#Bundestagswahl

Bündnis ohne Emphase: Auf Schwarz-Gelb waren wir nicht vorbereitet

von , 28.9.09

Als gestern Abend um 18 Uhr das Fernsehen die ersten Wahlhochrechnungen verkündete, bog ich zufällig gerade in den Hof des Betahauses in Berlin-Kreuzberg ein. Dort saßen, belauert von mehreren Kamerateams von RTL2 bis RBB, Digitalkulturschaffende und andere digitalselbstständige Wissensarbeiter, um gemeinsam die Wahl zu schauen. Als dann die ersten Ergebnisse einrieselten, passierte im Publikum – zum sichtbaren Unmut der anwesenden Kamerateams – erstmal fast gar nichts: Kein Entsetzen, keine Eruption der Empörung. Eher ein betretenes Innehalten: Momentmal, kann das sein?

Irgendwie hatte man sich auf einen langen Abend eingerichtet, auf ein knappes Ergebnis, auf ein Ringen um die Legitimität von Überhangmandaten – und am Ende auf ein Hineinstolpern in eine weitere große Koalition. Schwarz-Gelb? Das war doch das Regierungsbündnis der alten BRD. Die Ekel-Koalition unserer Pubertät. Das konnte nicht kommen. Merkel musste für ihren Mikadospiel-Wahlkampf am Ende doch noch bestraft werden.

Aber dann, um 18.05 Uhr hatte Schwarz-Gelb plötzlich eine relativ klare Mehrheit. Das war so unvorstellbar gewesen, dass man sich gar nicht darauf vorbereitet hatte. Aber zugleich war auch unvorstellbar gewesen, dass die SPD auf 23 Prozent abrutscht.

Eigentlich müsste man mit einem so inhaltsleeren und wenig begeisternden Wahlkampf, wie ihn Union und FDP geführt haben, keine Bundestagswahl gewinnen können. Wenn es nur ein bisschen kulturelle Gerechtigkeit bei Wahlkämpfen gibt, dann hätte es für Schwarz-Gelb nicht reichen können. Denn Schwarz-Gelb hat keine Emphase, keine emotionale Idee, die wirklich in der Mitte der Gesellschaft angekommen wäre.

Michael Spreng schreibt etwa über die FDP: “Sie ist faszinierend unmodern. Die FDP tritt an mit demselben Spitzenpersonal, mit demselben Programm und mit denselben Slogans wie vor 10 Jahren. An ihr ist die Finanz- und Wirtschaftskrise fast spurlos vorübergegangen, sie hat kaum etwas daraus gelernt.”

Wie konnte Schwarz-Gelb uns dennoch so überrumpeln – ohne erkennbaren Ansatz von Exzellenz, von kulturell begründeter Hegemonie? Weil Schwarz-Gelb nicht gewonnen, sondern die SPD verloren hat. Dies ist das eigentliche Hintergrund der Bundestagswahl.

Bei der letzten Bundestagswahl 2005 erreichten Union und FDP zusammen 21,2 Mio. Stimmen. Die SPD hatte 16,1 Mio. Stimmen. In diesem Jahr erreichten Union und FDP 21,0 Mio. Stimmen und die SPD 10,0 Mio., wie sich beim Bundeswahlleiter nachlesen lässt. Obwohl also Schwarz-Gelb weniger Stimmen als 2005 erhalten hat, hat das Bündnis diesmal die Wahl gewonnen. Denn im Vergleich zur letzten Wahl fanden rund 4 Mio. Bundesbürger weniger an die Urnen. Die Strategie von Angela Merkel, die Wähler der SPD zu demobilisieren, ist aufgegangen. Und deshalb kam der Sieg für viele auch so überraschend. Einen “Swing”, den man hätte spüren können, hin zum altbügerlichen Lager hat es gar nicht gegeben.

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Merkel und Westerwelle in der Berliner Runde: Einen "Swing", den man hätte spüren können, hin zum altbügerlichen Lager hat es gar nicht gegeben.

Das große Kennzeichen von Schwarz-Gelb ist das Ungefähre. Ihr Wahlkampf war so aufgebaut. Und auch die Berliner Runde der Spitzenkandidaten zeigte noch einmal sehr plakativ, wie Merkel und Westerwelle sich selbst nach der Wahl nur auf gröbste Richtungsbeschreibungen festlegen wollen. Offenbar sind sich Union und FDP noch nicht sicher, was sie mit der gewonnenen Macht überhaupt anfangen können oder wollen. Das aber wird sich ändern. Und die SPD kann froh darüber sein, dass sie dann in der Opposition lustvoll dagegen sein kann – anstatt als gedemütigter Juniorpartner in der Notlösung große Koalition weiterzuregieren. Ihre Fundamentalkrise ist der Wahlsieg von Schwarz-Gelb.

Einen Verlierer dieser Bundestagswahl, den man nicht übersehen sollte, sind die Grünen: Sie haben am wenigsten vom Frust über die große Koalition profitiert, sie haben am wenigsten hinzugewonnen, sie haben wenig programmatische Akzente zu setzen vermocht und ihr Führungspersonal überzeugte nicht. Dabei sind die Grünen die Partei mit den höchsten Sympathiewerten. Sie haben in der Krise wenig daraus gemacht. Auch die Grünen werden sich neu berappeln müssen.

Netzpolitisch wird sich zeigen, ob die FDP tatsächlich ihre Ankündigung wahr macht, das #Zensursula-Gesetz bei Wiedervorlage in zwei Jahren zurückzunehmen. In Sachen Urheberrecht und Medienindustrie wird innerhalb von Schwarz-Gelb in den nächsten vier Jahren ein spannendes Ringen zwischen der hier traditionell starken Sympathie für Verwertungsinteressen und dem bürgerrechtlichen Flügel der FDP geben.

Die Piratenpartei erreichte aus dem Stand heraus über 840.000 Wähler, was beeindruckender klingt als 2,0 Prozent. Im Bundesland Berlin kamen sie auf 3,4 Prozent der Stimmen. In Friedrichshain-Kreuzberg erreichten sie sogar 6,2 Prozent. Die Piraten haben sich damit schneller etabliert und höhere Wahlergebnisse erzielt als die Grünen in ihrer  Gründungsphase. Das ist nicht verwunderlich: Schließlich erleichtert das Netz den Aufbau von Parteistrukturen erheblich. Die Piraten werden den Weg über die Kommunal- und Länderparlamente gehen, so wie damals auch die Grünen. Das Ende der TV-Gesellschaft ist eben auch das Ende der Großparteiengesellschaft. Mehr und günstigere Kommunikation erlaubt kleinteiligere und komplexere gesellschaftliche Vernetzung.

Am Ende werden wir eine ziemlich bunte Parteienlandschaft haben. Sieben-Parteien-Parlamente sind dann nicht mehr ausgeschlossen.

Vor allem aber hat diese Bundestagswahl gezeigt, dass es neue Projekte, neue Programmatik braucht, um neue gesellschaftliche Bündnisse zu organisieren. Die alten halten offenbar nicht mehr besonders gut. Für dieses Mal haben Union und FDP noch einmal Glück gehabt.

Siehe dazu auch den Beitrag von Wolfgang Michal: Sieben unbequeme Wahrheiten.

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