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Der Zwiespalt bleibt: Prominenter Dirigent nutzt Sterbehilfe

von , 17.7.09

Haben wir ein Recht auf Sterbehilfe? In England hat der Fall eines bekannten Dirigenten Aufsehen erregt, der gemeinsam mit seiner tödlich erkrankten Frau aus dem Leben schied –in der Schweiz, mit Hilfe der Sterbehilfeorganisation Dignitas (via Süddeutsche). Sir Edward Downes, 85, fast blind und immer mehr ertaubend, wollte nicht mehr – obwohl er „sein Leben glücklich zu Ende gelebt haben könnte“, wie die britische Pro-Life-Alliance erklärte.  Downes hätte sicher auch blind und taub und ohne seine Frau weiterleben können. Aber „glücklich“?

Der Ruf nach Sterbehilfe wächst mit den Erfolgen der Medizin. Sie kann Leben so lange verlängern, bis es zu Last wird. Dazu passt, dass einer der ersten Propagandisten der Sterbehilfe Christiaan Barnard war, der Arzt, der 1967 das erste Herz transplantierte.  Mit Hans Henning Atrott, dem Gründer der inzwischen reformierten Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, der später wegen Zyankali-Handels angeklagt wurde, tourte er in den 70er Jahren durch Europa und warb für die Einführung der Euthanasie.

Die Herzverpflanzung war ein Erfolg mit weitreichenden Folgen, denn sie führte dazu, dem Tod einen anderen Platz zu geben: 1968 wurden in Harvard die Hirntod-Kriterien definiert: Der Tod wurde vor dem eigentlichen Lebensende konstatiert – um dem Sterbenden seine noch lebenden Organe entnehmen zu können. Parallel zur ersten Herzverpflanzung war in London die erste Palliativ-Klinik gegründet worden, das legendäre St. Christopher’s Hospice.

„Den Tagen mehr Leben geben, statt dem Leben mehr Tage“, diesem Motto der Begründerin der modernen Palliativ- und Hospizbewegung, Dame Cicily Saunders, hätte sicher auch Edward Downes zugestimmt. Es geht darum, eine quälende Lebensverlängerung, die durch die Hochleistungsmedizin in fast unbegrenztem Maße möglich ist, in Frage zu stellen. Denn Ärzte kämpfen gegen den Tod, mit allem, was sie aufbieten können. Fast immer haben sie noch eine letzte Chance, können dem Leben ein paar Stunden oder Tage abringen, manchmal mehr. Krebspatienten sterben nicht mehr an ihrem Tumor, sondern an den Folgen der Chemotherapie oder Bestrahlung. Intensivpatienten überleben schwerste Verletzungen, aber vielleicht nicht den Krankenhauskeim, der alle Hygieneschleusen überwunden hat. Komapatienten erliegen nicht ihren Hirnschäden, sondern sterben,weil irgendwann beschlossen wird, die künstliche Ernährung einzustellen. Meist lässt erst der Verzicht auf eine weitere medizinische Behandlung den Tod zu.

Palliativmedizin und Hospizbewegung sind eine Antwort auf die Bürde, die uns die Möglichkeiten der modernen Medizin auferlegt. Daraus – wie im Fall des Ehepaar Downes – eine Pflicht zum Leben ableiten zu wollen, ist absurd. Es sind immer die Betroffenen, die entscheiden was für ihn oder sie noch lebenswert ist.

Allerdings ist es mehr als problematisch, wie das immer häufiger auch in Deutschland geschieht, daraus den Anspruch abzuleiten, von anderen um das Leben gebracht zu werden. Natürlich verändert die Möglichkeit der Euthanasie, wie von den Pro-Life-Aktivisten vorgebracht, die gesellschaftlichen Maßstäbe, die Bewertung dessen, was lebenswert ist. Holland ist ein bekanntes Negativ-Beispiel: Dort erhalten 3000 Patienten jährlich ganz legal eine tödliche Injektion, weil sie das wünschen und ihre Krankheit unheilbar ist. Aber auch weitere tausend Menschen, die nicht mehr imstande waren, diese Entscheidung selbst zu treffen  Nach einer Regierungsumfrage war dabei das Motiv jedes dritten Arztes nicht das Leiden des Patienten, sondern das der Angehörigen. Oder sein eigenes. »Maak mij niet dood, Doktor«, »Töte mich nicht«,steht auf der »Credo-Card«, die mancher Holländer bei sich trägt, um nicht aus Versehen erlöst zu werden.

In der Schweiz, dem Land der Sterbehilfe, wo die Mitarbeiter von „Exit“ inzwischen sogar an den Universitätskliniken zugelassen sind, steigt die Zahl von Menschen, die nicht unheilbar krank sind und trotzdem des Lebens überdrüssig getötet werden möchte. Gerade hat der Kanton Zürich, so die Süddeutsche, die bisher gedultete Sterbehilfe legalisiert und zwar auch dann, wenn es sich bei einem “schweren, krankheitsbedingten Leiden” und psychische Symptome handelt, der Todeswunsch aber “wohlerwogen und dauerhaft” sei, ein “Bilanzsuizid”. Wieviel daran individuelles Schicksal oder gesellschaftliche Repression ist, ist schwer zu entscheiden. Zynisch waren jedenfalls die Sprüche des Hamburger Politikers Roger Kusch, der im Wahlkampf mit einem „Todesautomaten“ durch die Altenheime tourte und argumentierte, mit der Möglichkeit, sich ums Leben zu bringen, müsse nun niemand mehr in Abhängigkeit von anderen im Heim leiden.

Doch unterscheidet jemand, der im Heim einsam ist, von der Einsamkeit, die Edward Downes fürchtete? Sterbehilfe bleibt ein Thema, für das es keine einfachen Lösungen gibt. Der Philosoph Hans Jonas warnte vor einer Ethik des Mitleids, sie weise, so schrieb er, der seine Mutter in Auschwitz verloren hat, den Weg zu einer Gewöhnung an den Akt des Tötens, deren Folgen unabsehbar wären. Seine Philosophie ist von dem Willen zur Verantwortung sich selbst und den anderen gegenüber geprägt: „Zuletzt und im Äußersten werden wir auf die einsamen Entscheidungen der Liebe zurückgeworfen, die selbst dem Gesetz zu trotzen wagt“, betonte er und forderte den Verzicht auf eine eindeutig regelnde ethische Antwort.

Das Ehepaar Downes hat sich in einem Akt der Liebe einer professionellen Sterbehilfeorganisation anvertraut, die für ihre zweifelhaften Praktiken genauso kritisiert wurde, wie sie vielen Menschen als letzter Garant für Selbstbestimmung gilt. Immer öfter werden sogar Hospizhelfer gebeten, die ihnen Anvertrauten in die Schweiz zu begleiten. Der Zwiespalt bleibt genauso wie die Not, mit der Bürde der Lebensverlängerung durch die Medizin umzugehen.

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