges Endprodukt, sondern erst der Anfang einer weitreichenden Entwicklung. Dafür gibt es Anzeichen.

Twitter selbst hat diesen Sommer eine Schnittstelle angekündigt, die darauf aufbaut, dass sich jeder einzelne Tweet geografisch lokalisieren lässt, sofern der jeweilige User dem zustimmt. Solange man privaten Small Talks betrachtet, mag das wenig nützlich erscheinen – bei Nachrichten oder Werbung sieht das schon anders aus. Ohne Zweifel wird man künftig als User auf Twitter nicht nur entscheiden können, wem man folgt, sondern auch unter welchen geografischen Bedingungen.

Warum etwa sollte man dem Museum of Modern Art (MoMA) auf Twitter “followen”, wenn man nicht permanent in New York ist? Bei Aufenthalten in der Stadt jedoch können dessen Tweets Sinn machen, um einen Besuch im Museum einplanen zu können. Diese Grundidee lässt sich auf viele andere Bereiche und Institutionen übertragen: Einkaufsstätten, Gastronomie und natürlich lokale Nachrichten. Vieles im Leben berührt uns nur, weil (und wenn) wir einen konkreten, räumlichen Bezug dazu haben.

Ein Dienst, der uns Mitteilungen nach genau diesem Kriterium der räumlichen Nähe anzeigen bzw. ausblenden kann, ist ein noch relativ neuer Gedanke. In den Blickpunkt trat er eigentlich erst, als es Mobiltelefone mit eingebautem GPS-Empfänger gab. Seither entstanden eine Reihe von Startups, die Social Networks und Applikationen hauptsächlich für das iPhone entwickelten. Zu den Bekannteren zählen heute BrightkiteFoursquare und Gowalla. Ihr Problem ist derzeit noch, dass längst nicht jeder, der zuhause einen Computer mit Internetanschluss hat, auch über ein mobiles Gerät mit einem Datentarif für das Internet verfügt.

Doch nicht nur diesen Startups ist klar, dass der heute noch relativ kleine Markt des mobilen Internets in den nächsten Jahren sehr stark wachsen dürfte. Deshalb stellen sich natürlich auch große Unternehmen wie Google die Frage, wie man Suchanfragen, Informationen oder Werbung auf der Basis von Standortdaten vermitteln kann.

Der Mediensektor, der schon das Social Web falsch eingeschätzt und zu lange ignoriert hat, könnte hier ein weiteres Mal überholt werden. Ein kleines und eher harmloses Beispiel dafür sind die auf Smartphones immer beliebteren Wetter-Widgets. Anstatt aus der Tagesschau oder der Tageszeitung bezieht man die Wettervorhersage über ein individuell konfiguriertes und meist kostenloses Programm. Der große Vorteil: Man muss sich nicht mehr aus einem Tableau von Daten das Relevante heraushören bzw. -lesen, sondern bezieht exakt nur den Ausschnitt an Informationen, der jeweils relevant ist.

Geschäftsmodell Normalsegelapparat? Geld verdient haben später andere

Geschäftsmodell Normalsegelapparat? Geld verdient haben später Andere (Foto: Jörg Kantel, cc-by-nc-nd)

Noch sind diese Anwendungen relativ “primitiv”, weil sie kaum GPS-Daten und noch weniger Einträge im Kalender berücksichtigen. Denkbar ist aber, dass sie schon bald Vorhersagen liefern werden, die nicht nur auf einen individuellen Aufenthaltsort abgestimmt sind, sondern auch (im Kalender eingetragene) Termine bzw. Reisen einbeziehen. Wohin man sich dann auch bewegt, der Wetterbericht wandert immer automatisch mit und ist so auf die persönlichen Bedürfnisse angepasst.

So etwas leistet kein Massenmedium und selbst wenn, müsste man sich dort erheblich umstellen. Statt dessen werden vermutlich erneut eher branchenfremde Unternehmen eine Chance sehen und ihren Weg zu den Kunden über Anwendungen für Mobiltelefone finden. Zudem gibt es bereits erste Anwendungen, mit denen sich die Besitzer mobiler Geräte individuelle Dienste selbst einstellen können. Locale beispielsweise, eine Applikation für Android-Geräte, erlaubt es, den Klingelton an- oder abzustellen, je nachdem, wo man sich gerade befindet. Auch lassen sich aus einer To-Do-Liste nur diejenigen Einträge anzeigen, die mit dem jeweiligen Aufenthatlsort korrespondieren.

Vor diesem Hintergrund wären die Verlage gut beraten, weniger darüber nachdenken, ab wann sie ihre Applikationen für diverse Mobilgeräte kostenpflichtig machen, sondern wie sie mit kostenlosen Nachrichten und den Geodaten ihrer Leser eine Plattform für Werbetreibende schaffen können und damit eine neue Quelle für Werbeeinnahmen zu erschließen.

Twitter steht relativ kurz davor, ein solches Hub zu werden. Für Medienhäuser und Zeitungen ist das aber nur bedingt attraktiv, weil sie hier selbst schlicht “Kunde” sind und Gefahr laufen, mittelfristig für bestimmte Nutzungsmöglichkeiten bezahlen zu müssen. Von Twitter gilt es zu lernen und auch das Umfeld der noch jungen Firma zu beobachten.

Gerade hat Jack Dorsey, einer der Gründer von Twitter, angekündigt, ein neues Startup mit “ähnlichen Ideen” aus der Taufe zu heben. Zudem gibt es gewisse Verbindungen von Twitter zu Foursquare. Das muss aber nicht viel bedeuten: Auch Otto Lilienthal ging nur als Pionier des Fliegens in die Geschichte ein. Geld verdient mit dem Bau von Flugzeugen haben später ganz Andere.

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