#Copyright

Europäische Kulturflatrate: Don Quichotte in der digitalen Welt?

von , 16.6.09

Die Fragen um die Regelung des Copyrights in der digitalen Welt sind immer drängender geworden. Die bestehende Urheberrechtsgesetzgebung wurde für eine analoge Medienlandschaft entwickelt, als noch Kopiermaschinen oder Musikkassetten unseren Alltag bestimmten. Die eine Fraktion setzt mit der „Digitalen Allmende“ ähnlich wie Marx auf die Umwälzung aller Produktionsverhältnisse, andere schaffen digitale Tatsachen, häufig ohne dass die Urheber selbst involviert sind: Dazu zählen Weltkonzerne wie Apple, Google oder News Corporation genauso wie File-Sharing-Börsen und File-Hoster, die zusammen mehr Gemeinsamkeiten haben, als man vielleicht denkt: Sie vereint gleichermaßen das Zusammenspiel zwischen den Kleinheitsvorteilen der Netzbewohner – einzelne Individuen können gezielt adressiert werden – und den Größenvorsprüngen ihrer eigenen Dienste, die über enormen Traffic verfügen.

Über allem steht die Befürchtung der Kreativen, komplett außen vor gelassen zu werden. Dazu kommt eine nachwachsende Digitalgeneration, die nach dem Motto “Geiz ist geil” eine Art “Geschenkeökonomie” gegen die Rechteverwerter ins Feld führt. Mit „Burn Baby Burn“ hat auch unsere Partei bereits 2004 ein provokantes Statement zum Weltverbrauchertag abgegeben. Dagegen stehen die Besitzstandswahrer des individuellen Copyrights, wie es in der analogen Welt noch so schön geregelt war, also die Verwertungsgesellschaften wie GEMA, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und wie fast immer die etablierte Musikindustrie.

Diese Fraktionen kämpfen im Stellungskrieg seit Jahren gegeneinander. Künstler schlagen sich in manchen Fällen auf die Seite der Besitzstandswahrer, weil immer weniger Geld bei ihnen ankommt, weil die Verträge für sie schon immer nachteilig waren und weil das illegale Runterladen sie zusätzlich dramatisch belastet. Die anderen schlagen sich auf die Seite der Internetrevolutionäre und preisen die neuen Möglichkeiten des Webs zur Selbstvermarktung und die Rolle der Werbung im Netz. Besitzstandswahrer versuchen, digitales Rechtemanagement durchzudrücken und schränken damit die Innovationsmöglichkeiten und freien Informationen durch das Netz ein, Internet-Revolutionäre argumentieren, Regulierungsversuche seien eh zwecklos, weil alles im Netz verfügbar sei und immer wieder verfügbar gemacht werden könne.

Gibt es einen dritten Weg zwischen diesen Fronten, der für Künstler, Produzenten geistigen Eigentums und kreativen Inhalte und Verbraucher gleichermaßen interessant wäre? Der auch neue Kreativität, wie Creative-Commons-Angebote, Remixkulturen und verändertes Mediennutzungsverhalten nachhaltig anerkennt und fördert?

Das ist das Modell einer europaweit gesetzlich geregelten Kulturflatrate in der digitalen Welt. Kulturflatrate meint, dass per staatlicher Lizenz Verträge mit Internet-Providern geschlossen werden, bei denen man, je nachdem, wie viel Daten man aus dem Netz runterlädt, Flatrate-Pakete für digitalen Content für 5, 20 oder 50 Euro im Monat erwerben kann. Was gewinnen wir mit einem solchen Modell? Digitales Mediennutzungsverhalten für private Zwecke wäre im Kern legalisiert, es sei denn Inhalte sind strafrechtlich relevant. Die Verbraucher hätten Rechtssicherheit und geringe Kosten. Der Staat müsste nicht bei Peer-to-peer- und Filesharing-Börsen die Staatsanwälte beschäftigen und würde Bürokratie und Kosten sparen.

Vereinfacht gesagt handelt es sich bei der Kulturflatrate um eine neue Allmende-Wirtschaft für die digitale Welt, die durch nahezu unerschöpfliche Ressourcen an Speicherkapazitäten und Inhalte geprägt ist. Sie stellt die bisherige Kulturökonomie vom Kopf auf die Füße, weil es aufgrund von einfach zu handhabenden illegalen Alternativen und neuen, unerwünschten Monopolen schon jetzt letztlich keinen funktionierenden Markt mehr für bestimmte Inhalte wie Musik oder Filme im Netz gibt.

Das genaue Umsetzungsmodell ist noch nicht entschieden. Dem Gesetzgeber stehen mehrere Möglichkeiten der Beschränkung der ausschließlichen Rechte der Urheber und Leistungsschutzberechtigten zur Verfügung. Mit einer Zwangslizenzierung kann er Rechteinhaber verpflichten, einer Werknutzung zu angemessenen Bedingungen zuzustimmen und das Ausschließlichkeitsrecht auf einen Vergütungsanspruch herabstufen. Für die Kulturflatrate würde sich eine Bestimmung für eine zustimmungsfreie, aber vergütungspflichtige Nutzung nach dem Vorbild der Privatkopieschranke anbieten um Downloads über Peer-to-Peer-Systeme und ähnliche Architekturen für private Zwecke grundsätzlich zu legalisieren.

Die Kulturflatrate müsste von einer Verwertungsgesellschaft für das Internet eingesammelt und mit der Auflage genehmigt werden, dass die Produzenten kreativer Inhalte tatsächlich entlohnt werden, je nachdem, wie viel Datenverkehr es bei ihren Produkten gegeben hat. Verteilt wird dabei nach Marktforschungskriterien, schon heute werten Labels und Produzenten Tauschbörsen zur Ermittlung von Trends und Netzerfolgen aus. Außerdem sollen die Verwertungsgesellschaften einen Fonds einrichten, aus dem besonders junge Künstler gefördert werden.

Es ist auch durchaus eine Ko-Existenz von kommerziellen Angeboten wie iTunes, Napster oder Musicload und Flatrate-Modellen denkbar, weil die Verbraucher unterschiedliche Pakete, je nach Qualität und Umfang der angebotenen Dienste, durch die Provider angeboten bekommen. Angeschoben werden müssten solche verbraucherfreundlichen Vereinbarungen zwischen den Marktteilnehmern möglicherweise wieder durch den Gesetzgeber, um feste Regelungsmechanismen zwischen Providern, Portalbetreibern und Rechteinhabern zu schaffen. Bei diesem Umsetzungsmodell könnten Kontrahierungszwänge eine wichtige Rolle spielen. Diese sind im Medienbereich alles andere als ungewöhnlich, man denke nur an die Aufnahmeverpflichtung der GEMA oder den gesetzlichen Anspruch eines Kabelnetzbetreibers auf Abschluss eines Vertrages über die Weiterverbreitung von unter das Urheber- und Leistungsschutzrecht fallenden Inhalten der Sendeunternehmen.

Gegen das Argument, die Kulturflatrate würde jeden Kulturmarkt kaputt machen, ist einzuwenden und festzuhalten, dass es in der Handyvertragswelt schon seit vielen Jahren die Ko-Existenz von Flatrate und Nicht-Flatrate-Verträgen gibt, je nachdem, welches Angebot an Qualität und Leistung man haben will – inklusive der immer wichtiger werdenden Datendienste. Die Wirtschaft macht es vor: So bietet das mobile Musikangebot „Nokia Comes With Music“ den unbegrenzten Zugriff auf Millionen von Songtiteln – eine Art „Kulturflatrate light“.

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